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Lohr: Ein Löhrer vom Schwarzen Meer

Lohr

Ein Löhrer vom Schwarzen Meer

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    Mehmet "Hasan" Aytac in seinem Imbiss beim Obi in Lohr. Er kam vor 50 Jahren mit seiner Familie nach Lohr, wo sein Vater als Gastarbeiter arbeitete.
    Mehmet "Hasan" Aytac in seinem Imbiss beim Obi in Lohr. Er kam vor 50 Jahren mit seiner Familie nach Lohr, wo sein Vater als Gastarbeiter arbeitete. Foto: Björn Kohlhepp

    50 Jahre ist es her, dass der Lohrer Gastronom Mehmet Aytac, von Freunden und Familie "Hasan" gerufen wie sein Großvater, mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Lohr kam. Hier war sein Vater seit 1964 Gastarbeiter bei Rexroth in der Gießerei. Sechs Jahre alt war Aytac, als er vom türkischen Schwarzmeerort Rize in den Spessart kam. Heute fühlt er sich als "Löhrer", auch wenn er regelmäßig in der Türkei ist.

    Fünf Jahre lang führte Aytac die Gaststätte im Lohrer Bahnhof, anschließend ebenso lang das "Lohrtorstüble". Heute arbeitet er als Angestellter seines Bruders Erol im Imbiss am Obi-Parkplatz. Dort trifft man ihn stets gut gelaunt an und bekommt von ihm typisch deutsches Imbissessen: Currywurst, Bratwurst, Schnitzel, dazu Bier. Er ist zwar Moslem, er habe aber kein Problem mit Schweinefleisch oder Bier. Er gehe in die Moschee, wenn er will, faste, wenn er will, und gehe auf die Festwoche zum Biertrinken, wenn er will.

    Mitschüler sprachen mit ihm anfangs gebrochenes Deutsch

    Natürlich kam Aytac 1969 ohne Deutschkenntnisse nach Lohr, aber das habe sich schnell geändert. "Das hab ich in sechs Monaten gelernt", sagt er. "Zum Türkischsprechen war ja niemand da." Seine Familie sei die erste gewesen, die ein Gastarbeiter nachgeholt habe. Anfangs hätten die deutschen Schüler mit ihm gebrochenes Deutsch gesprochen – "Du machen" und solche Sachen –, aber irgendwann habe die Lehrerin geschimpft, dann hätten sie richtig mit ihm geredet, und richtig heißt "Löhrerisch". Ganz schnell habe es mit der Integration geklappt. Die Geschwister, er und sein Bruder und die ältere Schwester, haben auch untereinander Deutsch gesprochen.

    Sein Vater wohnte zunächst mit anderen Gastarbeitern in einem vom Unternehmen Rexroth gestellten Heim auf dem Gelände, auf dem heute Opel Brass ist. Als die Familie kam, zog er in eine Wohnung in Rodenbach, wo Hasan Aytac die ersten vier Jahre in Deutschland verbrachte. Gern erinnert er sich an den Vermieter Hugo Bernard und dessen Familie. "Da waren wir immer willkommen." Vater Aytac fuhr mit seinem Ford Taunus nach Lohr auf die Arbeit. Für die Kinder eine tolle Sache: "Wenn man damals in der Türkei ein Auto hatte, war man reich."

    Zu Hause stand ein Christbaum

    Und es kam noch besser. Weil sein Vater so fleißig gewesen sei, habe dessen Meister die Weichen gestellt, dass sie eine Wohnung in der Franziskushöhe bekamen, "in der schönsten Gegend von ganz Lohr".  "Ich habe mich schon privilegiert gefühlt", erzählt Aytac. Er hatte eine schöne Kindheit in Lohr. Seine Eltern seien gläubige Moslem gewesen, aber an Weihnachten gab es einen Christbaum und Geschenke. "Gläubig, aber modern", sagt Aytac. Jedes Jahr ging es mit dem Auto die kompletten Sommerferien ans Schwarze Meer. Etwa 1972/73 kam auch sein jüngster Onkel nach Lohr; Aytacs Cousins sind deutlich jünger.

    Der Vater hatte in der Türkei im Straßenbau gearbeitet und sich, nachdem Großvater Hasan früh gestorben war, um die Familie kümmern müssen. Er hatte den Traum, sich Maschinen für den Straßenbau zu kaufen und wieder in die Türkei zu gehen. Nebenher kaufte er dem Textilwerk Knecht geschäftstüchtig auch noch gebrauchte Kleidung ab und verkaufte sie wieder. 1978 war es für den Vater so weit: Er ging zurück in die Türkei, allerdings nicht mit Maschinen für den Straßenbau, sondern mit Industrienähmaschinen. Er gründete eine Kleiderfabrik in Istanbul, die Mutter zog ein Jahr später nach.

    Aytac musste die Kleiderfabrik des Vaters übernehmen

    Sohn Hasan blieb wie sein Bruder hier und begann nach der Schule in der Gießerei. "Für eine Lehre hat es damals finanziell nicht gelangt." Seine Schwester hatte beim Rexroth im Büro gelernt und war dann auch wieder in die Türkei gegangen. 1984 dann ging auch er in die Türkei, um seinem Vater zu helfen, dafür musste er 18 Monate Militärdienst in der Türkei machen. "Mir wäre einiges erspart geblieben", sagt er heute, "das habe ich bereut." Und während er seinen Wehrdienst ableistete, starb sein Vater. Er musste die Kleiderfabrik übernehmen, hatte 50 bis 60 Angestellte. "Ich habe in der Türkei länger gebraucht, um mich zu integrieren, als hier", sagt er. "Ich denke zu 100 Prozent deutsch."

    Mit dem zweiten Golfkrieg Anfang der 90er sei die Nachfrage aus den USA eingebrochen, die Kleiderfabrik ging pleite. 1996 kam Aytac zurück nach Lohr und begann wieder in der Gießerei. Obwohl Deutsch seine zweite Muttersprache war, habe er sie in der Türkei fast vergessen. Aber es sei nur verschüttet gewesen. "Man bildet sich ein, man kann kein Deutsch mehr, aber ruckzuck ist es wieder gegangen", erzählt Aytac. Wort für Wort kam zurück.

    2004 wurde er dann Gastronom. Nachdem er das Lohrtorstüble abgegeben hatte, ging er für eine "Auszeit", wie er sagt, abermals in die Türkei. Dort lebt seine inzwischen 81-jährige Mutter. Seit er vor nun gut zwei Jahren wieder nach Lohr zurückkam, arbeitet er im Obi-Imbiss. Gleichzeitig bezieht er bereits eine Rente aus der Türkei, die inflationsbedingt aber schon deutlich zurückgegangen sei, und hat Mieteinnahmen dort.

    Aus Bratwurststand am Lohrer Marktplatz wurde nichts

    Er hätte mit seinem Bruder gern einen kleinen Bratwurststand am Lohrer Marktplatz aufgemacht. "Die Stadt wollte das nicht", sagt Aytac. Wie er sich seine Zukunft vorstellt? Für immer in der Türkei zu leben, auch wenn er nur einen türkischen Pass hat, könne er sich nicht vorstellen. "Wenn mir danach ist, fahre ich ans Schwarze Meer, und wenn mir danach ist, fahre ich wieder hierher. Das ist doch Freiheit."

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