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Gemünden: Die Amerikaner rückten auf Gemünden vor: Mehrere Wellen der Zerstörung legten die Altstadt in Schutt und Asche

Gemünden

Die Amerikaner rückten auf Gemünden vor: Mehrere Wellen der Zerstörung legten die Altstadt in Schutt und Asche

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    Blick von der Scherenburg auf das zerstörte Gemünden im Jahr 1945
    Blick von der Scherenburg auf das zerstörte Gemünden im Jahr 1945 Foto: Willi Starz

    Gemünden war früher ein malerisches Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern und engen Gassen. Am Kriegsende 1945 jedoch lag es in Schutt und Asche. Die Stadt war Opfer mehrerer Luftangriffe und von Kämpfen beim Einmarsch der Amerikaner geworden. Auch das Renaissance-Rathaus auf dem Marktplatz und das Adelmann-Haus, ein vierstöckiger Fachwerkbau mit Steinerdgeschoss an der Auffahrt zur Saalebrücke, wurden zerstört. Gemünden soll am Kriegsende die am meisten zerstörte Kleinstadt Bayerns gewesen sein. Bilder von damals erinnern Betrachter heute am ehesten an zerbombte Städte in der Ostukraine.

    Der Dreiflüssestadt wurde ihre Bedeutung als wichtiger Bahnknotenpunkt zum Verhängnis. Die Gemündener Künstlerin Olga Knoblach-Wolff (1923–2008) tat in den letzten Kriegsmonaten als Aufsichtsbeamtin Dienst im Bahnhof Gemünden. Im Buch "Lebenslinien am Main" berichtete sie von völlig überfüllten Zügen, bei denen Reisende sogar auf den Wagendächern saßen. Immer wieder geschah es, dass Leute auf dem Zugdach von einer niedrigen Fußgängerbrücke, die zum Bahnbetriebswerk führte, erfasst und zerschmettert wurden.

    Die damals 21-Jährige musste die schrecklichen Unfälle dokumentieren und manchmal erste Hilfe leisten. Einmal lief ein Zug ein, bei dem aus einzelnen Wagen Blut tropfte. Er war zuvor in der Gambacher Kurve von Tieffliegern beschossen worden, erinnerte sich Knoblach-Wolff.

    Menschen suchten in Kellern und Luftschutzbunkern Schutz

    Von Mitte Januar bis Ende März 1945 gab es in Gemünden 75 Mal Luftalarm, allein am 21. März erklangen die Sirenen sieben Mal. So steht es in der Schrift "Eine Stadt stirbt" des Historischen Vereins. Tiefflieger bestrichen mit ihren schweren Maschinengewehren am Ende fast täglich den Bahnhof und die Schienenstränge. Außer in den Privatkellern suchten die Leute in sieben mehr oder weniger sicheren Luftschutzbunkern Schutz. Der größte war der ehemalige Brauereikeller der Firma Kusterer in der Bahnhofstraße, wo es kaum etwas zu essen und kein Wasser gab.

    Ende März 1945 fuhren nur noch wenige Züge. Olga Knoblach-Wolff musste am 26. März Kriegsgefangene aus Frankreich beaufsichtigen, die in den Gleisanlagen kleinere Löcher von Splitterbomben mit Schotter füllen sollten. Der Tag sollte zum ersten schwarzen Tag für Gemünden werden. Vermutlich wurde es der Stadt zum Verhängnis, dass das deutsche Heeres-Oberkommando Truppen aus dem Raum Würzburg über Gemünden und Lohr an die bedrohte Main-Front bei Aschaffenburg schicken wollte. 18.000 Mann sollten dafür mit zwölf Zügen transportiert werden. Die Vorbereitungen entgingen der US-Luftaufklärung nicht.

