"Körperlich müde, aber innerlich oftmals frisch und zufrieden kehrte der Zug der Kreuzberg-Pilger von Schwebenried her von seiner viertägigen Wallfahrt zurück. Rund 120 Kilometer hatten sie dabei unter die Füße genommen. Mit Blumensträußen freudig begrüßt wurden die fast 200 Wallleute von ihren Familien und Freunden" So berichtete im August 2018 unser Reporter über das Einwallen der Arnsteiner Kreuzbergfahrer. Es war damals die 371. Arnsteiner Kreuzberg-Wallfahrt. 2020 und 2021 sind die Wallfahrten coronabedingt ausgefallen.
Die Arnsteiner Kreuzberg-Wallfahrt wird von der Kreuzbruderschaft Arnstein durchgeführt und zählt zu den ältesten in Unterfranken. Es wird gern das Jahr 1647 als Ausgangspunkt der Wallfahrt angegeben, doch ist diese Aussage nur bedingt richtig. Im August 1647 erfolgte die erste Wallfahrt der Würzburger, der sich auch die Arnsteiner – nachdem die Reise durch ihre Stadt ging – angeschlossen haben, berichtet der Arnsteiner Heimatforscher Günther Liepert, der selbst mehrfach mit dabei war. Erstmals belegt ist die eigene Wallfahrt auf den Heiligen Berg der Franken in einer Bruderschaftsrechnung von 1716/18, in der Ausgaben für eine Prozession dorthin aufgeführt sind. Die Kosten für die Musikanten in drei Jahren betrugen 15 Gulden.

Unklar ist die Zahl der Wallfahrten. Zwar gilt in diesem Jahr offiziell die 374., doch liegt diese Zahl mit Sicherheit zu hoch, denn 1803 wurden nach der Säkularisation Prozessionen von mehr als einem halben Tag bis 1826 verboten. Auch bei den Nationalsozialisten wurden oftmals Wallfahrten untersagt. Die Arnsteiner umgingen diese Verbote, indem sie heimlich oder in kleinen Gruppen wallten, berichtet Altbürgermeister Roland Metz.
Während die Würzburger und die Karlstadter ihren Weg in die Rhön jeweils in der zweiten Augusthälfte antreten, machen sich die Arnsteiner seit rund 60 Jahren am letzten Freitag im August auf den Weg, bis dahin war es erst im September, denn die Bauern wollten vorher ihre Ernte in Sicherheit wissen.
Der Ablauf ist seit vielen Jahren der selbe: Start ist um 6.45 Uhr mit dem Segen in der Stadtpfarrkirche. Danach erfolgt das "Auswallen". Das Gepäck wird verladen. Jeder Pilger erhält einen Begleitzettel, der den Weg und die Zeiten dazu beschreibt. Außerdem haben fast alle ein Wallfahrtsbüchlein, in dem ebenfalls der Weg, die Gebete und die Gesänge enthalten sind.
Der Hinweg führt über Schwemmelsbach und Wasserlosen, Mittagsrast ist bei einer Waldkapelle vor Sulzthal. In Aschach sind bereits Gästezimmer für den Hin- und Rückweg vorbestellt. Manche Pilger sind schon seit vielen Jahren bei den selben Gastgebern. Liepert berichtet über den Weg zum Berg der Franken: Natürlich wird in der Gruppe viel gebetet und gesungen, schließlich sind auch die Kreuzbergmusikanten mit dabei. Dazwischen trägt jemand aus der Bibel vor. Es bleibt aber zwischendrin auch immer Zeit für Unterhaltungen oder persönliche Nachdenklichkeit.

Neben manchen erquicklichen Streckenabschnitten durch schattige Wälder plagen die Wallfahrer aber auch steile Anstiege wie bei Euerdorf in Höhe der Burgruine Aura. Der ist bei Mittagshitze extrem anstrengend. Oben sind alle dankbar für die erfrischenden Getränke des Begleitwagens. Gefürchtet ist auch der "Kniebrech", das letzte Stück von Hasselbach bis zum Kloster. Manchmal, so Liepert, lässt die Disziplin ein wenig zu wünschen übrig. Einige eilen voraus, andere sind so in Zwiegespräche vertieft, dass sie den nächsten Rosenkranz verpassen. Schuld daran aber sind meist die schwachen Lautsprecher. Gegen Mittag des zweiten Tages haben die Wallfahrer insgesamt rund 51 Kilometer unter die Füße genommen und erreichen das Kloster auf dem Kreuzberg.

