Nach dem Gutachten der Berliner Peritinos AG tendiert der Kreistag momentan dazu, die Krankenhäuser in Karlstadt und Marktheidenfeld zu schließen. Dafür soll Lohr ausgebaut werden. Das Karlstadter Krankenhaus bietet die Fachrichtungen Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie. Die beiden Belegärzte der Inneren Medizin, der Kardiologe Dr. Michael Dobler und der Rheumatologe Dr. Igor Turin, halten den Fortbestand des Karlstadter Krankenhauses jedoch für einen wichtigen Baustein der Daseinsvorsorge.
Frage: Im Moment wird der Eindruck vermittelt: Das Krankenhaus in Karlstadt hat keine Chance mehr. Ist wirklich schon alles gelaufen?
Dr. Michael Dobler: Das kommt auf die politische Entscheidung an. Ich denke, es wäre gerechtfertigt, das Haus in Karlstadt weiterzuführen. Wenn es die politische Entscheidung ist, dass man sich hier aus Kostengründen aus der Versorgung der Patienten zurückzieht und sagt, die Region Karlstadt soll bitte woanders versorgt werden, dann bedeutet das eigentlich, dass die Leute nach Würzburg sollen.
Im Gespräch ist aber eine zentrale Klinik in Lohr.
Dobler: Nach meinem Wissen hat sich Peritinos rausgehalten aus Standortschließungen und wo das neue Krankenhaus stehen soll. Es wird von gewissen Leuten so hingestellt, dass es in Lohr neben dem Bezirkskrankenhaus stehen soll, das ist mitnichten der Fall. Peritinos hat sich lediglich für e i n Krankenhaus ausgesprochen. Und da muss aufgrund der Patientenströme geguckt werden, welcher Standort der günstigste ist. Die Marktheidenfelder gehen nicht nach Lohr, die gehen nach Wertheim. Und aus Karlstadt wird schon gar niemand nach Lohr gehen, geschweige denn von Retzstadt. Wenn man Patientenströme ziehen will, muss man dahin gehen, wo die Bevölkerung sitzt. Für mich sieht das so aus: Der Landkreis zieht sich aus der Versorgung der Patienten von Arnstein über Karlstadt bis in den Raum Gemünden komplett zurück . . .
. . . und in diesem Teil des Landkreises leben rund 60 000 Menschen, im Raum Lohr sind es rund 28 000 – und im Raum Marktheidenfeld rund 35 000 Menschen, die aber nach Ihren Worten zum Wertheimer Krankenhaus tendieren . . .
Dobler: . . . die politische Entscheidung für Karlstadt zu treffen, bedeutet auch, die Kreisräte wären bereit, ein gewisses Defizit zu tragen.
Wie stark ist denn das Karlstadter Krankenhaus ausgelastet?
Dr. Igor Turin: Die Zahlen in Karlstadt sind heuer ganz anders als die Jahre davor. Bei der Auslastung war die Innere Abteilung eigentlich immer gut. Das Problem war zuletzt die Chirurgie. Aber die hat deutlich zugelegt. Das bekommt auch die Innere zu spüren, auch die hat mehr Patienten.
Woran liegt das?
Turin: Wenn ein Krankenhaus auf einem Gebiet Erfolg hat, so kommen die Leute automatisch auch in andere Abteilungen.
Das ist also eine Imagesache?
Dobler: Die Leute gehen nach Hause und sagen: Ich hatte eine Knie-OP und kann jetzt wieder laufen, und das ist in Karlstadt gemacht worden. Sie erzählen das der Nachbarin. Dann sagt die: Ich habe ein Herzproblem, warum nicht nach Karlstadt, das Knie vom Nachbarn ist ja dort auch gut operiert worden. Das Krankenhaus in Karlstadt ist außerdem gut ausgestattet. Es sind neue Räume, es ist hell, das Essen ist gut, es ist auf allen Ebenen hervorragend.
Turin: Wir hatten in der Inneren Abteilung einige Monate 100 Prozent Auslastung. Im Sommer gab es naturgemäß einen Rückgang. Das Jahr ist aber noch nicht zu Ende und die Belegung wird jetzt noch einmal anziehen. In den Monaten von November bis Februar ist die Auslastung erfahrungsgemäß am stärksten. Geplante Operationen werden lieber in den Winter gelegt. Das läuft jetzt groß an bei den Chirurgen. Außerdem gibt es da mehr Infekte und Unfälle. Bei den Chirurgen stieg die Auslastung bis März und April auf über 70 Prozent an. Wenn 100 Prozent vorliegen, bedeutet das, dass noch am selben Tag das Krankenbett wieder benutzt wird, an dem der Vorgängerpatient entlassen worden ist. Und wenn 75 Prozent belegt sind, dann ist das Bett mal eine Nacht nicht belegt, aber der vorhergehende Patient war eventuell bis zum Nachmittag da und der nächste kommt schon am nächsten Morgen.
Ein Problem ist aber in Karlstadt die Vergütung. Denn Basisleistungen werden schlecht vergütet. Und genau diese werden hier erbracht. Wäre es denkbar, höher vergütete Leistungen anzubieten, etwa die Infarktbehandlung?
Dobler: Dafür würde es mehr Geld geben, aber das würde den Rahmen sprengen. Man braucht ein Herzkathederteam und ein Herzkathederlabor, um Infarkte zu behandeln.
Turin: Es müsste einer die Nacht abdecken und jemand den Urlaub. Das müssten vier oder fünf Ärzte sein, allesamt mit Erfahrung. Es wären auch enorme Investitionen nötig. Die Geräte müssten auch ständig ausgelastet sein. Die Gefäßchirurgie dagegen, die ebenfalls hoch vergütet wird, könnte bei entsprechendem Personal sofort laufen.
Was machen Sie, falls das Krankenhaus wirklich geschlossen wird? Könnten die Ärzte das selbst weiterbetreiben?
Dobler: Das wird die ganze Zeit so hingestellt. Das Problem ist, wenn man das Krankenhaus verkleinert und weniger Patienten umsetzt, wird es mehr Defizit bringen, weil derselbe Aufwand da ist, aber weniger Ertrag. Als Träger können niemals die niedergelassen Ärzte fungieren. Die werden niemals dieses Defizit auf sich nehmen. Auch ein 24-Stunden-Arztdienst vor Ort ist illusorisch, das fällt dann weg.
Wer soll denn da bitte sitzen und wodurch soll das finanziert werden? Aber so was wird nie so ausgesprochen. Ein ambulantes Arztzentrum, in dem immer jemand erreichbar ist – das wird nicht stattfinden. Wer soll denn das bezahlen?
Turin: Es gibt die Idee, dass in das verbleibende Gebäude dann Arztpraxen hineingehen. Aber wer soll da einziehen? Die Arztpraxen in Karlstadt haben alle investiert: Jovnerovski, wir Chirurgen, Naujoks, Franke, Hafner. Es wird niemand rübergehen.
Es ist andiskutiert worden, aus dem Karlstadter Krankenhaus ein Pflegeheim zu machen.
Dobler: Dafür gibt es zwar Bedarf, aber die Bedürfnisse eines Pflegeheims sind doch andere als die eines Krankenhauses. Das heißt, es müsste wohl komplett entkernt und neu ausgebaut werden. Man bräuchte kleinere Zimmer, nicht so viele Funktionsräume. Da ist die Frage: Wer soll das bezahlen?
Turin: Das würde viele, viele Millionen Euro kosten.
Dobler: Davon abgesehen wäre der größte Teil der Arbeitsplätze weg, weil ein Pflegeheim weniger pflegeintensiv ist als ein Krankenhaus.

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