Die von Russland gedrosselten Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 wirken sich bald spürbar auf die Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher aus. "Es wird für viele Leute hart werden im Winter", befürchtet Stefan Schinagl, kaufmännischer Leiter der Energieversorgung (ENERGIE) Lohr-Karlstadt. Im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet er, worauf sich die rund 14.000 Kundinnen und Kunden einstellen müssen, die ihr Erdgas bei dem Grundversorger beziehen, und wie er den Trend am Gasmarkt in den kommenden Monaten einschätzt.
Hat die Energieversorgung Lohr-Karlstadt bereits ihre Preise erhöht?
Schon im März ist Schinagl davon ausgegangen, dass die ENERGIE ihre Gaspreise früher oder später "nennenswert" erhöhen werden muss. Und so kam es auch: Für Bestandskundinnen, die keinen Vertrag mit einer Preisgarantie haben, hätten sich die Kosten für Erdgas seit dem 1. Juni mehr als verdoppelt, berichtet er. Wer zu Beginn vergangenen Jahres eine Kilowattstunde Gas zu 4,7 Cent bei dem Unternehmen beziehen konnte, müsse nun über zehn Cent zahlen.

Die ENERGIE bewege sich damit immer noch unter den Preisen, die aktuell an der Börse aufgerufen werden, da der Anbieter in der Vergangenheit bereits Gas zu niedrigeren Preisen eingekauft hat. An der Börse koste die Kilowattstunde aktuell rund 16,5 Cent. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir nicht alles heute einkaufen müssen, was wir morgen verkaufen wollen. Für Bestandskunden wird nicht der Maximalpreis bei uns kommen." Bei manchen Mitbewerbern sehe das anders aus.
Wer bis jetzt von den steigenden Preisen verschont geblieben ist, sind Privatkunden, die einen zweijährigen Festpreis mit der ENERGIE vereinbart hatten. Diese Verträge laufen jedoch im Oktober aus. Und angesichts der momentanen Lage könne die ENERGIE aktuell auch keine langfristigen Verträge mit Preisgarantien mehr anbieten.
Ist mit weiter steigenden Gaspreisen zu rechnen?
Ja, denn zusätzlich zu den steigenden Gaspreisen an der Börse kommt auf die Verbraucherinnen und Verbraucher von Oktober an vermutlich auch eine Gasbeschaffungsumlage zu. Diese plant die Bundesregierung derzeit, um den angeschlagenen Gas-Importeuren unter die Arme zu greifen. Diese Umlage könnte zu einer zusätzlichen Kostenerhöhung zwischen 1,5 und fünf Cent pro Kilowattstunde führen.

Darüber hinaus erwartet die Kunden laut Schinagl möglicherweise eine zweite Umlage. Versorger sind durch das Gasspeichergesetz nämlich verpflichtet, mehr Gas zu kaufen, um die Speicher in Deutschland rechtzeitig vor dem Winter zu füllen. Wie hoch die Gasspeicherumlage sein könnte, ist im Moment noch unklar. Sicher sei nur, dass beide Umlagen branchenweit direkt an die Endverbraucher weitergegeben würden, so Schinagl. "Wir sind schon am Rechnen und warten auf die Höhe der Umlagen."
"Wir müssen durch diesen Winter durchkommen, daran führt nichts vorbei. Nach dem Winter könnte sich die Lage wieder rosiger darstellen."
Stefan Schinagl, kaufmännischer Leiter der Energieversorgung Lohr-Karlstadt.
Wie stark könnten die steigenden Gaspreise Haushalte belasten?
Je nachdem bei welchem Anbieter die Endverbraucher ihr Gas beziehen und wie hoch die Umlagen der Regierung sein werden, rechnet Schinagl deutschlandweit mit großen Belastungen für Gaskunden. Ein durchschnittlicher Haushalt, der bisher beispielsweise rund 150 Euro gezahlt hat, müsse "im schlechtesten Fall" im kommenden Jahr etwa 450 Euro für Gas bezahlen. "Das wären dann 300 Euro im Monat nur für Gas, die zusätzlich aufgebracht werden müssen."

Lohnt es sich, sich nach einem anderen Anbieter umzusehen?
Wenn ein Gasanbieter seine Preise erhöht, muss er das sechs Wochen im Voraus mitteilten. Kundinnen und Kunden haben dann ein Sonderkündigungsrecht. Doch lohnt es sich aktuell überhaupt, zu einem anderen Anbieter zu wechseln? "Der Markt ist kaputt", so Schinagl. "Ich kann jedem raten, der bei seinem Heimatversorger einen Liefervertrag hat, dass er da nicht wechselt. Es kann nur schlechter werden."
Ein Problem hätten insbesondere diejenigen, die bei einem überregionalen Alternativanbieter sind, der ihnen nun keinen Folgevertrag mehr anbietet oder sehr hohe Preise aufruft. "Wenn diese zu uns wechseln wollen, werden sie bei uns leider auch zu den Preisen versorgt, wie sie momentan an der Börse gehandelt werden." Denn längerfristig habe die ENERGIE nur Gas für ihre Bestandskundinnen eingekauft.

Setzen die gestiegenen Gaspreise die Energieversorgung Lohr-Karlstadt wirtschaftlich unter Druck?
"Wir versuchen für unsere Kunden zu tun, was wir können, allerdings ist der Spielraum, Preiserhöhungen mal nicht weiterzugeben, viel geringer geworden, weil wir heute von ganz anderen Zahlen reden als früher", so Schinagl. Die Gaspreise an der Börse hätten sich verzehnfacht. Wenn man nicht dem Markt folge, gerate man auch als Versorger unter finanziellen Druck.
Inwiefern sind Industrie oder Kommunen von den steigenden Gaskosten betroffen?
Der Gasverkauf an Industrie oder Kommunen sei ein geschlossenes System, erklärt der kaufmännische Leiter der Energieversorgung Lohr-Karlstadt. "Solange die Lieferkette funktioniert, können die Kunden mit langfristigen Verträgen zu den vereinbarten Preisen beliefert werden."

Schinagl zieht den Vergleich zu einem Getränkehändler: Wenn eine Kiste Bier bereits bei einem Lieferanten im Keller stehe und ein Preis vereinbart sei, wäre egal, wie sich der Bierpreis gerade entwickelt. Doch auch für Unternehmen werde es in Zukunft schwieriger, Verträge mit Fixpreisen abzuschließen, meint Schinagl. Denn solche Verträge seien immer mit einem Risiko verbunden, weil unklar ist, wie sich die Situation noch entwickelt.
Wie können Verbraucher Geld sparen?
"Letztendlich müssen die Menschen leider möglichst wenig Gas verbrauchen", sagt Schinagl. Die Leute würden durch die hohen Preise gezwungen, sich um jedes Grad in ihrer Wohnung Gedanken zu machen. Wer eine Alternative zur Gasheizung habe, also zum Beispiel einen Kachelofen, solle möglichst darauf ausweichen. "Wir müssen durch diesen Winter durchkommen, daran führt nichts vorbei. Nach dem Winter könnte sich die Lage wieder rosiger darstellen."