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WERNFELD: Afghanische Hindu-Familie lebte jahrelang abgeschottet im Tempel

WERNFELD

Afghanische Hindu-Familie lebte jahrelang abgeschottet im Tempel

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    Mussten aus Afghanistan fliehen: Die hinduistische Familie Gai mit Wirt Rudolf Pfister (rechts) im Dirmbacher Hof in Wernfeld. Sohn Shiv (links) fungiert als Dolmetscher. Mutter Anjoli hat sich extra fürs Bild hinduistisch gekleidet.
    Mussten aus Afghanistan fliehen: Die hinduistische Familie Gai mit Wirt Rudolf Pfister (rechts) im Dirmbacher Hof in Wernfeld. Sohn Shiv (links) fungiert als Dolmetscher. Mutter Anjoli hat sich extra fürs Bild hinduistisch gekleidet. Foto: Foto: Björn Kohlhepp

    Anfang Dezember stand plötzlich die Familie schlotternd vor dem Dirmbacher Hof in Wernfeld. Unzureichend gekleidet, ohne Deutschkenntnisse, mit einem Zettel, auf dem die Adresse der zugeteilten Unterkunft, dem Dirmbacher Hof, notiert war. Draußen hatte es minus zehn Grad. In München hatte man sie mit einem Bayernticket in den Zug gesetzt. Sie mussten selbst sehen, wie sie – mit Umsteigen – in Wernfeld ankommen. Vom Bahnhof aus irrten Vater, Mutter und die zwei Söhne durch den Ort, bis Wanderer den Wirt Rudolf Pfister darauf aufmerksam machten, dass draußen ein Italiener offenbar etwas suche.

    Der „Italiener“ war Krishan Gai, ein Asylbewerber aus Afghanistan. An seinem Vornamen ist der Mann mit den grün-blauen Augen als Hindu erkennbar. Zusammen mit seiner kleinen Familie musste er das Heimatland verlassen. Die Heimatstadt der Familie, das ostafghanische Dschalalabad, liegt unweit von Kabul und nahe dem Chaiber-Pass, dem wichtigsten Pass über den Hindukusch hinüber nach Pakistan. Die Stadt kennt man hierzulande von Selbstmordanschlägen der Taliban oder wütenden Protesten gegen den Westen. Es ist kein guter Ort für Hindus. Weil ihnen Muslime schon vor Jahren ihr Haus weggenommen hatten, wohnte die Familie bis zu ihrer Flucht mit anderen Familien im Hindutempel, einem von nur einer Handvoll in ganz Afghanistan.

    Im Tempel geboren

    Dort kamen die Söhne Shiv (zehn) und Lakshay (acht) zur Welt. Da die Eltern weder Deutsch noch Englisch sprechen können, führt der aufgeweckte Shiv, benannt nach dem mehrarmigen Gott Shiva, das Wort, fungiert als Dolmetscher. Englischsprechen hat ihm ein Priester im Tempel beigebracht, Deutsch lernt er gerade, da er wie sein Bruder inzwischen in die Grundschule in Wernfeld geht. „Das waren die einzigen Kinder, die sich gefreut haben, dass die Ferien vorbei sind“, sagt Wirt Rudolf Pfister.

    In Dschalalabad hätten sie kaum den Tempelbereich verlassen können, erzählt Shiv, weil Muslime sie als „dreckige Hindus“ beschimpft, bespuckt und geschlagen hätten. Nur der Vater ging seiner Arbeit als Helfer eines hinduistischen Stoffhändlers nach. Die Muslime hätten sie zum Essen von Rindfleisch, Kühe sind für Hindus heilige Tiere, und zum Übertritt zum Islam zwingen wollen. 40 bis 50 Hindufamilien gebe es in Dschalalabad, übersetzt der Zehnjährige. Daneben 50 bis 60 Sikhfamilien. In ganz Afghanistan leben schätzungsweise 1000 Hindus.

    In dem Tempel lebten die Wernfelder Asylbewerber anscheinend abgeschnitten von der Außenwelt. Einen Fernseher habe es nicht gegeben, der Strom sei ohnehin ständig ausgefallen. So habe die Familie wenig von Deutschland gewusst, nur dass die Schwester des Vaters irgendwo dort lebe. Selbst Indien, das Heimatland des Hinduismus, ist dem Sohn kein Begriff. Namen bekannter indischer Städte sagen offenbar der ganzen Familie nichts. Der Vater sagt, sein Chef habe mal von Indien erzählt. Familie Gai spricht Multani, einen Dialekt der pakistanisch-indischen Sprache Pandschabi.

    Mit Schleusern auf der Flucht

    Irgendwann hat die Familie die Flucht nach Deutschland gewagt. Ein Schleuser brachte sie mit dem Auto ins pakistanische Islamabad, von dort ging es mit dem Flugzeug über Dubai nach Frankfurt. Der Schleuser brachte sie anschließend nach Hamburg, nahm ihnen Pässe und Dokumente ab, setzte sie an der Meldestelle für Asylbewerber ab und machte sich aus dem Staub. In Hamburg konnten sie nicht bleiben, man schickte sie ohne Essen mit dem Zug nach München, erzählt der Zehnjährige.

    Nach fünf Wochen in München wurden sie schließlich am Bahnhof in einen Zug in Richtung Norden gesteckt. Ziel: Wernfeld, Dirmbacher Hof. Das Landratsamt hatte im November bei dessen Wirt Rudolf Pfister angefragt, ob er in seinem Gasthaus Asylbewerber aufnehmen könne. Es war Not am Mann, die Gemeinschaftsunterkünfte waren schon alle voll. Pfister sagte nach einer Bedenkzeit zu. Daraufhin kamen zunächst zwei evangelische Iranerinnen und schließlich die afghanische Familie. „Es hat geheißen, sie werden gebracht“, wundert er sich, dass man sie einfach mit einem Bayernticket in den Zug setzte.

    Weil die Familie Gai keine warme Kleidung hatte, fuhr er mit ihnen zum Einkaufen erst einmal zum Sozialkaufhaus Intakt nach Gemünden. Etwas verwundert zeigt sich Pfister auch über Dinge, die ihnen offenbar in einem afghanischen Laden in München angedreht wurden: abgelaufene Nudeln und eineinhalb Kilogramm Ingwer. Seine Gäste seien pflegeleicht und unglaublich dankbar für alles, sagt der Wirt. Es ist schwierig, ihnen etwas zu schenken, weil sie mit einem Gegengeschenk gleich wieder ihren Dank ausdrücken möchten, erklärt er.

    Inzwischen haben der Gastwirt und seine Frau Elisabeth Weihnachten und Silvester mit den außergewöhnlichen Gästen gefeiert. Der zehnjährige Shiv bezeichnete das Weihnachtsfest, das ihm völlig unbekannt war, als eine „super Party“. „Wie ein neues Leben“, nennt Shiv den Aufenthalt in Deutschland. Hier haben sie das erste Mal einen Schlitten gesehen, obwohl es in Dschalalabad viel Schnee gibt, und Mutter Anjoli trägt zum ersten Mal in ihrem Leben Jeans. Ihrer Religion bleiben sie aber treu. Die Familie isst zweimal die Woche kein Fleisch und fastet bei Vollmond den ganzen Tag. Vor der Schule wird außerdem gebetet.

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