"Körpernahe Dienstleistungen", wie es in schönstem Amtsdeutsch heißt, dürfen seit diesem Montag wieder angeboten werden. Dazu zählen etwa Haarschnitte, neue Fingernägel oder Fußpflege. Auch Tattoos darf man sich wieder in ganz Deutschland stechen lassen – nur halt in Bayern nicht. Tätowierer Patrick Welzenbach aus Mittelsinn ist fassungslos. "Für die Psyche sind Tattoos genauso wichtig wie ein neuer Haarschnitt", ist er überzeugt. Seit November schon darf er nicht tätowieren, wartet Woche für Woche, Monat für Monat darauf, dass er endlich wieder loslegen kann.
Hinzu kommt: Das Hochwasser der Sinn Ende Januar hat die Stützmauer seines Tattoo-Studios einstürzen lassen. Dabei hatte er den ersten Lockdown vergangenes Frühjahr für eine umfassende Renovierung genutzt. Jetzt ist unklar, ob das Gebäude überhaupt noch zu retten ist. Von der gegenüberliegenden Wiese aus sieht man den Schaden gut und erkennt: Das schaut nicht gut aus. Inzwischen ist die Sinn wie vor zehn Jahren wieder komplett zurück in ihrem ursprünglichen Bett. Der Zufluss zum Mühlgraben, der zur Stromerzeugung beim Nachbarn zehn Jahre lang wieder Wasser führte und das Gebäude unterspülte, sei praktisch gekappt. Ein Glück sei es gewesen, dass nicht auch noch das Elternhaus daneben unterspült worden sei.
Im ersten Lockdown Studio renoviert
Der 34-jährige Welzenbach hat sein Handwerk im Tattoo-Studio "Autsch" in Karlstadt gelernt. Seit einigen Jahren hat er im ehemaligen Lager seines Vaters, der einen Getränkehandel hat, sein eigenes Studio "TAT2 Shop" betrieben. Bis zum ersten Lockdown hatte es Disco-Atmosphäre, an Wänden und Decken waren Styroporverpackungen aufgeklebt. Es sei dunkel und kalt gewesen, "eher eine Partybude", sagt der Tätowierer heute.
Den ersten Lockdown fand er gar nicht so schlimm, es habe ihm gut getan, mal etwas runterzukommen. Er und seine Freundin nutzten die freie Zeit, um das gesamte Studio umzugestalten und innen komplett mit einem Lehm-Sand-Stroh-Gemisch auszukleiden, das sollte Wärme ausstrahlen. Als Dekoelemente dienten unter anderem Babygläschen. "Von morgens bis abends hab ich komplett mit Matsch und Glas modelliert", sagt Welzenbach.
Tätowierer in Bayern müssen weiter um Existenz bangen
Nach acht Wochen durfte er im Frühling wieder tätowieren – natürlich mit Maske. Er habe schon gemerkt, dass das stundenlange Maskentragen auf die Konzentration gehe. "Jetzt wäre ich froh, überhaupt wieder arbeiten zu dürfen." Er habe die ganze Zeit gehofft, dass er wieder anfangen kann, "dass wieder Geld reinkommt", das er für die gleichzeitige Sanierung des angrenzenden Hauses, in dem er jetzt wohnt, gut gebrauchen könnte. Aber Pustekuchen! "Wir in Bayern müssen weiterhin um unsere Existenz bangen." Hätte er früher gewusst, dass er monatelang nicht würde tätowieren können, hätte er sich einen Job gesucht. Psychisch sei die Zeit des Nicht-arbeiten-Dürfens nicht einfach. "Das zehrt."

Im ersten Lockdown habe er nur die laufenden Kosten erstattet bekommen, für November und Dezember immerhin 75 Prozent der entgangenen Einkünfte. "Da möchte ich mich überhaupt nicht beschweren." Es habe zwar lange gedauert und sei für ihn als Soloselbstständigen ohne Steuerberater ein ziemlicher Bürokratieakt gewesen, aber es habe schließlich geklappt.
So weit er wisse, bekomme er für Januar und Februar wieder nur die laufenden Kosten erstattet. Aber er und seine Freundin, die als Fußpflegerin bis vor Kurzem auch nur noch die Kunden versorgen durfte, die es aus medizinischen Gründen brauchen, hätten sich schon daran gewöhnt, den Gürtel enger zu schnallen.
Welzenbach: Tätowierer kennen sich mit Thema Hygiene aus
Er habe im Gegensatz zu Kollegen noch das Glück, für sein Studio keine Miete zahlen zu müssen. Ein Kollege etwa habe das Pech, in Hessen zu wohnen, wo er tätowieren dürfte, aber sein Studio "Bunter Hund" in Frammersbach zu haben. Er findet es gut, dass Friseure und Kosmetiker wieder arbeiten dürfen, aber die hätten am Tag mehr als nur zwei, drei Kunden wie er. Hinzu komme: "Wir kennen uns wirklich gut aus mit dem Thema Hygiene." Er arbeite mit medizinischem Reinigungsmittel.
Leid tue es ihm auch für die Kunden, die er vermisse. Auch Tätowierungen dienten dem Wohlbefinden, sagt er. Er habe sich im Umkreis einen guten Namen gemacht, schlechte Tätowierungen schick zu überdecken. "Es laufen sehr viele Leute mit schlechten Jugendsünden rum." Die hätten auch einen gewissen Leidensdruck. "Manche bewältigen ihre psychischen Probleme mit Schmerz", so seine Erfahrung. Ein Kunde würde sich auch gern seinen verstorbenen Hund tätowieren lassen.
Mittelsinner haben ihre Hilfe angeboten
Nach dem Beinahe-Einsturz seines Tattoo-Studios hat er viele Hilfsangebote erhalten von örtlichen Handwerkern, Einheimischen und Kunden. "Es gibt doch noch den Zusammenhalt im Dorf", sagt er dankbar. "Das ist schon rührend." Aber noch ist unklar, wie es weitergeht. Es gebe Pläne, wie sich das Gebäude stabilisieren lässt. "Wir hoffen, dass man's retten kann." Jedenfalls müsse so schnell wie möglich was passieren. Aber im Moment ist ihm so viel klar: "Ich tätowiere dieses Jahr nicht mehr in meinem Studio." Als Notlösung hat er sich jetzt ein Zimmer im Haus als provisorisches Studio eingerichtet – bislang ohne Kunden. Frühestens im April werde er wieder tätowieren können, glaubt er.