Lohr und Burgeis in Südtirol haben eine besondere Verbindung: Vor 50 Jahren hat Lohr eine Patenschaft für den kleinen Ort in Südtirol übernommen. Aus dem Bergdorf ist ein florierendes Urlaubsziel geworden, die Freundschaft besteht. Am kommenden Wochenende fährt eine Delegation aus Lohr nach Südtirol, um mit den Freunden dort das Jubiläum zu feiern.
Wolfgang Weis, Vorsitzender des Partnerschaftsvereins, ist jedes Jahr in Burgeis zu Gast. Wir haben ihn gefragt, was ihn immer wieder dorthin zieht.
Wie haben Sie Burgeis für sich kennengelernt?
Die Region habe ich, wenn wir eine Zeit von 50 Jahren festsetzen, verhältnismäßig spät kennengelernt. Erstmals 1996, als ich in Burgeis eine Übernachtungsmöglichkeit geschenkt bekam. Ich habe das mit meiner Familie angenommen. Das war der Einstieg für Burgeis. Daran hat sich eine Reihe weiterer Reisen angeschlossen, die zu regelmäßigem Besuch geführt haben.
Was hat Sie bei Ihrem ersten Besuch geprägt?
Gegenüber anderen Ortschaften im Alpenraum, auch in Österreich, die schon sehr stark touristisch geprägt waren, hatte Burgeis eine gewisse Natürlichkeit bewahrt, trotz aller Moderne, die inzwischen eingezogen war.
Was macht diese Natürlichkeit aus?
Das ist die Art der Häuser, die Art des Lebens. Die Viehzucht hat im Ort nach wie vor eine Rolle gespielt. In den Kellergewölben sind am Abend die Kühe von der Weide eingetrieben und gemolken worden, das alles hat mich fasziniert. Das habe ich in anderen Orten so nicht mehr wahrnehmen können. Ich bin viele Jahre zuvor schon in die Alpen gefahren, zu Bergtouren von Hütte zu Hütte. Dabei habe ich die verschiedensten Regionen kennengelernt. Burgeis hat eine ursprüngliche Eigenart bewahrt.
Hat es diese Eigenart immer noch?
Ich würde sagen, ja. Aber natürlich ist klar, alles verändert sich und in 15 Jahren stellt man da immer wieder einen Wechsel fest. Es kommt darauf an, was man erwartet und was man sehen will.
Die Kühe?
Das nimmt immer mehr ab. Die Alten, die ihre Landwirtschaft weiterhin betrieben haben, teilweise unterstützt durch die Jungen, sterben. Der eine oder andere gibt jetzt die Viehhaltung auf. Aber Burgeis hat nach wie vor eine eigene Molkerei, in der Käse hergestellt wird, der wirklich aus regionaler Milch erzeugt ist. Das sind Indizien dafür, dass das noch eine gewisse Rolle spielt. Es entstehen jetzt aber auch größere Stallungen außerhalb des Ortes, wie es auch andernorts in der Landwirtschaft ist.
Für die, die Burgeis gar nicht kennen – wie kommt man da hin, wie weit ist das, was empfiehlt sich?
Anfahrt ist von der Entfernung etwa 580 Kilometer. Sie müssen mit sechs Stunden rechnen, je nachdem, wie die Autobahn frei ist. Ich bin meistens in den Herbstmonaten nach Burgeis gefahren, meistens Anfang Oktober, weil da eine Schönwetterperiode einsetzt und man wunderschöne Bergtouren machen kann.

Wie sieht es aus mit dem Zug, mit dem Fahrrad, zu Fuß?
Sie haben die Möglichkeit, mit dem ÖPNV nach Burgeis zu fahren. Ich habe mit Hinblick darauf, dass ich jedes Jahr Bergtouren mache und da zu dem ein oder anderen Ausgangspunkt kommen muss, immer mein Auto genommen. Mit dem ÖPNV komme ich ins Zentrum einer Ortschaft, aber wenn es dann noch drei oder vier Kilometer bis zum Ausgangspunkt sind, ist das nicht so einfach.
Wenn man sich die Lohrer Partnerstädte anschaut, ist Burgeis sprachlich die einfachste, weil man dort Deutsch spricht. Wie kommt das und welche Rolle hat das für die Beziehung mit Lohr gespielt?
