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Erwachsene lernen schneller als Kinder

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Erwachsene lernen schneller als Kinder

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    Um Klavier spielen zu lernen, ist es nie zu spät, sagt Klavierlehrer Helge Barabas (im gestreiften Hemd), hier bei einem Boogie-Woogie-Kurs mit Erwachsenen an der Hammelburger Musikakademie.
    Um Klavier spielen zu lernen, ist es nie zu spät, sagt Klavierlehrer Helge Barabas (im gestreiften Hemd), hier bei einem Boogie-Woogie-Kurs mit Erwachsenen an der Hammelburger Musikakademie. Foto: ARCHIVFOTO Irene Spiegel

    Karlstadt

    Gerücht Nr. 1:

    Wer nicht bereits als Kind begonnen hat, wird es am Klavier zu nichts mehr bringen.

    Eines stimmt natürlich: Wer im reifen Alter mit dem Klavierspiel beginnt, wird mit größter Wahrscheinlichkeit kein Konzertpianist mehr. Damit erschöpft sich aber auch schon der Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts. Ich erlebe immer wieder, dass manche erwachsenen Anfänger bereits nach wenigen Wochen einen Stand erreichen wie durchschnittliche jugendliche Anfänger erst nach einem Jahr.

    Zwölf meiner aktuell 45 Klavierschüler haben erst als Erwachsene ohne Vorkenntnisse angefangen, Klavier zu spielen. Fünf davon haben sich nach wenigen Jahren so verbessert, dass ich mich in der Klavierstunde mitunter für einige Minuten zurücklehnen und mit Genuss einem vorgetragen Stück zuhören kann. Sie spielen teilweise Boogie-Woogies, Rock- und Pop-Transkriptionen sowie leichtere klassische Sonatensätze und Chopin-Walzer.

    Gerücht Nr. 2:

    Erwachsene lernen langsamer und schlechter als Kinder.

    Das Erinnerungsvermögen nimmt etwa ab dem 50. Lebensjahr ab. Doch die Abnahme beträgt nur zehn bis 15 Prozent. Und bei vielen über 70-Jährigen sind die Gedächtnisleistungen erwiesenermaßen genauso gut wie bei Schülern und Studenten. Es liegt die Vermutung nahe, dass das Nachlassen gar nicht altersbedingt ist, sondern manche Erwachsene ihr Gedächtnis einfach nicht genügend trainieren – zum Beispiel durch Klavierspielen.

    Meine Erfahrung aus 30 Jahren Unterricht: Erwachsene lernen im Durchschnitt schneller und besser als Kinder. Denn erwachsene Klavierschüler sind hoch motiviert, können auf jahrzehntelange Hörerfahrung zurückgreifen und haben Verständnis für sinnvolle Übungsmethoden.

    Wer als Erwachsener Klavierunterricht nimmt, entscheidet sich – anders als viele Kinder – bewusst und ist dementsprechend motiviert. Der Wunsch, Klavier zu spielen, entspringt keiner vorübergehenden Laune, sondern besteht oft bereits seit der Jugend. Erwachsene müssen nicht zum Üben aufgefordert werden. Sie üben freiwillig und würden oft mehr üben, wenn sie Zeit dafür hätten.

    Selbst wenn sie noch kein Instrument gespielt haben, hat sich bei Erwachsenen im Lauf von Jahrzehnten durch Musik-Hören eine genaue innere Vorstellung davon entwickelt, wie Musik klingen sollte. Diese Hörerfahrung hilft Erwachsenen, Fehler und Ungenauigkeiten beim eigenen Spiel zu erkennen. Kinder merken oft gar nicht, wenn sie unrhythmisch und fehlerhaft spielen.

    Die Kehrseite: Erwachsene neigen oft dazu, sich an dem Niveau zu messen, das sie von Konzerten und Aufnahmen kennen und empfinden ihr eigenes Spiel dann oft als unbefriedigend. Ein Kind, das gleich lange Klavierunterricht hatte und dasselbe Stück auf dieselbe Weise spielt, freut sich über das Erfolgserlebnis.

    Gerücht Nr. 3:

    Erwachsene Anfänger tun sich schwerer mit dem Notenlernen als Kinder.

    Die meisten Unterschiede im Lernverhalten und im Lerntempo haben nichts mit dem Alter, sondern vielmehr mit der Persönlichkeit zu tun. Dies gilt auch für das Notenlesen. Manche Menschen haben eben Probleme damit, andere nicht. Allerdings kann man sich als Erwachsener auch dann Grundkenntnisse der Notenschrift erarbeiten, wenn man sich schwer tut damit.

    Gerücht Nr. 4:

    Erwachsenen Anfängern fehlen wichtige Grundfähigkeiten fürs Klavierspiel – wie die Unabhängigkeit der Hände –, da die Entwicklung des Gehirns im Alter von etwa zwölf Jahren abgeschlossen ist.

    Mit demselben Argument könnte man auch begründen, dass Erwachsene nicht Autofahren lernen können. Chirurg könnte schon gar keiner werden. Aber Spaß beiseite. Jeder Mensch erwirbt vor und nach dem zwölften Lebensjahr zahlreiche Fähigkeiten, die dem Klavierspiel sehr zugute kommen können. Handwerklich versierte Menschen sind meist recht fingerfertig am Klavier, sprachbegabte Menschen können gut Noten lesen, organisatorisch begabte Menschen üben effektiv . . .

    Wenn Vater oder Mutter anfangen . . .

    . . . spielt bald die ganze Familie Klavier. Zum Abschluss eine Variante dieses erfreulicherweise häufig auftretenden Phänomens: Durch einen Wochenendkurs angeregt, beginnt der Vater, der über Grundkenntnisse verfügt, Boogie-Woogie zu spielen. Nach einiger Zeit nimmt auch die Mutter – als blutige Anfängerin – Klavierstunden. Sie bevorzugt Präludien von Johann Sebastian Bach. Nachdem ein neues, besseres Klavier angeschafft worden ist, gesellt sich der Sohn dazu – mit Rockmusik. Jetzt muss die Klavierspiel-Zeit eingeteilt werden. Denn jede(r) will üben – und das freiwillig.

    Zur Person

    Helge Barabas, Jahrgang 1958, stammt aus Würzburg und lebt in Seinsheim in der Nähe von Marktbreit. Er studierte Mathematik, ist aber heute hauptberuflicher Pianist, Komponist und Klavierpädagoge. Barabas erteilt seit 1980 privaten Einzelunterricht. Seit 1985 gibt er Klaviernoten heraus. Seit 1986 hält er Klavierkurse für Klavierpädagogen und interessierte Amateure im Bereich Blues, Boogie-Woogie, Rock'n'Roll, Rock- & Pop-Klavier, Improvisation. Deutschlandweite Konzerttätigkeit. Zu seinen Spezialitäten gehört das Spiel zu Stummfilmen. In Karlstadt spielte er zur Jahresschlusssitzung der Stadtrats im Rathaussaal.

    Die heutige Folge beschließt unsere Serie übers Erlernen eines Musikinstruments.

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