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KARLSTADT/WÜRZBURG: Der schwere Gang zurück zum Kreißsaal

KARLSTADT/WÜRZBURG

Der schwere Gang zurück zum Kreißsaal

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    _ Foto: Rolf Vennenbernd (dpa)

    Es ist ein schwerer Gang. Als Greta die Uniklinik in Würzburg betritt und vor dem Kreißsaal steht, holt sie tief Luft. Jetzt kommen schreckliche Erinnerungen hoch. Sie zögert kurz, dann legt sie eine Rose, einen handgeschriebenen Brief und mehrere Flyer der Organisation Roses Revolution vor dem Kreißsaal ab. Sie macht ein schnelles Foto und verschwindet wieder. „Für ein Gespräch mit einem Arzt habe ich noch nicht die Kraft“, sagt die 33-Jährige, die in der Uni-Klinik vor zweieinhalb Jahren ihre Tochter auf die Welt gebracht hat.

    Die junge Frau folgt damit einem Appell von Roses Revolution. Frauen, die während ihrer Schwangerschaft, Geburt oder im Wochenbett Respektlosigkeit und Gewalt erlebt haben, sind dazu aufgerufen, symbolisch eine Rose vor die Einrichtung zu legen und über ihre Erfahrungen zu berichten. Dies hat Greta an diesem 25. November getan, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Nach Angaben von Roses Revolution folgen diesem Appell immer mehr Frauen, um auf ihr Schicksal hinzuweisen. „Das war für mich ein Befreiungsschlag“, sagt die junge Frau, die mit Namen nicht genannt werden will, in einem Gespräch im Anschluss an diese Aktion.

    Für sie sei es ein Schritt zurück ins normale Leben gewesen. Denn die Umstände der Geburt ihrer Tochter vor zweieinhalb Jahren haben sie aus der Bahn geworfen. Dies sagt sie ganz offen und sie soll auch über das Erlebte sprechen. Dies habe ihre Trauma-Therapeutin geraten.

    Seelische Verwundungen

    Sie redet nicht von Schmerzen. Die habe sie während der Geburt nicht gehabt, denn sie sei mit Schmerzmitteln ruhig gestellt worden. Die kamen erst später, als die Narkose nachgelassen hat. Als umso schlimmer beschreibt sie ihre seelischen Verwundungen. Sie habe sich während der gesamten Geburt als Gegenstand gefühlt, klagt sie. „Ich wurde nicht einbezogen, mir wurde nichts erklärt, es wurde mit mir nur gemacht.“ Die Geburt habe sie daher „wie eine Art Vergewaltigung“ empfunden.

    Dabei sei es eine tolle Schwangerschaft gewesen, und sie hatte zusammen mit dem Vater des Kindes beschlossen, in einem Geburtshaus in Würzburg zu entbinden. Doch das Kind ließ auf sich warten. Erst zehn Tage über dem errechneten Termin setzten die Wehen ein.

    Zunächst verlief alles nach Plan in den ersten Stunden im Geburtshaus. Dann ein Geburtsstillstand. Die Hebamme empfahl, in eine Klinik zu gehen. Dort sei sie besser aufgehoben, wenn es andauernde Komplikationen gibt. „Die Hebammen müssen sich so absichern“, sagt Greta und kritisiert, dass die Geburt zunehmend von technisierten, ökonomischen und juristischen Zwängen geleitet werde. Dies ist auch die Hauptkritik von Roses Revolution. In der Uniklinik fühlte sich Greta nicht willkommen. Schon die Begrüßung sei unfreundlich gewesen, sagt sie. Wegen der Schmerzen habe sie einer Narkose zugestimmt. Diese habe sie mit spöttischen Bemerkungen bekommen, da sie ja zunächst in einem Geburtshaus entbinden wollte.

    Die Wehen waren gekommen, setzten aber wieder aus. Ihre Lage habe sie als demütigend empfunden. Sie sei auf dem Rücken gelegen und habe aufgrund der Narkose jegliches Gefühl für ihren Körper verloren. Die Beine seien festgebunden gewesen und ihr Körper verkabelt. Ihr Blick war starr auf eine digitale Uhr an der Wand gerichtet. Noch Monate später sollte sie Schweißausbrüche bekommen, wenn sie eine solche sah. Genauso erging es ihr beim Klappern von medizinischem Besteck.

    Mit der Angst alleine gelassen

    So vergingen Stunden, bis die Hektik immer größer wurde. Sie registrierte, dass die Herztöne des Kindes schwächer wurden. Sie habe Angst um das Kind gehabt, aber mit ihrer Angst wurde sie alleine gelassen. „Gesprochen wurde nicht mit mir“, sagt sie. Hebamme und Arzt seien sich auch nicht über das weitere Vorgehen einig gewesen. Hektisch sei über einen Kaiserschnitt diskutiert worden.

    Zum Einsatz sei dann die Saugglocke gekommen. Sie sei aufgefordert worden zu pressen, wenn eine Wehe kommt. Das wiederum habe sie nicht zur Zufriedenheit der Hebamme getan. Sie beschreibt die Atmosphäre im Kreißsaal als ein Schreien, Schimpfen und Brüllen. Schließlich habe sich die Hebamme auf ihren Bauch geschmissen. Beim ersten Mal ohne Erfolg, beim zweiten Mal sei erst der Kopf und dann das Kind auf die Welt gekommen.

