Professor Dr. Alexander Teichmann, Chefarzt am Klinikum Aschaffenburg und Leiter der Gynäkologie am Karlstadter Krankenhaus, muss sich vor der Großen Strafkammer am Landgericht Aschaffenburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 60-jährigen Mediziner vor, zwischen 2003 und 2007 in 44 Fällen Patienten privatärztliche Leistungen berechnet zu haben, ohne diese selbst erbracht zu haben.
Nach der Gebührenordnung für Ärzte (siehe Kasten) darf ein Chefarzt nur dann nicht selbst erbrachte Leistungen als seine abrechnen, wenn mit dem Patienten vertraglich eine Vertreterregelung vereinbart wurde und die Abwesenheit des Chefarztes unvorhergesehen war. Die Anklage: Teichmann wollte sich „eine nicht nur vorübergehende und nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen. In zahlreichen Fällen überschneiden sich OP-Termine mit Anfahrtszeiten zu Gerichtsterminen“ (Teichmann ist Gutachter). Dr. Günter Will, Pressereferent am Landgericht Aschaffenburg, vermutet, dass die Staatsanwaltschaft wegen der Brisanz um die Person des Chefarztes die Große Strafkammer anrief.
Professor Teichmann sieht sich seit über vier Jahren einem drohenden Gerichtsverfahren ausgesetzt. Gegenüber der Main-Post schildert er seine Sicht: Es habe zwei Jahre gedauert, bis die Kammer entschieden habe, ein Verfahren zu eröffnen. Dabei habe sie der Staatsanwaltschaft mehrere Hinweise gegeben, auf eine Anklage zu verzichten. Die anderen Ermittlungen auf Körperverletzung, in einem Fall mit Todesfolge, habe die Staatsanwaltschaft schon 2008 eingestellt.
Teichmann erklärt das Prozedere des Wahlleistungsvertrags: So bot wohl sein Arbeitgeber, die Klinikleitung in Aschaffenburg, nicht-rechtskonforme, vertragliche Vertreterregelungen an, aber nicht nur für ihn, sondern für fast alle Chefärzte. „Ich habe aber keinen Einfluss auf die Rechnungstellung meines Dienstherrn. Weil ich sie unterschrieben habe, auch wenn ich die Behandlung gar nicht ausgeführt habe, wird mir Betrug vorgeworfen.“
Vorwurf nach anonymer Anzeige
Seine Rechtsanwältin Lena Wieland (gemeinsam mit Karl-Adolf Günther aus Hanau) sieht in allem einen initiierten Vorwurf nach einer anonymen Anzeige eines, wie sich herausstellte, von der Klinik entlassenen Oberarztes, einem Untergebenen von Professor Teichmann, sowie zwei Rechtsanwälten und mehrerer Versicherer (wir berichteten). Gegen den Oberarzt strengt Teichmann deswegen einen Zivilprozess an.
Nachdem sich einer von den Anzeigenden offenbart hatte, brachen laut Wieland die Vorwürfe zusammen. Übrig blieben 55 angeblich betrügerische Abrechnungen. „Es bleibt ein schwammiger Tatbestand auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Dezember 2007, also nach der angeblichen Tatzeit. Darf Teichmann eine Rechnung stellen, ja oder nein?“ Ihrer Meinung nach ist der Wahlleitungsvertrag rechtlich nicht ordentlich ausformuliert gewesen. „Darum hat Professor Teichmann von sich aus für die Klinik Aschaffenburg einen Individualvertrag mit Patienten zu den Vertreterregelungen eingeführt, die lückenlos nachvollziehbar sind.“ Sie erklärt: Gerade in der Gynäkologie gebe es Fachärzte für Brust, Unterleib, Geburt. Also sei es verantwortungsbewusst von Professor Teichmann gewesen, Fachärzte als Vertreter mit einzubinden.
Lena Wieland kritisiert scharf die Staatsanwaltschaft: „Die Vertreterregelung von Teichmann soll es angeblich nicht gegeben haben. Ich habe sofort elf Vertreterzettel gefunden.“ So sind im Prozess von 55 nur noch 44 verhandelbar. Wieland meint, die Arbeit der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg erfülle den Straftatbestand der Verfolgung eines Unschuldigen. Sie hat sie angezeigt, weil die Staatsanwaltschaft keine entlastenden Beweise ermittelt habe, wie es auch ihre Aufgabe gewesen wäre.
Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. (Az: 104 Js 13948/07)
Ärzteverträge und Große Strafkammer
Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) regelt die Abrechnung aller medizinischen Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit ist sie die Abrechnungsgrundlage auch für Privatpatienten, die ihre Behandlung selbst bezahlen und üblicherweise bei einer privaten Krankenversicherung versichert sind.
Für die wahlärztliche Behandlung – die persönliche Behandlung durch leitende Krankenhausärzte – schließen Patienten mit dem Krankenhaus als Vertreter der Ärzte oder mit den Chefärzten persönlich einen Behandlungsvertrag ab. Diese Vereinbarung erstreckt sich auf alle an der Behandlung beteiligten Chefärzte, einschließlich der von diesen Ärzten beauftragten weiteren Mediziner und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses. Lässt sich der vom Patienten gewählte Chefarzt vertreten, gehört diese in eine einzelvertragliche Vereinbarung. Der Vertreter muss Facharzt desselben Gebiets wie der Chefarzt sein und dem Patienten vor Abschluss des Behandlungsvertrags benannt werden.
Die Große Strafkammer bei einem Landgericht ist grundsätzlich mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt. Sie ist in erster Instanz zuständig für die Verbrechen und Vergehen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Strafrichters, des Schöffengerichts und des Oberlandesgerichts fallen oder die wegen ihrer besonderen Bedeutung von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht angeklagt werden. Infos: PKV und Wikipedia