Ob sich der Slogan "Wohnen und Leben an der Alten Tabakfabrik" in einigen Jahren in Karlstadt durchgesetzt haben wird, wenn vom Hegewaldgelände die Rede ist? Andreas Fella, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenbank Main-Spessart, und sein Kollege Patrick Zachrau, Leiter der Immobilienprojektentwicklung im Haus, würden das begrüßen. Sie stellten dem Stadtrat am vergangenen Donnerstag ein Angebot für das Hegewaldgelände vor. Dabei ist eine Kombination aus Bestandsgebäuden und Neubauten denkbar.
Im Januar hatte der Architekt Roland Breunig dem Stadtrat ein Nutzungskonzept gezeigt, das darauf aufbaut, die alte Fabrikhalle und das benachbarte Lagergebäude zu erhalten. Die nächste Frage, die beantwortet werden muss: Mit welchem Partner geht man die Projektentwicklung an? Ein heißer Kandidat dafür scheint die R-Projekte GmbH zu sein. Sie ist eine hundertprozentige Tochter der Raiffeisenbank Main-Spessart und entwickelt bereits Projekte in Lohr, Steinfeld oder Esselbach.
Wohnsituation nicht den Altersstrukturen angepasst
Andreas Fella sprach die demografische Herausforderung an: "Über die Hälfte der Bewohner des Landkreises sind über 50 Jahre alt, wir brauchen Nachwuchs." Viele Menschen fänden es immer noch schön, auf dem Land zu leben und man dürfe die Urbanisierung nicht einfach so hinnehmen, findet Fella, der sein Interesse an der Zusammenarbeit auch wirtschaftlich einordnet: "Wenn weniger Einwohner da sind, haben wir auch weniger Kundenpotenzial."

Dem Vorstandsvorsitzenden zufolge hapert es im Landkreis Main-Spessart an "lebensphasengerechtem Wohnraum". Die Wohnsituation sei oft nicht an die Altersstrukturen angepasst. Deswegen wolle sein Kollege und Geschäftsführer der R-Projekte, Patrick Zachrau, mit seinem Team Wohnprojekte begleiten, die "gut für den Landkreis sind".

Als geeignete Blaupause für eine Zusammenarbeit beim Hegewaldgelände nennt Zachrau ein sich im Bau befindliches Wohnquartier in Lohr. In den insgesamt fünf Wohngebäuden dort sind neben Miet- und Eigentumswohnungen sowie Apartments auch eine Senioren-WG und eine KiTa mitgedacht. "Senioren und Kleinkinder können hier miteinander leben und eine spannende Mischung bilden", so Zachrau. Auch erneuerbare Energien und ein Autarkie seien ein großes Thema. Alle Dachflächen beim Projekt in Lohr würden mit Photovoltaikanlagen bestückt.
Fertigstellung des Karlstadter Areals wäre 2030 realistisch
Ein Zeitstrahl in der Präsentation des Projektentwicklers zeigte dem Stadtrat, dass bei Projekten der Größenordnung wie in Lohr – und somit auch beim Hegewaldgelände – vom Kaufvertrag bis zum Baubeginn mehrere Jahre vergehen. Im Juni 2022 wurde das Angebot der Projektgruppe für die Entwicklung des Lohrer Quartiers angenommen, Baubeginn war im Januar 2025. In dieser Zeitspanne fielen bereits eine Million Euro an Planungskosten an.
Sollte sich auch das Karlstadter Gremium für die Zusammenarbeit entscheiden, käme es zunächst zur Ausarbeitung des Optionskaufvertrags. Um abgesichert zu sein, ziehen Fella und Zachrau es vor, erst eine monatliche Anzahlung zu leisten und den restlichen Grundstückskaufpreis nach Erhalt des Baurechts zu zahlen. Nach einer weiteren Zustimmung im Stadtrat zum Vertragswerk würde das Projektteam auf eigene Kosten das neue Quartier entwickeln.