    Ein in den Berg getriebener Stollen diente als provisorischer Unterstand

    An diesem Tag bestand seit 12.50 Uhr Luftalarm. Der Dienst von Knoblach-Wolff dauerte deshalb nur kurz. Als um 16.30 Uhr Bomber aus Richtung Massenbuch kamen, holte sie ihre Eltern und rannte mit ihnen an der Druckerei Hofmann vorbei in das Anwesen Büchner, wo ein in den Berg getriebener Stollen als provisorischer Unterstand diente. "Kaum waren wir drin, ging es auch schon los! Die Erde hat gebebt! Wir haben gezittert und gebetet und dachten nicht, dass wir da lebend rauskommen", erinnerte sie sich.

    Gemünden war völlig zerstört
    Gemünden war völlig zerstört Foto: Repro Historischer Verein Gemünden

    Im unweit davon befindlichen Amtsgerichtsstollen wurden 41 Menschen verschüttet, ihr Klopfen und Pochen verstummte erst nach Tagen. Die Bombardierung hat insgesamt 65 Menschen das Leben gekostet. In mehreren Wellen zerstörten die amerikanischen Flugzeuge mit 125- und 250-Kilo-Bomben die Stadt, vor allem die Gegend um den Bahnhof. Aber auch die Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul wurde getroffen. Am Haus der Familie Wolff in der oberhalb des Bahnhofs gelegenen Friedenstraße wurden durch eine zwanzig Zentner schwere Fliegerbombe, die im Hof gelandet war, sämtliche Fenster und Türen zerschmettert.

    "Die Erde hat gebebt! Wir haben gezittert und gebetet und dachten nicht, dass wir da lebend rauskommen."

    Olga Knoblach-Wolff über den 26. März 1945

    Gemündens Stadtpfarrer Burkard Ruf schrieb in einem wohl Ende 1945 abgefassten Bericht an die Diözese über den Nachmittag des 26. März, dass etwa 50 Prozent von Gemünden zerstört und die Bahn völlig lahmgelegt worden seien. "Seitdem fehlen Wasser und Strom. Pfarrkirche und Pfarrhaus erlitten erhebliche Dach- und Fensterschäden."

    Bereits am 24. und 25. März hatten einzelne feindliche Flieger das Bahnviertel von Gemünden angegriffen und neun "Menschenleben vernichtet", so Ruf. Die Opfer vom 24. März wurden am 27. März um 6 Uhr auf dem Friedhof in Kleingemünden beerdigt. "Kurz nachdem der Pfarrer die Saalebrücke passiert hatte, wurde dieselbe gesprengt. Um 7.30 Uhr stand bereits eine amerikanische Panzerspitze in Kleingemünden vor der Brücke."

    In Gemünden wusste niemand, dass sich eine Panzerkolonne näherte

    Die Rede ist von der "Task Force Baum", die sich in einer geheimen Kommandoaktion von Aschaffenburg kommend bis Gemünden vorgearbeitet hatte. Durch den schweren Luftangriff auf Gemünden am Tag zuvor und die gekappten Kommunikationsverbindungen war man dort ahnungslos, dass sich die Panzerkolonne näherte. Aber durch den Beschuss eines Truppenzuges im Gleisdreieck und das Dröhnen der Panzermotoren wurden die deutschen Soldaten in der Stadt aufgeschreckt.

    Als GIs der Task Force von Kleingemünden kommend mit einem Sherman-Panzer auf die Saalebrücke fahren wollten, ließen deutsche Soldaten die Brücke hochgehen, der dritte Bogen stürzte ins Wasser. Die Task Force musste nach einem Gefecht in Kleingemünden umdrehen und über Rieneck nach Hammelburg fahren. Die Flammen eines brennenden US-Panzers zerstörten umliegende Häuser.

    Viele Bewohner Gemündens flohen in die umliegenden Dörfer

    Der größte Teil der Bevölkerung hatte die Stadt verlassen und war in die umliegenden Orte geflohen, Ruf selbst hatte sich mit etwa 70 Personen in den Wald von Reichenbuch begeben und war am Mittwoch den 28. wieder ins Pfarrhaus zurückgekehrt. Zuvor hatte es auch am 27. und dann erneut am 31. März (Karsamstag) Zerstörungen durch amerikanische Flieger gegeben.

