Die Waldaschaff Automotive GmbH hat bewegte Zeiten hinter sich. Der Autozulieferer, der gerade vom namengebenden Waldschaff nach Esselbach übersiedelt, erlebte mehrere Besitzerwechsel und eine Insolvenz.
Noch immer in den Miesen
Noch immer ist das Unternehmen in den roten Zahlen, doch mit Hilfe des neuen chinesischen Mutterkonzerns und zukunftsträchtiger Produkte will Automotive nicht nur wachsen, sondern in die Gewinnzone zurückkehren.
Dazu sollen nicht nur die neuen Produkte in Esselbach beitragen, die ab März 2017 Stück um Stück vom Band laufen, sondern auch neue Werke in Mexiko und dem östlichen Mitteleuropa. Helge Bender, Technischer Geschäftsführer des Werks, stand der Redaktion dazu Rede und Antwort.
Ursprünge in den 1920er Jahren
Die Wurzeln von Automotive reichen bis in die 1920er Jahre zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Werk in Waldaschaff mit der Herstellung von Türen und Karosserieteilen für die Automobilindustrie. Ymos, Wagon, Schnellecke – die Namen des Unternehmens wechselten wie der geschäftliche Erfolg und die Belegschaftsstärke schwankte zwischen 250 und 1600 Beschäftigten.
„In der Autoindustrie hat nach Diesel-Gate ein Umdenken eingesetzt.“
Helge Bender Geschäftsführer von Automotive
Nach der Insolvenz 2008 hat sich der Autoteile-Bauer strikt der Zukunft verschrieben – dem Leichtbau von Karossen aus Aluminium und hochfestem Stahl. Der Grund: „In der Autoindustrie hat nach ,Diesel-Gate' ein Umdenken eingesetzt“, erklärt Bender. Die Hersteller müssten Verbrauch und Abgase senken. Deshalb würden sie verstärkt auf leichte Karosserien setzen. Der zweite Wachstumsmarkt wird Bender zufolge die Herstellung von Elektrofahrzeugen werden.
Mexiko und China erobern
Vor allem für das abgasbelastete China werde das ein großes Thema, ist sich der Automotive-Geschäftsführer sicher. Und damit erklärt sich, warum der chinesische Mutterkonzern, die Lingyun Industrial Corporation, Automotive vor einem Jahr gekauft hat: Die Chinesen wollen den Zugang zu europäischen Absatzmärkten, während Automotive einen global agierenden Konzern braucht, um die Automobilhersteller in Nordamerika und China bedienen zu können. Bestenfalls profitieren also beide Seiten von der Übernahme.
Trends zu Leichtbau und Elektrofahrzeugen
Die Trends zu Leichtbau und zu Elektrofahrzeugen sollen Automotive wieder profitabel machen. Bender erklärt den Weg dahin: Inzwischen fertigt Automotive nicht mehr nur Strukturteile der Karosse, sondern ganze Systeme wie ein Crash-Management, das zum Beispiel Stoßstange und weitere stoßdämpfende Komponenten in einem Bauteil vereint.
In Zukunft will Automotive ganz vorne dabei sein, wenn es um die Entwicklung und die Herstellung von Leichtbaukarossen und Kabinen für Elektroautos geht, die ganz andere Anforderungen an die Zulieferer stellen als heute. So entwickelt Automotive bereits heute Rahmensysteme für die Aufnahme der Akkus, die künftig flächendeckend im Unterboden der Autos verbaut werden. Diese neuen Rahmen müssen nicht nur vor Feuchtigkeit schützen, sondern auch potenzielle Zusammenstöße abfedern und gegen Kurzschlüsse wappnen.
Neue Mutter, neue Produkte, neuer Standort
Neue Mutter, neue Produkte, neuer Standort: Vor diesem Hintergrund ist es für das Unternehmen eine Herausforderung, bei laufendem Betrieb seinen Umzug zu bewältigen. In Waldaschaff hatte der US-amerikanische Grundstücksbesitzer dem Werk den Ausbau untersagt, deshalb musste sich Automotive nach einer neuen Heimat umsehen. Nun wird alles bis 2021 nach Esselbach verlagert. Dennoch will das Unternehmen seinen Namen nicht schon wieder ändern: Es bleibt also auch in Esselbach bei Waldaschaff Automotive GmbH.
