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GEMÜNDEN: Arbeitsmarkt: Warum manche Menschen durchs Raster fallen

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Arbeitsmarkt: Warum manche Menschen durchs Raster fallen

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    Peter Müller, seit neun Jahren Reha-Teamleiter bei der Bundesagentur für Arbeit in Würzburg. Er betreut Kranke und Behinderte beim Erst- und Wiedereinstieg ins Berufsleben.
    Peter Müller, seit neun Jahren Reha-Teamleiter bei der Bundesagentur für Arbeit in Würzburg. Er betreut Kranke und Behinderte beim Erst- und Wiedereinstieg ins Berufsleben. Foto: Foto: Agentur für Arbeit

    Sie helfen, wenn Menschen ihren Beruf aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr ausüben können. Sie stehen den Betroffenen zur Seite, wenn es um Umschulungen, Weiterbildungen oder besondere Hilfen geht, ohne die der Wiedereinstieg in den Job nicht möglich wäre. Die sechs Reha-Berater in der Bundesagentur für Arbeit in Würzburg betreuen pro Jahr etwa 600 Jugendliche und 200 Erwachsene aus den Landkreisen Würzburg, Kitzingen und Main-Spessart. Sie sind für all jene zuständig, die noch keine 15 Jahre in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben. Peter Müller, seit neun Jahren Reha-Teamleiter, erklärt, warum immer wieder Menschen auf dem Arbeitsmarkt trotz Hilfen auf der Strecke bleiben.

    Brauchen alle behinderten Menschen Hilfe beim Einstieg ins Berufsleben?

    Peter Müller: Wenn wir über Behinderte sprechen, stellen sich die meisten Menschen eine körperliche Behinderung vor. Psychische Beeinträchtigungen oder Lernbehinderungen sind dagegen viel häufiger. Der Rollstuhlfahrer, der top qualifiziert ist, braucht unsere Hilfe in der Regel nicht.

    Welche Menschen brauchen Ihre Hilfe am häufigsten? 

    Müller: Es sind oftmals Menschen, die altersbedingt körperlich beeinträchtigt sind, also beispielsweise Probleme mit der Wirbelsäule oder den Knien haben oder Menschen, die psychisch erkrankt sind. Jedes zweite Gutachten eines 14 oder 15-Jährigen, das über meinen Schreibtisch geht, ist psychischer Natur. Ich meine, wenn so viele junge Menschen psychisch krank werden, läuft in unserer Gesellschaft etwas schief.

    Wie sieht der schwierigste Reha-Fall aus, den Sie je hatten? 

    Müller: …drei abgebrochene Studiengänge, intellektuell hochbegabt, aber ohne Abschluss und mit 30 Jahren psychisch krank. In diesem Fall kommen nur noch Tätigkeiten auf Helferniveau in Frage, die den Betroffenen intellektuell unterfordern.

    Wie oft kommt das vor?

    Müller: Studienabbrecher mit psychischer Erkrankung habe ich etwa zehn bis 15 pro Jahr.

    Wie läuft ein typischer Reha-Fall ab? 

    Müller: Nehmen wir den Maurer mit Wirbelsäulen-Problemen. Er meldet sich arbeitslos und macht gesundheitliche Einschränkungen geltend. Ärzte bestätigen, dass er seine schwere körperliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage empfehlen wir ihm eine Umschulung zum Bauzeichner.

    Ist das für den Maurer schwer? 

    Müller: Umschulungen für Erwachsene sind ein Jahr kürzer als eine normale Ausbildung. Trotzdem sitzt er mit 16-Jährigen in der Berufsschule. Die Frage ist: Bis zu welchem Alter traut sich das jemand zu? Und: Wer stellt einen Berufsanfänger ein, der nach der Umschulung vielleicht schon Ende 40 ist?

    Stehen die Chancen, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, für psychisch Erkrankte besser oder schlechter als für den Maurer, der körperlich eingeschränkt ist?