"Der nächste Schritt ist dann die Parzellierung, also Aufteilung des Areals", so Fella. Einzelne Gebäude würden dann mit Zustimmung der Stadt an eventuelle Endinvestoren wie die Anfang 2024 gegründete Genossenschaft "Karschter Wohnen" oder "Wohnen in Gemeinschaft" verteilt werden. Im präsentierten Szenario ginge es dann 2027 bis 2028 an die bauliche Umsetzung und etwa 2030 könnte das neue Quartier auf dem Hegewaldgelände stehen.
Hombach: "Haben einen Entwickler, der für die Region brennt"
Mit Blick auf die Vorstellungen der einzelnen Fraktionen im Nutzungskonzept zum Areal in der Südstadt sagte Fella: "Wir haben überlegt, ob diese Wünsche teilweise mit unseren übereinstimmen und dabei eine große Deckungsgleichheit gesehen." Sogar eine Präambel, die Leitbild und Projektziele für das Hegewaldgelände definiert, habe er schon aufgesetzt. Darin findet sich auch der Gedanke, durch die Projektentwicklung zusätzlichen Druck auf das Preisniveau bei Veräußerungen von Immobilien im Stadtgebiet zu vermeiden.
Dass man "nichts übers Knie brechen wolle" und noch keinen Beschluss fasse, machte Bürgermeister Michael Hombach (CSU) im Anschluss an die Präsentation deutlich. Angetan vom Angebot zeigte er sich aber. "Wir haben hier einen Entwickler, der für die Region brennt und sich für eine positive Entwicklung einsetzt. Die Referenzen zeigen, dass das nicht nur leere Worthülsen sind", so Hombach.
Auch Ingo Röder (Freie Wähler) und Eugen Köhler (CSU) äußerten sich positiv zu einer möglichen Zusammenarbeit. Letzterer wies darauf hin, dass gerade in Gemünden viele Bauprojekte mit Erbbaurecht entwickelt werden. "Das bedeutet auch einen Rückfluss für die Kommune. Erbbau hat für Käufer auch Vorteile." Fella erwiderte, beim Thema Erbbau vorsichtig, aber nicht ganz verschlossen zu sein.
Stadt Karlstadt im Prozess voll eingebunden
Armin Beck (Grüne) konnte sich nicht ganz vorstellen, wie im laufenden Prozess Abstimmungen mit der Stadt rechtlich verbindlich festgelegt werden. "Die Baurechtschaffung bei so einem Areal funktioniert über Planungsrunden während des Bauleitverfahrens. Die Planungshoheit liegt bei der Stadt, gemeinsam mit dem Landratsamt. Daher besteht hier auch rein rechtlich ein maßgeblicher Einfluss", erklärte Zachrau.

Becks Fraktionskollegin Anja Baier meinte, bei Fellas Vortrag eine gewisse Zurückhaltung bei der Frage nach der historischen Bausubstanz rausgehört zu haben. Der gab an, bei diesem Thema immer zurückhaltend zu sein. "Wir wissen, dass es technisch möglich wäre, aber es bringt nichts, wenn ich die Bausubstanz erhalte und später horrende Kosten habe. Das müssen wir alles prüfen", so Fella. Er halte es aber für "Sünd' und Schande", wenn das Backsteingebäude verloren ginge.
Eine weitere Anmerkung hatte Thorsten Heßdörfer von den Freien Wählern, der nicht möchte, dass "jedes Ding so ausschaut wie das andere". Auf den vielen Baufeldern, die sich auf dem Areal befinden, wünscht er sich unterschiedliche Planer für verschiedene Lösungen. "Ich habe Angst vor uniformer Gleichheit und fände es erfrischender, wenn mehr Vielfalt reinkäme", so Heßdörfer. Hombach teilte diese Sorge nicht und kündigte an, die Entscheidung über das Angebot der Raiffeisenbank-Tochter bald wieder auf die Tagesordnung setzen zu lassen.