Traurige Abschiede sehen anders aus. Überall fallen sich die Leute zur Begrüßung in die Arme, Musik schallt durch die Straßen, die Stimmung ist ausgelassen. Bevor es still wird ums Arnsteiner Brauerinternat, wird noch einmal voll aufgedreht. Ab Mittwoch hat die Notunterkunft für Flüchtlinge zu. Klar, dass zum Abschluss noch mal richtig gefeiert wird. Und klar, dass dazu noch mal alle eingeladen sind: 50 ehemalige Bewohner sind gekommen, haben zusammen mit dem Helferkreis private Fahrten organisiert und nächtigen allesamt bei neu gewonnen Freunden in Arnstein. Der Abschied wird zum großen Wiedersehen.
„Ist das ein Fest?“ ruft Cornelia Fuchs nur fix anstelle eines „Hallos“. Dann muss die Leiterin des Arnsteiner Flüchtlings-Helferkreises schnell weiter, die Getränke sind schon kurz nach Beginn ausgegangen. In den letzten zehn Monate ist das alte Brauerinternat nicht nur für insgesamt 708 Flüchtlinge zur zweiten Heimat geworden, sondern auch für Fuchs und rund 100 weitere ehrenamtliche Helfer.
Ein Rückblick: Es war ein heißer Montagnachmittag Ende Juli 2015. Die Meldungen über immer mehr ankommende Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof hatten noch nicht ganz ihren Zenit erreicht. Anna Stolz saß an diesem Nachmittag am Schreibtisch in ihrem Bürgermeisterzimmer in Arnstein, als das Telefon läutet. Das Landratsamt rief an: In wenigen Tagen kommen 200 Flüchtlinge ins ehemalige Brauerinternat. „Was das heißt, wusste ich nicht“, sagt Stolz heute.
Am nächsten Tag klingelt das Telefon wieder. Am anderen Ende ist Artur Eisenacher, Diakon von Arnstein. „Wollen wir einen Helferkreis gründen?“ fragt er. Stolz fackelt nicht lange, jede Hilfe ist willkommen. Die Aufgaben, die auf die kleine Stadt zukommen, scheinen uferlos. Binnen weniger Tage finden sich damals 70 Helfer, im Laufe der Monate kommen immer mehr dazu. „Das hat mich überwältigt – und das tut es bis heute“, sagt Anna Stolz bei ihrer Rede beim Abschlussfest.
Und tatsächlich: Es rührt, zu sehen, wie aus den Fremden eine Gemeinschaft geworden ist. Ob es der Mitarbeiter des Security-Teams ist, der einen syrischen Jungen mit „Hallo, mein Freund“ begrüßt und eine freche Antwort in tadellosem Deutsch erhält, oder ob es das Küchenpersonal ist, das ausgelassen mit den Flüchtlingen zu arabischer Musik auf der Straße tanzt: Hier feiern nicht Betreuer und Betreute, hier feiern Freunde.
Was am Ende der zehn Monate klappt wie am Schnürchen, das fing wenig koordiniert an. Zwar hatten sich schnell viele Helfer gefunden, aber die musste geordnet werden. „Ich bin froh, dass sich Cornelia Fuchs schnell bereit erklärt hat, mit mir einen Doppelspitze zu bilden und dass wir den wöchentlichen Jour-Fixe im Rathaus eingerichtet haben“, sagt Artur Eisenacher. „Nachdem wir uns gefunden haben, war das eine herausragende Zusammenarbeit.“ Die Helfer wurden in Gruppen eingeteilt, etwa in Kleiderkammer, Deutschunterricht, Kinderbetreuung. Bei Fuchs und Eisenacher liefen die Stränge zusammen, wöchentlichen Treffen mit Anna Stolz, der Caritas, des Landratsamtes und der Polizei machten die Organisation komplett.
