„Hier möchte ich in zwanzig Jahren noch sitzen“, sagt Jan Bohnhof, der sich gerade, gegenüber seiner Lebensgefährtin Dagmar Roth unter einem Pavillon sitzend, seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückt. Auf dem Campingplatz Main-Spessart Camping International zwischen Neustadt und Hafenlohr weicht jetzt in den Abendstunden langsam die Hitze des Tages etwas kühleren Temperaturen. Bewegung kehrt in die sauber gepflegten Parzellen der Dauercamper ein. Freundlichkeit wird hier groß geschrieben. Ohne ein „Hallo“ läuft niemand durch die langen Reihen aus Wohnmobilen und Hauszelten. Spontan bilden sich kleine Gesellschaften. Es wird geplaudert.
2015 kauften sich Dagmar Roth und Jan Bonhof ganz spontan einen kleinen Wohnwagen. Vorausgegangen war im selben Jahr ein erstmaliger Besuch auf dem Campingplatz in Neustadt, um die Schwester von Dagmar Roth zu besuchen. Damals noch im Zelt. „Wir hatten sofort gefallen am Camping gefunden“, erinnert sich die 57-jährige. Trotz des Wohnwagens, der noch im selben Jahr durch ein größeres Modell ersetzt wurde, war sich Roth sicher, dass sie nicht jedes Wochenende zum Campen kommen werde.
Nur drei Jahre später sitzen die beiden – jedes Wochenende von März bis Oktober – inmitten der vielen saisonalen Langzeitcamper, deren Stellplätze sich manchmal seit Jahrzehnten im Familienbesitz befinden. Auch ihren gesamten Jahresurlaub verbringen sie hier. „Man gehört sofort dazu“, schwärmt Dagmar Roth über das Gemeinschaftsgefühl unter den Campern. „Wir helfen uns untereinander und halten zusammen.“
Während Jan Bohnhof sich selber als „Naturburschen“ bezeichnet, hatte Dagmar Roth mit Camping nie etwas am Hut. Jetzt schwärmt sie: „Es ist fantastisch hier.“ Auch wenn das Wochenenddomizil nur 50 Kilometer von der Heimat Würzburg entfernt liegt, fühlt sich für die beiden Camper jeder Tag „wie Urlaub“ an. Jeden Morgen um 5 Uhr steht Jan Bohnhof auf, berichtet er. „Dann fahre ich mit dem Boot auf den Main und genieße den Sonnenaufgang.“
Für den 54-jährigen gebürtigen Hamburger ist das die „totale Entspannung“. „Wenn ich von zuhause weg bin, dann bin ich weg“, erklärt Bohnhof. „Hier habe ich meine Ruhe und jeden Tag beste Unterhaltung.“ Damit meint er die vielen Aktivitäten unter den Dauercampern „seiner Straße“ auf dem Platz. Radtouren, Wanderungen, Bootsausflüge, auch Besuche auf der Festwoche gehören dazu. Ganz zu schweigen von den vielen gemeinsamen Abende, so Bohnhof. „Irgendjemand kommt immer auf einen Plausch vorbei“, lacht er. Heute bereitet er selbst ein Labskaus aus seiner norddeutschen Heimat zu. Für 30 Personen kocht Bohnhof. Eine lange Tafel verschiedener Campingtische und Stühle steht entlang der Wohnwagen, inmitten einer Reihe bunter Pavillons. Nachbarn und Campingfreunde sind eingeladen.
Während Bohnhof Rote Beete und Kartoffeln abschmeckt, sitzt indes der Inhaber des Campingplatzes, Jürgen Klöckes, in der Rezeption, nimmt am Telefon-Reservierungen vor und weist neuankommende Camper ein. Vor 48 Jahren betrat er als 13-jähriger Junge zum ersten Mal die weitläufige Aue vor dem Main, die sein Leben bis heute bestimmt. Klöckes Eltern übernahmen 1970 den Campingplatz als Pächter.
Seit über 20 Jahren ist der gebürtige Krefelder selber der Chef über die 250 Stellplätze. „Bei uns läuft alles locker, freundlich und entspannt“, gibt sich der 61-Jährige überzeugt. Die komplette Saison über lebt er mit seiner Frau auf dem Platz, im Winter wohnt das Paar in seiner Wohnung in Sendelbach. Nahezu rund um die Uhr ist Klöckes im Einsatz. „Irgendwas fällt immer an“, erklärt er seinen Tagesablauf, der am frühen Morgen beginnt. Sanitäre Anlagen müssen betreut werden, die Wasserqualität des Pools wird kontrolliert. Auch die Zeit für ein kurzes Gespräch mit seinen Gästen muss sein.
Ärger habe er nie, sagt Klöckes: „Nur kleine Probleme.“ Beispielsweise wenn wieder einmal ein Hund sein Geschäft auf der 750 Meter langen Uferpromenade verrichtet – vor den Augen der gerade essenden Camper. Klöckes lacht: „Mit Freundlichkeit komme ich immer weiter.“ Das Dauercamping, über viele Jahre rückläufig, nimmt gerade wieder zu, berichtet Klöckes. 150 Stellplätze sind von Dauercampern belegt, 100 von anderen Touristen. Ein zusätzliches Kontingent hält er für Durchreisende frei.
Ein junges Paar aus der Schweiz betritt die Rezeption. Auch ohne Reservierung weist Klöckes die beiden ihrer Parzelle zu. Die meisten Gäste bleiben länger, fühlen sich rundum wohl, weiß Klöckes. „Ab Mitte August wird es ruhiger“, sagt er. Neben den vielen Holländern, die das Klischee als campingbegeistertes Volk tatsächlich erfüllen, hat Klöckes Besuch aus ganz Europa.
Die Tischreihen in der Straße von Dagmar Roth und Jan Bohnhof haben sich mittlerweile gefüllt. Auf einem Tisch steht eine Möwenskulptur. „Damit Jan kein Heimweh bekommt“, lacht Dagmar Roth. Ein Gast schaut skeptisch auf den Labskaus auf seinem Teller, der mit einem Hering kredenzt wird. „Schmeckt“, meint er knapp. „Klar schmeckt das“, pflichtet ihm Bohnhof bei.
ie Stimmung unter den generationsübergreifenden Gästen ist bestens. „Merken Sie jetzt, warum es uns so gut gefällt?“, fragt Dagmar Roth und nimmt von zwei neuankommenden Besuchern eine Flasche Wein entgegen.
Eine norddeutsche Nacht am Mainufer hat begonnen, die das Gemeinschaftsgefühl unter den vielen Campern bei Neustadt weiter verstärken und sicherlich lange andauern wird.