Entwicklung und Produktion auf 50.000 qm
In Esselbach entstehen zwei Hallen mit je 25 000 Quadratmetern. In der einen sind drei Viertel der Produktionsfläche für den Aluminiumbau vorgesehen, der Rest für den Stahlbau. In der zweiten Halle finden die Entwicklung von Maschinen und Prototypen sowie ein Versuchslabor Platz.
Die Ziele sind ehrgeizig: Schon im März 2017 soll die Produktion einer neuen Fahrerkabine für die Lkw-Marke Scania im Industriegebiet „Bärnroth“ an der A 3 anlaufen, in dem zurzeit noch die Bagger den Boden planieren. Auch in Esselbach will Automotive nur Mieter sein. Der Grund: Alle verfügbaren Mittel fließen in die Investition von neuen Produkten. „Noch machen wir Miese“, bilanziert der Technische Geschäftsführer. Automotive kam zuletzt auf einen Jahresumsatz von rund 50 Millionen Euro, bräuchte aber dauerhaft 85 Millionen.
„Damit können wir uns Esselbach leisten.“
Frank Pappert Leiter des Technik-Centers
„Die neuen Aufträge reichen schon für 80 Millionen“, freut sich Bender über die guten Aussichten. Und er setzt noch eins drauf: Bis 2025 plant das Unternehmen sogar mit 150 Millionen Umsatz. Das gelingt freilich nur, weil man den neuen Standort konsequent auf Effizienz trimmt. Arbeitsabläufe und Anlagen werden weitgehend automatisiert. Das Personal arbeitet Seite an Seite mit Robotern.
100 der 550 Mitarbeiter sind Ingenieure
Deshalb hat Automotive zwar weiterhin Bedarf an Mitarbeitern – allerdings besonders an qualifizierten. Schon heute sind 100 der 550 Beschäftigten Ingenieure. Und wer eine weitgehend automatisierte Anlagenstraße fährt, muss im Notfall nicht nur die richtigen Knöpfe drücken können, sondern sich bestens mit der Programmierung auskennen.
Stolz ist Automotive darauf, bestimmte Linien und Werkzeuge selbst zu bauen und die Steuerung im eigenen Haus zu entwickeln. Das Know-how sichert Vorsprung vor der Konkurrenz und erlaubt die Produktion in Deutschland trotz hoher Löhne. Oder wie es der Leiter des Technik-Centers, Frank Pappert, formuliert: „Damit können wir uns Esselbach leisten.“
Waldaschaff Automotive GmbH Der metallverarbeitende Betrieb wurde 1926 von der Ymos AG Obertshausen als Zweigwerk in Waldaschaff gegründet. Er fertigte nach dem Zweiten Weltkrieg Türen und Karosserieprofile für die Automobilindustrie. Rund 1600 Mitarbeiter beschäftigte das Werk in seiner Hochzeit. In den 1990er Jahren übernahm der englische Konzern Wagon (Birmingham) den Standort. Als die britische Mutter 2008 zahlungsunfähig wurde, rutschte die deutsche Tochter, damals Wagon Automotive, in die Insolvenz. Das war die Geburtsstunde der Waldaschaff Automotive GmbH. Gegründet im März 2009, übernahm sie Aufträge und Mitarbeiter des Vorgänger-Unternehmens. 2011 fand sich mit dem Wolfsburger Logistikunternehmen Schnellecke eine neue Mutter, die kräftig in Waldaschaff investierte. 2015 änderte Schnellecke seine Strategie und verkaufte Automotive an die Lingyun Industrial Group, Tochter eines chinesischen Staatskonzerns. LIC erwirtschaftet als einer der größten Autozulieferer Chinas mit 10 000 Mitarbeitern 670 Millionen Euro Umsatz. Die Immobilien des Waldaschaffer Werks gehören einem US-amerikanischen Rentenfonds. In Fachkreisen wird spekuliert, dass dieser wegen der Übernahme von Automotive durch den chinesischen Staatskonzern die vorher schon angebahnten Erweiterungspläne auf seinem Gelände abrupt ablehnte. Die Waldaschaff Automotive GmbH suchte daraufhin einen neuen Standort entlang der A 3 und wurde im rund 30 Kilometer entfernten Esselbach fündig. Die Produktion soll dort im März 2017 starten, die komplette Verlagerung von Betrieb und Personal 2021 enden. Automotive beschäftigt samt 40 Azubis rund 550 Mitarbeiter. Text: abra