„Es ist das Gehirn, das uns vorgibt, was wir sind“. Das sagt Balian Buschbaum, ein Mann mit Charisma. In der Karlstadter Stadtbibliothek las er aus seiner Autobiografie „Blaue Augen bleiben blau“.
Sein Buch handelt von der Reise zu sich selbst. Sich auf die Suche nach dem wahren Ich zu machen, es zu definieren und in reales Leben umzusetzen ist der Tenor, der seine Autobiografie bestimmt. Dass es sich bei seiner Reise um eine sehr außergewöhnliche Wandlung handelt, beschreibt Buschbaum dabei mit größter Offenheit und rückt das sehr komplizierte Thema seiner Transsexualität in ein Licht jenseits von Freakshow und schrillem Auftreten.
Die Lesung im voll besetzten Lesecafé nahm den ersten Teil der Veranstaltung – eine Kooperation von Bücherei und Volkshochschule – ein. Buschbaum führte die Zuhörer mittels einzelner Passagen aus unterschiedlichen Kapiteln durch seine Lebensgeschichte. Nach einer kurzen Pause folgte eine Fragerunde, in der der Autor das Publikum ermunterte, ohne Scheu Fragen zu stellen.
Für den Einstieg in die Lesung hatte Buschbaum den Prolog seines Buches gewählt, mit dem er die fast ausnahmslos weibliche Besucherschaft an seine Art das Leben zu betrachten hinführte. Einige Zuhörerinnen, teils selbst von Transsexualität betroffen, hatten weite Wege von mehreren hundert Kilometern nicht gescheut und waren extra zu der Veranstaltung nach Karlstadt gereist.
Die Lesung seiner Biographie begann der Autor in der Kindheit, in der die eigene Wahrnehmung, dass ein Mann im Mädchenkörper steckt, seinen Anfang genommen hatte. Die Oma und das warme familiäre Umfeld tauchen auf, das Aufgehobensein bei ersten Konflikten mit der eigenen Identität. „Ein Kind muss in diesem Alter wissen, auf welche Toilette es gehen soll“, so Buschbaum. Er aber sei schon als Kind unschlüssig vor den WC-Türen gestanden.
Mit einer Passage aus dem Kapitel „Der Impuls Frau“ ging Buschbaum schnell und offensiv in die Vollen. Beeindruckende Offenheit und Klarheit zum Thema Sex erleichterten es dem Publikum, die ungewöhnliche Lebenssituation Buschbaums nachzuvollziehen. Er habe in seinem weiblich ausgeprägten Körper immer Sex mit heterosexuellen Frauen gehabt, sei nie eine lesbische Frau gewesen, sondern ein Mann, der auf männliche Weise geliebt und gefühlt habe. „Frauen haben sich in mich verliebt, weil ich männliche Attribute hatte, mich männlich verhalten habe. Es ist eine chemische Sache und es erstaunt mich selbst, aber es war nie ein Problem.“
Doch die Tatsache, im falschen Körper zu stecken, begann eine immer größere Rolle zu spielen. Alltagssituationen brachten Buschbaum in Erklärungsnot. Der psychische Druck nahm zu. Auf Körperebene zeigten sich immer wieder Probleme mit der Achillessehne, die die Karriere als erfolgreiche Sportlerin bremsten. „Es äußerte sich immer körperlich“, beschreibt der Autor die damalige Situation. „Als die Achillessehne gerissen ist, ist auch mein seelisches Leben gerissen.“
„Jeder hat eine Hülle und jede Hülle ist anders.“
Balian Buschbaum
In den gesundheitlichen Problemen von damals sieht der 31-jährige den Anstoß, die körperliche Anpassung an sein eigentliches Geschlecht zu fokussieren. Der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität folgten Begegnungen mit anderen Betroffenen und die Konfrontation mit den medizinischen Möglichkeiten, körperliche Merkmale dem eigentlichen Geschlecht anzupassen.
Die Lesung von Passagen aus den Kapiteln „Der Ausbruch“ und „Der Tag X“ vermittelte einen Eindruck von der tatsächlichen Wandlung, bei der Yvonne körperlich zu dem Balian wurde, der er immer war. Der Text beschreibt die Hormontherapie im Jahr 2007, die den entscheidendsten Einfluss auf Körper und Psyche bewirkte und die operative Behandlung, bei der die weiblichen Geschlechtsmerkmale entfernt und männliche Genitalien mit Hilfe plastischer Chirurgie aufgebaut wurden.
Wie Balain Buschbaum betonte, ging es dabei nicht um eine Geschlechtsumwandlung, wie fälschlicherweise oft behauptet wird, sondern um eine Geschlechtsanpassung. Er erklärte, dass die menschliche Grundausstattung eines Embyos zunächst immer weiblich sei. Erst das Ablaufen dreier Testosteronschübe löse die Entwicklung des männlichen Embyos aus. Bei transsexuellen Frauen habe zwar der erste Testosteronschub stattgefunden, der das Männliche präge, die beiden folgenden jedoch seien ausgeblieben, sodass die männliche Entwicklung des Embryos nicht habe stattfinden können.
Dass er für diesen großen Schritt von Yvonne zu Balian die eigene Karriere als Leistungssportlerin aufgeben und sogar auf eine Olympiateilnahme verzichten musste, nimmt Buschbaum gelassen hin. „Es macht gar nichts mit mir, weil ich ein tolles Leben hatte. Viele Erfolge, finanzielle Sicherheit, Freunde, Freundinnen..., aber ich war nicht glücklich. All das was ich mir angeeignet hatte war Kompensation. Ich musste kompensieren, weil ich mit mir unglücklich war.“ Auch die Tatsache, lebenslang das männliche Hormon Testosteron gespritzt zu bekommen, trübe sein Lebensglück nicht.
Auf die Publikumsfrage, ob er etwas aus seinem früheren Leben vermisse, sagt Buschbaum gelassen: „Ich vermisse nichts, weil ich ICH sein kann.“ Was ihn unterscheide, sei die Erfahrung, ein weibliches Leben unter dem Einfluss von Östrogen erlebt zu haben. Er kenne die Vielschichtigkeit, mit der Frauen denken und fühlen.„ Außerdem sei er ja noch derselbe Mensch. „Jeder hat eine Hülle und jede Hülle ist anders. Das ist es, was wir verstehen und fühlen sollten.“
Balian Buschbaum, frühere Spitzensportlerin
Yvonne Buschbaum wurde am 14. Juli 1980 in Ulm geboren und feierte als Stabhochspringerin große Erfolge. Sie erreichte zwei dritte Plätze bei den Leichtathletik-Europameisterschaften 1998 und 2002 und kam auf Platz sechs bei den Olympischen Spielen im Jahr 2000.
Ende November 2007 gab Buschbaum der Öffentlichkeit preis, dass er transsexuell sei, also als Mann im Körper einer Frau lebe. Kurz darauf unterzog er sich einer Hormonbehandlung und einer geschlechtsangleichenden Operation. Heute arbeitet er als Stabhochsprungtrainer und leitet Seminare zur Identitätsfindung.
Balian Buschbaums Autobiografie „Blaue Augen bleiben blau“ ist im März 2010 im Fischer Verlag erschienen. Die Daten: 256 Seiten, 17,95 Euro, ISBN 978-3-8105-2619-9