    Dann war Stille – und auch diese war bedrohlich. Ihr Kind habe sie nicht gesehen und nicht gehört. Es wurde ihr sofort weggenommen. Erst quälend lange später habe sie im Nebenraum ein Kind schreien hören. Die Tochter lebt – das war dann eine Erleichterung. Doch ihr selbst ging es nicht gut. Durch die Geburt habe sie massive äußere Verletzungen davongetragen. „Ich drohte zu verbluten“, beschreibt sie die Situation. Die Ärzte haben ihr die Plazenta entrissen und versucht, die Blutungen zu stoppen, sagt sie. Sie habe eine Sauerstoffmaske ins Gesicht gedrückt bekommen, die für das Atmen im Liegen mit PDA falsch eingestellt war. Sie dachte, sie müsse ersticken.

    Heute, gut zweieinhalb Jahre später, kann sie sagen, dass sich ihr Kind prima entwickelt hat. Alle Folgen konnten behoben werden. Das ist sehr wichtig für sie, sie selbst hatte allerdings mit den Folgen der Geburt schwer zu kämpfen – psychisch und körperlich. Es folgten zwei Operationen, zwei Jahre mit Schmerzen beim Sitzen und Überdehnungen, die bis heute medizinisch versorgt werden müssen.

    Uniklinik hat Gespräch angeboten

    Ein Arzt hatte ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Sie habe eine schwere Zeit mit Wesensveränderungen, Minderbelastbarkeit und Heulkrämpfen durchgemacht. Gespräche mit der Oberärztin und der Hebamme haben ihr nicht geholfen. Es sei eine schwere Geburt gewesen, habe es geheißen.

    Die Uniklinik hat den Erhalt von Gretas Brief am Roses Revolution Day bestätigt. Es sei ihr bereits geantwortet und ihr ein weiteres Gespräch angeboten worden, sagt Professor Dr. Achim Wöckel, Direktor der Würzburger Universitätsfrauenklinik. Mehr allerdings dürfe er zu ihrem Fall nicht sagen. Er sei an die Schweigepflicht gebunden.

    Grundsätzlich könne er allerdings schon einige Ausführungen machen. So komme es immer wieder vor, dass Frauen die Geburt als traumatisch erleben – insbesondere wenn es zu ungeplanten Interventionen wie beispielsweise dem Einsatz einer Saugglocke oder einem Kaiserschnitt kommt. Traumatisch sei es auch für manche Mütter, wenn ihnen ihr Kind nach der Geburt sofort weggenommen wird. Doch Ärzte und Hebammen seien in manchen Situationen gezwungen, schnell zu handeln, damit das Kind aufgrund von einem möglichen Sauerstoffmangel keine bleibenden Schäden davonträgt.

    Hebamme habe sich „auf den Bauch geschmissen“

    Wöckel betont, dass bei allen Handlungen die Uniklinik „irrsinnigen Wert“ auf die Kommunikation mit der Mutter lege. Dies klappe am besten von Frau zu Frau und es sei daher die Aufgabe der Hebamme, die die Geburt begleitet. Sollte schnelles Handeln erforderlich sein, so werde der Mutter in jedem Fall im Nachhinein erklärt, warum der Arzt oder die Hebamme aus Sicht der Klinik so handeln mussten.

    Greta hatte beklagt, dass sich bei ihr eine Hebamme auf den Bauch geschmissen habe. In der Fachsprache spricht man vom Kristeller-Handgriff, der aber in der Regel mit der Hand ausgeübt wird. Für Wöckel ist der Kristeller-Handgriff ein erlaubtes Mittel, um eine stockende Geburt zu unterstützen. Dazu werde zeitgleich mit einer Wehe Druck über den Bauch auf den Säugling ausgeübt, so dass sich dieser seinen Weg durch den Geburtskanal bahnt. Eine Geburt sei eine hochstrapaziöse Angelegenheit für Mutter und Kind, betont Wöckel. In der Erwartungshaltung sei sie positiv besetzt. Die Frauen, die dann eine schwere Geburt hinter sich haben, würden sich fragen, was bei ihnen falsch gelaufen ist, warum sie nicht die Norm erfüllen.

    Sie fallen nicht selten in eine Depression. Bei bis zu 15 Prozent der Frauen sei dies der Fall. Aber auch hier würde die Uniklinik Hilfe in Form von Sprechstunden mit einem Psychologen anbieten.

    Greta bleibt bei ihren Vorwürfen. Ihre Depression sei die Folge einer falschen Behandlung. Sie bestätigt, dass die Klinik ihr in einem Brief ein weiteres Gespräch angeboten hat. Es werde aber noch etwas dauern, sagt sie, bis sie sich dem erneut stellen kann.

    Roses Revolution Die weltweite Aktion „Gegen Gewalt in der Geburtshilfe“ wurde 2011 nach einer Idee der Geburtsaktivistin Jesusa Ricoy ins Leben gerufen. Seitdem hat sie sich in mehreren Ländern verbreitet – unter anderem in Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, der Slowakei, Tschechien, Mexiko, Brasilien und Kolumbien. „Roses Revolution“ ist eine globale Aktion für das Ende von Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe. Immer mehr Frauen beteiligen sich auch in Deutschland daran. Die Idee: Frauen, die dies erfahren haben, sollen eine rosafarbene Rose vor die Tür des betreffenden Kreißsaals legen. 2013 hatten zum ersten Mal Frauen Rosen vor die Türen von Kliniken gelegt. Ab 2014 hat Roses Revolution die Beteiligung an der Aktion dokumentiert. 2014 wurden 58 Rosen in Kliniken in Deutschland abgelegt. Im Jahr 2015 wuchs die Zahl auf 71, im Jahr 2016 auf 120. Für 2017, als der gemeinsame Aktionstag am 25. November stattfand, gibt es noch keine Zählung. GI

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