    Pfarrer Ruf schrieb: "Die Liturgie der Kartage konnte wegen dauernder Fliegergefahr nicht gefeiert werden. Mit wenigen Leuten wurde eine kurze Andacht in der beschädigten Kirche abgehalten." Auch Familie Wolff kehrte nach Tagen im Wald bei Adelsberg und in der Scheune eines Bauern in Gössenheim wieder nach Gemünden zurück und fand, weil das Haus weiterhin unbewohnbar war, Unterschlupf im "Kusterer-Keller". Der Brauereikeller bot vielen hundert Menschen Zuflucht. Manche lebten dort mehrere Wochen. "Ein Matsch war das und ein fürchterlicher Gestank!", berichtete Olga Knoblach-Wolff.

    Die 3. US-Infanteriedivision rückt am Gemündener Marktplatz in Richtung Rieneck ab.
    Die 3. US-Infanteriedivision rückt am Gemündener Marktplatz in Richtung Rieneck ab. Foto: US National Archives

    Nachdem die beiden Osterfeiertage verhältnismäßig ruhig verlaufen waren und wieder die Messe mit den Zurückgekehrten gefeiert werden konnte, folgte am Dienstag, 3. April, erneut ein schwerer Bombenangriff auf die Innenstadt. Am nächsten Tag sollte ein US-Panzerbataillon als Tagesziel die Stadt einnehmen und rückte nach schweren Gefechten um Langenprozelten auf Gemünden vor.

    Schwere Kämpfe um die Stadt Gemünden

    Doch so einfach sollte es zum Leidwesen der Stadt nicht werden. Denn in der Altstadt lagen starke deutsche Kampfverbände. Weil Granatfeuer die US-Soldaten empfing, forderten sie Luftunterstützung an, die auch in Wernfeld Bomben abwarf, wo 32 Personen zu Tode kamen. Gleichzeitig begann amerikanische Artillerie pausenlos auf Gemünden zu feuern, Panzer beteiligten sich vom Zollberg aus an der Zerstörung der Stadt. Am Abend des 4. April war jedoch nur Kleingemünden in amerikanischer Hand.

    Durch den Artilleriebeschuss und die Bombenabwürfe stand die komplette Innenstadt in Flammen. Die Stadtpfarrkirche und die Schule am Obertor brannten, das Feuer fraß sich durch das Holz der Fachwerkhäuser. Flammen schlugen aus dem prachtvollen Renaissance-Rathaus am Marktplatz und dem Adelmann-Haus mit seinem einmaligen Fachwerk. Auch das städtische Archiv wurde ein Raub der Flammen.

    Ein im Internet abrufbarer, 30-minütiger Film mit vor Jahren durch Zufälle im Nationalarchiv in Washington wiederentdeckten Sequenzen zeigt den Weg der US-Soldaten von Langenprozelten her sowie die Einnahme der brennenden Altstadt.

    Am 5. April setzten frühmorgens amerikanische Sturmboote über die Saale. Panzer fuhren durch eine seichte Stelle. Es wurde um jedes Haus gekämpft, kurzzeitig wurde sogar ein amerikanischer Leutnant mit zwei Mann gefangen genommen, nur um nach dreistündigem Kampf von Kameraden wieder befreit zu werden.

    Von Massenbuch aus kam dem Panzerbataillon das Infanteriebataillon der "Cotton Balers" zu Hilfe, das gegen Mittag über eine Pontonbrücke den Main nach Gemünden überquerte. Schwere Panzer, die nicht übersetzen konnten, beschossen die Stadt von Süden her. Um 15.30 Uhr war die Verbindung zum Panzerbataillon auf Gemündener Seite hergestellt. Allerdings musste ein weiteres US-Infanteriebataillon eingesetzt werden, um die letzten deutschen Widerstandsnester auszulöschen.

