Eine Berufsausbildung ist in der Regel ein Vollzeitjob. Wer zusätzlich noch in drei Jahren die Fachhochschulreife erwerben will, braucht Durchhaltevermögen. „Es lohnt sich auf jeden Fall“, sagt Sebastian Hagen. Der 21-jährige Würzburger hat neben seiner Ausbildung zum Mechatroniker bei Miwe in Arnstein an zwei Abenden die Woche die Berufsschule plus (BS+) in Karlstadt besucht und sein Fachabi geschafft.
„Leider ist die Möglichkeit, die Fachhochschulreife neben der Ausbildung zu erhalten, nicht sehr bekannt“, sagt Edda Thomas, Leiterin der BS+. Seit 2012 ist das an der Berufsschule Karlstadt möglich, zunächst im Modellversuch, seit zwei Jahren auf Dauer. In Unterfranken gibt's überhaupt nur in Bad Kissingen und Karlstadt eine Berufsschule plus. Das bedeutet, dass von den jungen Frauen und Männern, die das Fachabi anstreben, viel verlangt wird. Wer beispielsweise in Würzburg eine Frisörlehre absolviert, müsste die Berufsschule in Kitzingen besuchen und die BS+ in Karlstadt.
Rund 30 junge Menschen starten jeden Oktober an der BS+, nur etwa ein Drittel von ihnen schafft nach drei Jahren auch den Abschluss. „In diesem Frühjahr waren es zwölf“, sagt Edda Thomas. „Unser bisheriger Rekord.“ Meistens zeige sich schon in den ersten Monaten, wer das Stehvermögen hat. „Im ersten Schuljahr springen viele ab“, so Thomas.
Immer montags und donnerstags
Die 18-jährige Louisa Damm aus dem Lohrer Stadtteil Steinbach beginnt in Kürze ihre Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin an der Dolmetscherschule in Würzburg und gleichzeitig das dreijährige BS+-Programm. „Was ich anfange, mache ich in der Regel auch fertig“, sagt sie. Ihre Voraussetzungen sind gut. Zum einen hat sie sich die Sache nach ihrem Realschulabschluss gut überlegt – sie hat erst ein Bufdi-Jahr in der Jugendherberge Bergrothenfels absolviert. Zum anderen beansprucht sie die Dolmetscherschule „nur“ 30 Stunden die Woche. Dazu kommt dann der Unterricht in Karlstadt montags und donnerstags jeweils von 18.30 bis 21 Uhr in Deutsch, Mathematik und Englisch sowie im ersten Jahr Gesellschaftswissenschaften und in den folgenden Jahren in „naturwissenschaftlichen Grundlagen“.
Manch anderer Azubi muss schon 40 Arbeitsstunden pro Woche nur in seinem Betrieb ran. Sebastian Hagen arbeitete bei Miwe täglich von 9 bis 15 Uhr. „So hatte ich die Möglichkeit, nach der Arbeit erst einmal zu entspannen, bevor ich nach Karlstadt fahren musste“, sagt er. Er fing auch erst in seinem zweiten Ausbildungsjahr mit der BS+ an. „Ich wusste schlicht nicht, dass es das gibt.“ Im Nachhinein war das von Vorteil, weil es die Prüfungen entzerrte. Erst absolvierte er seine Gesellenprüfung, dann arbeitete er ein Jahr lang und schloss die BS+ ab.
Nur ein Drittel kommt durch
„Die Abschlussprüfung der BS+ allein hilft nicht viel weiter. Die Fachhochschulreife erhalten unsere Schüler nur durch die Kombination mit dem Berufsabschlusszeugnis“, erklärt Edda Thomas. Jedes Jahr zum Ausbildungsbeginn bereisen Karlstadter Lehrer die Berufsschulen in Unterfranken und stellen das Programm BS+ vor. „Die meisten erfahren dabei zum ersten Mal von diesem Weg“, so Thomas. Bisher sind erst acht Schüler für die nächste Klasse angemeldet. Sie rechnet damit, dass sie im Oktober wieder um die 30 Schüler begrüßen wird. Wie viele es bis zur „Ergänzungsprüfung zum Erwerb der allgemeinen Fachhochschulreife“ nach drei Jahren schaffen, vermag sie nicht zu vorherzusagen, aber sie hofft auf eine weitere Steigerung.
Hagen: „Man muss sich reinbeißen“
Sebastian Hagen sagt: „Man muss dranbleiben und sich reinbeißen.“ Einer seiner Mit-Azubis bei Miwe sei unterwegs abgesprungen, „der ärgert sich jetzt“. Edda Thomas sagt, die Schule komme den Azubis entgegen. „Verspätungen werden toleriert und Kaffee bekommen die Schüler auch bei uns.“ Zudem gebe es eine Abschlussfahrt. „Im vergangenen Jahr waren wir in Israel – das war für alle Teilnehmer eine tolle Erfahrung.“
Louisa Damm ist zuversichtlich, dass sie durchhalten wird. Nebenbei ist sie Turntrainerin im Karlstadter Stadtteil Wiesenfeld und tritt ab und zu als Lohrer Schneewittchen auf. „Das bekomme ich schon unter einen Hut“, meint sie. Was sie dann mit dem Fachabi anfangen wird, weiß sie noch nicht genau. Sebastian Hagen studiert ab Oktober Wirtschaftsingenieurwesen in Schweinfurt.