Über den Aufenthalt berichtet Roland Metz: Der Pater empfängt die Arnsteiner und gibt ihnen den Segen, danach wallen sie in die Kirche ein. Anschließend werden die Unterkünfte verteilt. Es gibt Einzelzimmer und größere Gruppenschlafräume. Die Musiker haben traditionell immer einen eigenen Schlafsaal. Am späten Nachmittag zieht man gemeinsam zu den Kreuzen, um dort den Kreuzweg zu beten.
Dann aber, nach dem Duschen und Umziehen, ist die Zeit, den Staub der Straße auch von der Kehle abzuspülen; mit dem bekannten Klosterbräu vom Kreuzberg natürlich. Der Abend ist dem gemütlichen Beisammensein im Antoniussaal vorbehalten. Allerdings nur bis 21 Uhr, ab dann wird nichts mehr ausgeschenkt. Findige und trinkfreudige Pilger aber kennen sich aus und bestellen, kurz bevor der Zapfhahn schließt, schnell noch eine Extramaß. Früher schienen sich die Arnsteiner Waller einen ganz besonderen Ruf erarbeitet zu haben, schließlich gab es über sie folgende Zeilen: "Würzburg sind die Beter, Ochsenfurt die Treter, Thüngersheim die Läufer und Arnstein die Säufer".
Kränzchenbinden in Aschach
Am nächsten Tag ist um acht Uhr wieder ein Gottesdienst und am Nachmittag wird ausgewallt. Der Heimweg verläuft ähnlich wie zuvor. Ein Höhepunkt der Wallfahrt ist das Kränzchenbinden bei der Übernachtung in Aschach. In gemeinsamer Arbeit werden nach dem Abendessen hübsche Kränzchen für die Wallfahrtskreuze und auch für die Kreuze an den Fahrzeugen und Fahnen gebunden.
Eine Besonderheit ist an der "Letzten Ruh" im Kaistener Grund. Dort warteten vor einigen Jahren die Konditoren von Arnstein und verkauften Süßigkeiten, die an die Wallwedel für die Heimkehr gehängt wurden. Heute werden Kaffee und Kuchen zur Rast hierher gebracht.
Im weiteren Verlauf der letzten Strecke werden die Pilger in Dörfern wie Greßthal und Schwemmelsbach oftmals mit Blumen und einem kühlen Trunk erwartet. "Das nächste Stück bis Schwebenried zieht sich lange hin", erzählt Günther Liepert. Man sieht immer wieder den Kirchturm und meint, nach der nächsten Kurve müsste man im Dorf sein. Aber es kommt noch eine Kehre und noch eine Kehre und auch die Schlussetappe gestaltet sich ähnlich.

Dann endlich wird der Stadtrand von Arnstein sichtbar. Die großen Prozessionsfahnen werden ausgerollt, die staubigen Kleider abgeklopft und der Wallfahrtsführer ist jetzt mit imposantem roten Mantel und rotem Hut gekleidet. Den Weg entlang des Schwabbachs säumen Dutzende von Freunden und Angehörige der Wallfahrer. Viele empfangen ihre Lieben mit einem Blumenstrauß und mit einer herzlichen Umarmung. Der letzte Weg führt in die Stadtpfarrkirche zu einem gemeinsamen Schlussgottesdienst, bei dem unter anderem die Muttergottes mit dem Lied "O himmlische Frau Königin" geehrt wird.

Wieso machen Menschen das? Wieso laufen sie zu Fuß – oft bei sengender Hitze – mit anderen zu einem Berg in der Rhön und nehmen dabei Erschöpfung, Durst und wund gelaufene Füße in Kauf? Altbürgermeister Metz ist selbst jahrzehntelang mitgewallt und hat die Empfindungen der Menschen aufgenommen. Da ist natürlich einmal der Glaube. Schon in der Vorzeit haben sich Menschen an besonderen "Orten der Kraft" zusammengefunden. Das Christentum hat diese Riten übernommen. Auch im Islam und in den asiatischen Religionen gibt es Wallfahrten. Es galt und gilt hier zur Ruhe zu kommen, vielleicht eine Buße zu tun oder über Wichtiges nachdenken zu können.
Doch Metz weiß auch einen eher profanen Grund aus der Vergangenheit. "Die Menschen vor hundert Jahren hatten keinen Urlaub und kaum echte Freizeit. Da waren die vier Tage weg von daheim – weg vom ewigen 'Gfrett' – durchaus auch ein Stück innerer Freiheit. Außerdem konnte man Zeit in Gesellschaft verbringen, alte Bekannte wiedersehen und neue finden."

Eine Besonderheit gibt es bei der Arnsteiner Wallfahrt. Laut Günther Liepert dürfte es kaum mehr Begleitfahrzeuge geben als in Arnstein. Der Wallfahrer des 21. Jahrhunderts geht eben nicht mehr alleine mit Rucksack oder Ranzen auf die Pilgertour. Vor dem Kirchenbesuch werden die Koffer abgegeben, für die ein Obolus von sieben Euro zu entrichten ist. Vor den Wallleuten fährt der Bruderschaftsvorsitzende, ihm folgt ein Transportfahrzeug mit neun Sitzen vom Roten Kreuz. Nach der Pilgergruppe kommen der "Marodiwagen", der Getränkewagen und zuletzt der Gepäckwagen.
Marodiwagen war früher ein Pferdefuhrwerk
Der Marodiwagen hat wohl seinen Namen von "marode", schließlich soll er die Fußkranken und die mit anderen gesundheitlichen Problemen aufnehmen. Schon vor über hundert Jahren zog dieser als Pferdefuhrwerk mit. Besondere Pilger hatten jedoch eine eigene "Chaise" dabei, einen komfortablen Reisewagen für zwischendurch.
Die Teilnehmerzahlen schwanken heute sehr stark zwischen 170 und 230 Personen; 2017 waren es 160. Die Menschen kommen nicht nur aus Arnstein und den umliegenden Dörfern, sondern aus dem gesamten Werntal bis nach Karlstadt. Auch heute noch fällt auf, dass sogar viele junge Menschen sich auf den Weg machen, um Besinnung zu finden auf dem Heiligen Berg der Franken.
Zum Autor: Günter Roth war lange Lehrer im Werntal und ist mit der Heimatgeschichte vertraut. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Geschichtsfreunde Stetten.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.
Quellen: Erfahrungsberichte von Roland Metz und Günther Liepert; "Arnsteiner Kreuzberg-Wallfahrt" Schrift von Günther Liepert; Die Wallfahrt zum Kreuzberg" Wolfgang Brückner 1997.