Sonja Braun ist Anfang 40 als sie sich 2017 zu einem Sabbatjahr entschließt. Hinter ihr liegt ein beeindruckender Berufsweg: Nach ihrem Abitur in Marktheidenfeld, entscheidet sich die junge Frau aus Roden für eine Ausbildung bei einer Krankenversicherung, wechselt nach der Lehre 2001 nach Hamburg ins Personalmanagement einer großen Kasse, absolviert neben der Arbeit ein Präsenz-Studium in Sozialökonomie und lernt 2005 den Bundesbehinderten-Beauftragten und späteren Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes Karl Hermann Haack kennen.
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Die Begegnung führt sie ins politische Berlin, in die Welt des Sports als auch an die UN nach New York. Sie bleibt der Krankenversicherung aber treu, bildet sich im Kultur- und Changemanagement weiter und übernimmt Positionen wie die operative Steuerung des bundesweiten Geschäftsstellennetzes oder die Leitung des Arzneimittel-Einkaufs. Zu diesem Zeitpunkt kennt Sonja Braun nahezu alle Bereiche einer Krankenkasse in und auswendig. Zeit, sich neu auszuprobieren.
Am ersten Tag ihrer Auszeit im Jahr 2018 nimmt sie sich ein Hotelzimmer, reist am nächsten Morgen nach Berlin, bevor sie Freunde und Familie in Unterfranken besucht. Von hier aus begibt sie sich in Klöster in der Region. Dort holt sie sich spirituelle Inspiration, macht ein Praktikum bei einem Kirchenmaler. Ihr neues Projekt: den Tag leben.
Diagnose: Zu 50 Prozent hat sie Glück und zu 50 Prozent ist der Tumor in ihrer Brust bösartig
Bis zu dem Tag, an dem sie sich auf der Liege beim Arzt wieder findet. „Fünfzig zu fünfzig“, hört sie den Arzt sagen. Zu 50 Prozent hat sie Glück und zu 50 Prozent ist der Tumor in ihrer Brust bösartig. „Ich habe mich in dem Moment von oben gesehen und gedacht: Warum hat sie plötzlich Tränen in den Augen?“, erzählt Sonja Braun.
Sie hegt keinen Groll über das, was ihr passiert. Und das, obwohl ihre Familiengeschichte wie ein Damoklesschwert über ihr hängt: Mit 42 Jahren erkrankte auch ihre Großmutter an Brustkrebs, drei Jahre später starb sie an der Krankheit. „Ich habe mich viel damit beschäftigt. Aber es ist nicht mein Schicksal, ich gehe meinen Weg“, sagt sie.
Lebensprinzip: "Wenn ich genug denke, finde ich einen Weg" funktionierte in diesem Fall nicht
Doch was war ihr Weg? In einem bis dato dichtgedrängten Leben, in dem sie sich spätestens alle zweieinhalb Jahre beruflich veränderte, Karriere machte, sich neue Fähigkeiten aneignete, war der Weg oft geebnet durch die Maxime: „Wenn ich genug denke, finde ich einen Weg. Doch das funktionierte in diesem Fall nicht“, erzählt die 43-Jährige. Sie musste erfahren, dass es hier keine „richtigen“ Entscheidungen gibt, zuviel ist unbekannt, vieles liegt nicht mehr in ihrer Macht: „Mir wurde brachial erklärt: Der Weg, den Krebs zu behandeln, wird hart und lang. Die aktuelle Therapie dauert zehn Jahre. Sie werden nicht so aus der Behandlung rausgehen wie sie reingegangen sind.“
Doch Sonja Braun wollte sich nicht in die leidende, passive Rolle einer Krebspatientin begeben. „Ich habe die Ärzte mit Sicherheit gefordert, denn ich ging einen Behandlungsschritt nur mit, wenn meine innere Stimme auch „ja“ dazu sagte", sagt sie. Sie stellte sich der Krankheit und nahm sich damit selbst die Angst: „Ich habe gelernt, nicht mehr soviel zu grübeln, sondern mich konkret mit dem zu beschäftigen, was gerade ansteht. Das macht unendlich frei. Und glücklich."