Allzu dick auftragen möchte Eisenacher nicht, auch wenn er allen Grund dazu hätte. Schnell hat sich Arnstein als Vorbild-Unterkunft auch über die Landkreisgrenzen hinaus etabliert. Ihr Wissen, wie man viele motivierte Helfer möglichst gut einsetzt, gibt Fuchs mittlerweile sogar weiter: Unterkünfte aus Karlstadt, Marktheidenfeld und Hammelburg haben sie schon eingeladen. Und auch Anna Stolz weiß zu berichten: „Ich wurde immer wieder gefragt: Wie schafft ihr es, dass es bei euch so gut läuft?“
Masoum Ali aus Syrien kann die Antwort liefern: „Die richtige Stadt, die richtigen Leute, darum klappt es hier so gut“, sagt er. Masoum ist mittlerweile aus der Unterkunft ausgezogen, sein Asylantrag ist durch, er lebt in einer eigenen Wohnung in Arnstein und besucht den Integrationskurs in Karlstadt an der Volkshochschule. „Eine kleine Stadt ist weniger anonym, man kann sich schneller gegenseitig helfen“, meint er. Für Ali war klar, dass er etwas zurück geben will. Seitdem er aus der Notunterkunft ausgezogen ist, ist er Mitglied im Helferkreis. Ein Signal, dass Artur Eisenacher besonders wichtig war: „Wir mussten den Flüchtlingen zeigen: Auch ihr könnt uns helfen, wir befinden uns auf Augenhöhe.“
Für das Fest hat Masoum Ali, gelernter Koch, etwas beigesteuert, was ihm ohnehin liegt: Er hat zusammen mit anderen ehemaligen Flüchtlingen syrische Spezialitäten zubereitet. Hummus, Kichererbsen-Salat, Fleisch, Kräuter-Salat und viele weitere Köstlichkeiten bekommt jeder am Buffet auf seinen Teller.
Es ist eine der letzten Essenausgaben in der Küche des ehemaligen Internats. „In Abstimmung mit der Regierung von Unterfranken wurde angesichts der in den letzten Wochen zurückgegangenen Zahlen an neu angekommenen Flüchtlingen entschieden, die Notunterkunft in Arnstein zu schließen beziehungsweise in den „Stand-by-Modus“ zu versetzen“, heißt es offiziell vom Landratsamt.
Weiter wird erklärt, wie es für die 51 Menschen weitergeht, die noch in der Unterkunft leben: „Acht davon sollen außerhalb des Landkreises, die restlichen Personen im Landkreis Main-Spessart untergebracht werden.“
Für den Helferkreis heißt das vor allem: weitermachen. „Wir werden schauen, wo wir gebraucht werden“, sagt Cornelia Fuchs. „Etwa in der Gemeinschaftsunterkunft in Gänheim oder bei den dezentral untergebrachten Flüchtlingen in Arnstein und Umgebung.“ Sie selbst, sagt Fuchs, wird wohl sehr lange brauchen, bis sich das Erlebte aus den letzten Monaten mal setzen wird – die schönen wie die schlimmen Dinge. Einen Höhepunkt in der Zeit kann sie nicht definieren. „Da hab ich zu viele Geschichten erlebt.“
Zurück bleibt ein gutes Gefühl, da sind sich alle einig. „Wer einen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt“, zitiert Anna Stolz am Ende ihrer Rede ein Sprichwort. Und fügt an: „Und hier wurde die Welt in den letzten zehn Monaten ein paar hundert Mal gerettet.“
Die Bilanz der Polizei
Thomas Miebach, Chef der Karlstadter Polizei, zieht eine positive Bilanz: „Wir sind eigentlich täglich mit einer Streife mal vorbei gefahren, gebraucht hat man uns selten.“
Sieben Einsätze gab es laut Miebach innerhalb der Unterkunft. Darunter waren Körperverletzungen bei Schlägereien und Sachbeschädigungen. „Bis auf einen Konflikt waren das aber harmlosere Auseinandersetzungen.“ Fünf Ladendiebstähle begangen Flüchtlinge aus der Unterkunft in der Zeit.
Eine sexuelle Belästigung einer jungen Frau durch einen alkoholisierten, ukrainischen Flüchtling musste allerdings auch verzeichnet werden. „Der Mann ist mittlerweile nicht mehr in Arnstein“, so Miebach.
Im November gab es zweimal rechte Schmiererein an Hauswänden in Arnstein.
Zusammenfassend nennt Miebach vor allem auf die gute Arbeit der Helfer und des Sicherheitsdiensts und die geeigneten Räumlichkeiten im Internat als ausschlaggeben für den Erfolg.