    Müller: Das ist schwer zu sagen. Meist empfiehlt der Arzt: kein Stress, kein Zeitdruck, kein Aufgaben, die spontane und schnelle Reaktion erfordern, kein Publikumsverkehr, keine Schichtarbeit. Doch wo finden Sie heute noch so einen geschützten Arbeitsplatz? Viele Arbeitgeber nehmen wenig Rücksicht auf gesundheitliche Belange.

    Raten Sie dazu, Krankheiten bei der Bewerbung anzusprechen?

    Müller: Wir raten: Stellt eure Leiden nicht in den Vordergrund, sonst seid ihr gleich wieder zur Tür draußen.

    Das heißt: ansprechen ja, aber nicht zu ausführlich?

    Müller: Man sollte abwägen: Wirkt sich meine gesundheitliche Einschränkung auf die Stelle, für die ich mich beworben habe, aus? Kann ich etwas Wichtiges, das von mir erwartet wird, nicht erfüllen? Dann empfehle ich: Ja, unbedingt ansprechen. Aber warum sollte ein Bauzeichner erwähnen, dass er nicht mehr schwer heben darf?

    Bei psychischen Erkrankungen ist das heikler…

    Müller: Grundsätzlich rate ich zur Ehrlichkeit. Betroffene sollten es aber klug machen. Auf keinen Fall sollten sie ihre Erkrankung in den Vordergrund spielen. Das schreckt oftmals Arbeitgeber ab. Wenn bei meinem Gegenüber bei dem Wort „behindert“ alle Scheuklappen herunterfallen, ist die Gefahr groß, trotz guter fachlicher Qualifizierung durchs Raster zu fallen.

    Einem Behinderten kannst du nicht mehr kündigen, denken viele...

    Müller: Ja, auch wenn es falsch ist. Der Arbeitgeber kann jedem Schwerbehinderten (Grad der Behinderung von 50 und mehr) in den ersten sechs Monaten jederzeit ohne Angabe von Gründen kündigen. Erst später braucht er bei einer Kündigung die Zustimmung vom Inklusionsamt. Es ist also in der Regel nur etwas aufwändiger.

    Arbeitgeber müssen doch aber eine Quote erfüllen?

    Müller: Jeder Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten müsste eigentlich fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzen. Macht er das nicht, zahlt er eine Ausgleichsabgabe. Er kann sich somit freikaufen.

    Wie hoch ist diese Abgabe?

    Müller: Sie schwankt zwischen 125 und 320 Euro je Monat und unbesetztem Pflichtarbeitsplatz – abhängig davon, in welchem Umfang ein Arbeitgeber im Jahresdurchschnitt die Schwerbehinderten-Quote erfüllt oder nicht. Es gibt genug Betriebe, die keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen.

    Wie vielen Menschen können Sie helfen?

    Müller: Wir bringen derzeit 60 Prozent aller Absolventen von Reha-Ausbildungen, Umschulungen und Weiterbildungen am Arbeitsmarkt unter. Auch diejenigen, die vor zehn Jahren noch keine Chance gehabt hätten. Der Arbeitsmarkt saugt momentan alles auf.

    Doch 40 Prozent fallen immer noch durchs Raster.

    Müller: Aus verschiedenen Gründen. Oft liegt es nicht allein an der Behinderung, sondern auch am Alter oder fehlendem Bildungsabschluss. Immer mehr einfache Tätigkeiten wie Registratur, Archiv oder Poststellen fallen durch die Digitalisierung weg. Nicht jeden kann man zum Handwerker oder Diplomfachinformatiker ausbilden. Für manche ist der erste Arbeitsmarkt zu hart, doch für eine Behindertenwerkstatt sind sie überqualifiziert. Inklusionsbetriebe, denen die schwarze Null am Jahresende ausreicht, gibt es wenige.

    Was halten Sie von Inklusion?

    Müller: Ich finde Inklusion gut. Doch viele Menschen interessiert das nicht. Setzen Sie eine behinderte Frau an eine Supermarkt-Kasse: Was glauben Sie, ist nach 15 Minuten los? Kaum jemand ist bereit, Rücksicht zu nehmen.

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