Deutschland schlägt Argentinien bei der Fußball-WM im Elfmeterschießen. Ein ganzes Land im Freudentaumel. An den 30. Juni 2006, den Höhepunkt des viel beschworenen Sommermärchens, erinnern sich viele. Auch dem Gräfendorfer Christoph Häring wird er ewig in Erinnerung bleiben, doch aus einem anderen Grund: Der 38-jährige ist seitdem querschnittsgelähmt. Was geschah damals und wie geht es ihm heute? Die Main-Post bat den dreifachen Familienvater um ein Gespräch.
„Ich wollte nach dem Spiel mit meinem Sohn in den Pool“, erinnert er sich. Er ist 2006 ein glücklicher Mann. In den zwei Jahren zuvor hat er das von den Eltern geerbte Haus im Eidenbacher Weg renoviert. Schon tausendmal zuvor hat er einen Köpfer in das 1,20 Meter tiefe Becken gemacht. Doch diesmal rutscht er weg, das weiß er noch. In einer Rehaklinik in Bayreuth erwacht der Gräfendorfer aus dem Koma: Genickbruch, vom Hals abwärts gelähmt. Er kann nicht sagen, wo er aufgeknallt ist, ob am Beckenrand oder auf dem Boden.
Als klar ist, dass Häring sein weiteres Leben im Rollstuhl sitzen wird, packen Angehörige, Kollegen und Freunde des Heizungsmonteurs gemeinsam an und bauen sein Wohnhaus behindertengerecht um. Immer wieder gibt es Benefizaktionen für ihn, sein Freund Peter Silberbach richtet ein Spendenkonto ein. Der Verunglückte erzählt dankbar von der „ganz, ganz großen Hilfsbereitschaft“. „Ohne die könnte ich ganz sicher heute nicht in meinem Haus leben.“ Das bedeutet ihm sehr viel.
Langsame Fortschritte
Ganz am Anfang sieht es so aus, als bleibe er halsabwärts gelähmt. Fliegen im Gesicht kann er nur wegblasen. Die Ärzte stufen ihn als „hoffnungslos“ ein. Doch irgendwann fängt der Bizeps im linken Arm zu zucken an: Die Ärzte haben sich getäuscht, der Querschnitt ist inkomplett. Seitdem geht es langsam, aber sicher bergauf. Vor einem halben Jahr hat sich plötzlich seine Bauchmuskulatur stark verbessert, jetzt kann er wieder normal reden. „Tag und Nacht kribbelt mein Körper, so als wacht ein eingeschlafener Körperteil auf“, sagt er. Er hofft, dass er irgendwann seine Hände wieder normal gebrauchen kann. Für die Beine, obgleich auch die kribbeln, sieht er schwarz, aber: „Klar, die Hoffnung verliert man nie.“
Doch „wenn's kommt, kommt's dick“, muss Häring erfahren. Seine Frau trennt sich 2008 von ihm, zieht mit den Kindern nach Diebach. Er wohnt Monate bei seiner Schwester in Westheim, die ein behindertengerechtes Haus hat, da sie an Multipler Sklerose leidet. Für die Kinder muss er nun Unterhalt zahlen. „Lieber leide ich, bevor es meine Kinder trifft.“ Die gehen „am allercoolsten von allen“ damit um, dass er behindert ist. Bloß sieht er sie nur alle 14 Tage.
Seit Monaten schon kann er den für die Hausrenovierung aufgenommenen Kredit nicht mehr abbezahlen. Dabei steht nur noch ein Viertel aus. „Wenn man arbeiten kann, hat man's selbst in der Hand“, sagt er. Er finde im Moment keinen ruhigen Schlaf und wenn er das Postauto sieht, bekommt er Magenkrämpfe – es könnte ja ein Brief von der Bank oder von einem Anwalt dabei sein.
Außerdem spürt er die Finanzkrise am eigenen Leib und bangt in der Eurokrise: seinen Kredit hat er, wie andere Gräfendorfer damals, in japanischen Yen aufgenommen. „Das hat sich alles ganz toll angehört und das wurde als sicher angepriesen“, sagt Häring. Dadurch hat sich aber seine Kreditschuld in Euro um ein Drittel erhöht. Von Behörden fühlt er sich im Regen stehen gelassen.
Neue Frau an seiner Seite
Aber es gibt auch Licht in seinem Leben. Seit 2009 hat er eine neue Frau an seiner Seite: die aus Sulzthal stammende Karoline. Die hat kürzlich im nun gemeinsamen Haus einen kleinen Friseursalon aufgemacht. „Bis jetzt ist die Resonanz gut“, freut sie sich. Dadurch hat Karoline mehr Zeit für ihn, was wiederum die Kosten für Pflegekräfte verringert.
Seit dem tragischen Unfall hat Häring Schmerzen im Nacken. Weil er ständig friert, hat er ein eigenes Heizöfelchen. Dass der Musiker, der einst Gitarre und Trompete spielte, jetzt nur noch zuhören kann, tut ihm weh. Er kann nur noch passiv genießen. Tränen sind geflossen, als er wegen Schmerzen das Weihnachtskonzert in der Kirche am dritten Advent verpasst hat, erzählt Karoline, die in Gräfendorf im Chor singt.
Fluchten aus dem Alltag sind eine Seltenheit für Christoph Häring und seine Lebensgefährtin. „Ein Musical würden wir uns gerne mal anschauen, aber das ist im Moment finanziell nicht machbar“, sagt er. Erst einmal ist er seit dem Unfall im Urlaub gewesen – im vergangenen Jahr mit Freunden in Dänemark. „Mein Umfeld schubst mich immer wieder an.“ Die gebliebenen Freundschaften haben sich seit dem Unfall verstärkt, sagt Häring. Das größte Stück Freiheit, das er sich mit Karoline zurückgeholt hat, ist ein 14 Jahre alter Bus, in dem er nun samt Rollstuhl mitfahren kann. Vorher war es Schwerstarbeit, ihn ins Auto zu hieven.
Wie es weitergeht? Häring hofft, dass er sein Elternhaus behalten kann. Und: „Ich freue mich auf den Frühling.“ Dass die Natur, das Vogelgezwitscher so intensiv sein können, hätte er sich vor seinem Unfall nicht träumen lassen.
Für Christoph Häring wurde bei der Sparkasse ein Spendenkonto eingerichtet. Wer ihm helfen möchte, kann dies unter Konto 44 71 39 56, BLZ 79050000 tun.