Burgeis liegt in einer Region, die einstmals Gesamttirol war. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Tirol durch den Vertrag von Saint-Germain in zwei Teile aufgeteilt, den Süden und den Norden. Der Nordteil ist heute Nordtirol und Osttirol, der Südteil war Südtirol und das Trentino. Die Besonderheit war, dass das Trentino mehrheitlich Italienisch spricht. Durch diese Aufteilung und die Zuordnung zu Italien sind bis zum Zweiten Weltkrieg politische Bestrebungen gelaufen, Südtirol zu italienisieren. Die deutschsprachige Bevölkerung hat sich massiv dagegen gewehrt. Das ist ein dunkles Kapitel der Südtiroler Geschichte, das man hier aufzeichnen müsste. Mit dem zweiten Autonomieabkommen 1972 hat sich die Erkenntnis und auch politisch der Wille durchgesetzt, dass man die deutsche Sprache dort wieder als erste Sprache anerkennt und nicht nur duldet. Danach war ein deutlicher Aufwind da. Das hat dazu geführt, dass man versucht hat, Beziehungen zu deutschsprachigen Regionen zu suchen. Da war damals die junge Bundesrepublik die erste Wahl. Österreich hat immer einen sehr vorsichtigen Kurs eingeschlagen, wenn es um die politische Zuordnung Südtirols ging. So hat es sich mehr oder weniger durch Zufall ergeben, dass eine Gruppe aus dem Altlandkreis Lohr erste Kontakte knüpfen konnte. Daraus hat sich dann eine Patenschaft entwickelt. Der Name Patenschaft sagt auch, was dahinter stand. Ein Patenkind wird von einem Paten in einer freundschaftlichen Beziehung betreut.
In den alten Berichten wird Burgeis als arm, in Teilen auch rückständig beschrieben. Das ist heute ganz offensichtlich ganz anders. Hat Lohr bei der Entwicklung tatsächlich eine Rolle gespielt?
Lohr hat in den ersten Jahren dieser Patenschaft Burgeis schon unterstützt, auch finanziell. Verschiedene Dinge, wie zum Beispiel die Kulturhalle, sind mit für die damalige Zeit beachtlichen Beträgen aus Lohr unterstützt worden. Es haben sich Lohrer Firmen dort engagiert, über den Arbeitskreis Burg Rothenfels ist viel gelaufen.
Ist das heute noch präsent, hat das einen Einfluss auf die Gegenwart?
Vergessen ist es nicht, vor allem bei den Älteren. Heute ist die wirtschaftliche Entwicklung dermaßen stark, dass man auf solche Geschenke nicht mehr angewiesen ist. In diesem Bergbauerndorf hat sich ein toller Tourismus entwickelt, es ist überall ein entsprechender Wohlstand eingekehrt.
Gibt es auch ein Leben außerhalb des Tourismus?
Burgeis hat ein kleines Industriegebiet inzwischen, da gibt es verschiedenste Gewerbebetriebe. Der Tourismus ist nicht das einzige Standbein.
Wie sind die Strukturen, was ÖPNV, Radwege und ähnliches angeht?
Ich habe über Jahre den Nahverkehr und seine Organisation in Südtirol bewundert. Dort hat man schon frühzeitig eine fantastische Taktung eingeführt. Stundentakt auf allen Strecken, wenn sie nicht in den entlegensten Winkel geführt haben. Ein Nahverkehr, der sehr gut von der örtlichen Bevölkerung genutzt wurde. Im Tourismus hat man versucht, die Touristen in die Busse nach Meran zu bringen, in dem man eine Vinschgau-Card eingeführt hat. Das ist nicht seit zwei Jahren so, sondern seit fünf, sechs Jahren. Die Südtiroler haben uns, was den Tourismus angeht, einiges voraus.
Da kann Lohr von der Patenschaft was lernen?
In diesem Bereich auf jeden Fall. Aber Burgeis ist natürlich ein kleiner Ort. Das ist eine Sache der ganzen Region Südtirol, die sich hier auf den Weg begeben hat, etwas zu verändern.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich für die Verbindung zwischen Lohr und Burgeis?
Ich wünsche mir, dass die Verbindung weiterhin so bestehen bleibt. Es fahren rund 190 Personen zum Jubiläum. Das zeigt eine große Verbundenheit. In den besten Zeiten waren es 200 bis 220. Das hat sich über die Jahre gut gehalten. Viele fahren sogar regelmäßig nach Burgeis, um dort einen Urlaub zu verbringen. Die Freien Wähler haben jedes Jahr eine Tour, die Forstschule fährt regelmäßig hin. Es ist wichtig, dass man das erhält. Inwieweit diese Patenschaft noch aktuell ist, sollte man mal überdenken. Ich würde eher sagen, dass inzwischen eine Partnerschaft praktiziert wird.