    Bei den Kämpfen starben Kinder und ganze Familien

    Nach zweitägigen schweren Kämpfen war die Stadt am Abend des 5. April 1945 in der Hand der Amerikaner. Pioniere machten sich sofort daran, eine feste Saale-Überfahrt zu bauen. Am nächsten Morgen schoben Räumpanzer in der immer noch brennenden Altstadt Durchfahrten für die nachstoßenden amerikanischen Kampfverbände frei. Von 410 Wohngebäuden waren 179 völlig zerstört, viele andere teilweise. Fürchterliche 147 Einträge weist das Sterberegister für die Zeit vom 24. März bis zum 8. April auf – darunter Kinder und ganze Familien.

    "Angeblich wegen Gefährdung des durchrollenden Nachschubs wurde die Kirchenfassade durch 27 Schuss amerikanischer Granatwerfer eingelegt."

    Gemündens damaliger Stadtpfarrer Burkard Ruf

    Das alte Rathaus von Gemünden brannte völlig aus und wurde gesprengt.
    Das alte Rathaus von Gemünden brannte völlig aus und wurde gesprengt. Foto: Repro Historischer Verein Gemünden

    Mit der Einnahme der Stadt war die Zerstörung aber noch nicht zu Ende. Am darauffolgenden 6. April griff der immer größer werdende Brand im Stadtinnern auf Kirchturm und Kirche über, sodass sie um 16 Uhr einstürzte. "Angeblich wegen Gefährdung des durchrollenden Nachschubs wurde die Kirchenfassade durch 27 Schuss amerikanischer Granatwerfer eingelegt", notierte der Stadtpfarrer. Die neuentfachte Glut habe sämtliche Häuser am Schlossberg in Brand gesetzt, sodass 80 Prozent der Stadt zerstört wurden. Das ausgebrannte Rathaus, dessen Umrisse noch auf dem Gemündener Marktplatz kenntlich gemacht sind, sprengten die Amerikaner. Vermutlich war es den nachrückenden Verbänden im Weg.

    Als die Amerikaner die Stadt eingenommen hatten und die Altstadt brannte, musste die Bevölkerung die Wohnungen verlassen und wurde teils in der Kirche, teils im Keller des alten Schulhauses etwa zwei Stunden gefangen gehalten, so Ruf – "auch der Pfarrer trotz Protest". Manche wurden gezwungen, über am Boden liegende Hakenkreuzfahnen zu laufen. Ansonsten galt eine Ausgangssperre.

    Die Menschen mussten zum Teil Mainwasser trinken und bekamen Ruhr

    Männer wurden zu Aufräumkommandos zusammengestellt, mussten auch Tote ausgraben. Weil die Wasserleitungen kaputt waren, mussten die Menschen zum Teil Mainwasser trinken und bekamen Ruhr. Es soll auch einige Fälle von Cholera gegeben haben. Für die Gemündener begann gleich die schwere Arbeit des Wiederaufbaus.

    Von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter aus dem Baltikum, in Gemünden nur "Polen" genannt, hatten angeblich drei Tage Plünderungsfreiheit. Da die Waggons im Bahnhof mit unterschiedlichen Waren beladen waren, war viel zu holen. Einige der plündernden Zwangsarbeiter sollen Kanister mit Torpedo-Treibstoff für Schnaps gehalten haben und daran qualvoll gestorben sein.

    In den Straßen lagen noch Tage später tote Soldaten. Nicht immer konnten Verletzte geborgen werden. Vergeblich versuchte man, 26 Verschüttete, darunter fünf Kinder und sechs französische Kriegsgefangene, aus dem bei den Kämpfen am 4. und 5. April eingestürzten Schulkeller neben dem heutigen Kulturhaus zu befreien. Augenzeugen berichteten, dass man auch hier noch tagelang Klopfen und Pochen gehört habe.

    In den "Kusterer-Keller", wo Familie Wolff Unterschlupf gesucht hatte, trauten sich die Amerikaner erst einige Tage nach dem Ende der Kämpfe unter Begleitung von zwei Zwangsarbeitern. Unter den Amerikanern war das Gerücht umgegangen, dort hätten sich deutsche Soldaten verschanzt. "Als sie dieses Elend sahen", so Knoblach-Wolff, "waren sie gerührt und ganz erschüttert".

    Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter /dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

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