Mit den „Stolpersteinen“ des Künstlers Gunter Demnig wird an Menschen erinnert, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet oder in den Freitod getrieben wurden. Die Steine lässt er in den Bürgersteig oder die Straße vor der Haustür der Wohnung des Opfers ein. Seit dem Frühjahr 2006 hat sich Kristina Ackermann mit der Aktion auseinandergesetzt. In Würzburg ist sie über die ersten „Stolpersteine“ gestolpert.
Als die Aktion nicht nur in Großstädten, sondern auch in kleineren Kommunen umgesetzt wurde, reifte in ihr der Gedanke, auf diese Art in Thüngen an die jüdischen Mitbürger zu erinnern. Sie wandte sich an den Gemeinderat, der im August 2007 ihre Idee befürwortete und dem Antrag auf Verlegung der Steine zustimmte. Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft Zellingen hätten sich spontan gemeldet, die Patenschaft für einen Stein zu übernehmen. Ein Stein kostet 95 Euro.
Neben vielen positiven Reaktionen habe der Gemeinderatsbeschluss aber auch etwas Verunsicherung bei manchen Bürgern hervorgerufen, in deren Besitz sich die ehemaligen jüdischen Anwesen befinden. „Dazu besteht überhaupt kein Grund“, sagt Ackermann. Bei der Aktion gehe es nicht um die Frage nach Schuld oder nach Schuldigen. Die „Stolpersteine“ sollen keine Anklage transportieren, sie sollen im Gegenteil an den letzten freigewählten Lebensort eines Juden erinnern. „Ein geistiges Stolpern gegen das Vergessen“ sollen die Gedenksteine bewirken.
Bislang hat Ackermann die Schicksale von 17 Personen recherchiert, die im Holocaust umkamen, davon zehn Opfer mit dem für die Aktion „Stolperstein“ erforderlichen Sterbedatum im Konzentrationslager. Erst wenn alle Daten vorliegen, will sie sich an den Künstler Demnig wenden. Unterstützung bei den Nachforschungen erhält sie von Georg Schnabel, der den Judenfriedhof in Laudenbach betreut und über umfangreiche Dokumentationen verfügt. Kristina Ackermann ist auch im Karlstadter Arbeitskreis „Stolpersteine“ an der Vhs, der Mahnmale in Karlstadt, Wiesenfeld und Laudenbach verlegen lassen will.
Ackermann ist in Thüngen aufgewachsen. Ihr Vater Jörg Ackermann ist Heimatpfleger. Sie ist von Beruf Lehrerin und unterrichtet an der Johann-Rudolph-Glauber-Realschule in Karlstadt unter anderem Geschichte. Für die Zeit des Nationalsozialismus hat sich die 41-Jährige von Kindesbeinen an interessiert. Auslöser waren die Geschichten ihres Großvaters Walter Kämpf.
„Sein bester Freund war Julius Frankenberger, ein Jude“, sagt sie. Frankenberger ist 1937 in die USA immigriert. „Von ihm hat der Opa immer viel erzählt.“ Vor dem „Dritten Reich“ sei das Miteinander von Juden und Christen selbstverständlich gewesen, weil in Thüngen schon immer Juden lebten, sagt Ackermann. 100 Jahre zuvor, 1837, habe der jüdische Anteil an der Thüngener Bevölkerung 40 Prozent betragen. Als der Großvater 1981 starb, fanden sich in seinem Nachlass zahlreiche Dokumente aus der Zeit der „Dritten Reiches“. Darunter auch Schriftverkehr über Bußgelder, die der Großvater hatte zahlen müssen, weil er als Holzhändler mit Juden Geschäfte machte, und Drohungen, ihm im Wiederholungsfall das Geschäft ganz zu schließen. Der Großvater habe gezahlt – und weitergemacht, so lange noch Juden in Thüngen lebten. „Aber das hat sich dann ja erledigt.“
Am 9. November wurde auf Initiative der Gemeinde in Thüngen an der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel angebracht. Die „Stolpersteine“ sollen ein weiteres Zeichen sein, das die Geschichte für die Nachkommen präsent hält.