Krankheit: Extrem verletzlich und auf wundersame Weise sehr stark gemacht
Jetzt, im Herbst 2019, ist Sonja Braun eine große Strecke des Weges gegangen und hat Chemotherapie, Operationen und Bestrahlung großteils hinter sich. Bis vor ein paar Tagen war sie noch in Reha. Hat die Krankheit sie verändert? „Sie hat mich extrem verletzlich und auf wundersame Weise sehr stark gemacht“, erläutert sie. Denn: „Ich hatte so eine Krankheit und bin immer noch da.“ Früher habe sie viel Zufriedenheit aus der Arbeit geschöpft. „Die Herausforderungen, aber auch die Geschenke, die so ein Genesungsprozess mit sich bringen, haben bewirkt, dass ich dankbar bin, einfach als Mensch da zu sein.“ Für sie war die Krankheit eine Art Postbote. Seine Botschaft war eine Frage: Wie liebevoll gehst du eigentlich mit dir selbst um?
Und sie hat sich Gedanken darüber gemacht: Wie muss ich mich eigentlich fühlen, wenn ich Brustkrebs habe? Oder: Wie will ich mich fühlen? Denn: Viele Menschen meinten es gut, konfrontierten sie dann aber mit ihren eigenen Ängsten zu Krebs. "Die Botschaft, die dann ankommt ist: Dem muss es doch schlecht gehen."
Lesung: Menschen berühren, wachrütteln und auf angenehme Weise unterhalten
Viele dieser Gedanken setzt die 43-Jährige in Lyrik um: „Ich habe schon immer gern gedichtet.“ Gemeinsam mit ihrer Cousine Simone Sommer aus Urspringen, die sie mit Gesang und am Klavier begleitet, will sie einige dieser Gedichte nun der Öffentlichkeit vortragen und lädt am 12. Oktober in die Stadtbibliothek Marktheidenfeld. Mit ihren Gedichten möchte sie die Menschen berühren, wachrütteln und auf angenehme Weise unterhalten. „In der ersten Hälfte des Abends beschäftigte ich mich mit dem Thema „Krankheit – oder nicht“, die zweite Hälfte gehört allen Facetten des Lebens, wie 'Frau sein', humorvoll traurig sein, dem Thema Zeit oder der Liebe.“
Was ihre Gedichte bewirken können, hat sie bereits in der Reha gemerkt: Nachdem sie ein Gedicht über das Thema Bestrahlung vorgetragen hatte, sagte ihr eine Mitpatientin: „Es ist toll, dass du das so in Worte fassen kannst. Auch wenn es dein Weg war, bietet es mir eine Reibungsfläche, um nachzuspüren, wie es für mich war."
Sonja Braun in der Stadtbibliothek MarktheidenfeldAm 12. Oktober um 19 Uhr laden Sonja Braun und ihre Cousine Simone Sommer unter dem Titel "Besser wie gedacht" in die Stadtbibliothek Marktheidenfeld zu einem berührenden Abend mit Musik . Laut Einladungsschreiben will die gebürtige Marktheidenfelderin und Wahl-Hamburgerin ihren Zuhörern an diesem Abend zeigen, dass man auch schwierigen Lebenslagen vertrauensvoll und dankbar – also "besser wie gedacht" – begegnen kann. Sonja Braun bedient sich dazu unter anderem der literarischen Form des Reims. Der Abend soll erheitern und Mut machen, aber auch einladen, seine Sicht auf das Leben zu überprüfen, heißt es in der Einladung. Der Abend wird musikalisch umrahmt von Simone Sommer mit Gesang, Gitarre und Klavier. Karten für die Veranstaltung gibt bei der Vhs und der Stadtbibliothek. Sie kosten sechs Euro. Aufgrund der großen Nachfrage ist voraussichtlich Anfang 2020 eine Wiederholung geplant.