Wenn bunte Plakate an Gemündens Stadtrand die Autofahrer begrüßen, wenn die Vorfreude nicht nur in den sozialen Netzwerken deutlich ansteigt - dann ist es wohl soweit: das "Züchle" macht sich startbereit. Deutschlands größter Trottoir-Faschingszug, der Höhepunkt der Gemündener Fastnacht, bahnte sich wieder traditionell am Samstagnachmittag seinen Weg durch die Straßen der Stadt.

800 Teilnehmern, die mit ihren phantasievollen, liebevoll gebastelten und dekorierten Handwagen einen bunten Gaudiwurm bildeten, marschierten vom Ostring den fast zwei Kilometer langen Weg zum Gemündener Marktplatz. Was 2002 mit 18 Fußgruppen begann, steigerte sich mittlerweile auf 50 Gruppen, deren Teilnehmer hauptsächlich aus dem Stadtgebiet und den Stadtteilen der Drei-Flüsse-Stadt stammen.
Ein Konzept, genau so, wie es früher war
"Diesmal hatten wir sogar eine Gruppe aus Frankfurt mit am Start", berichtet Jörg Fella stolz und voller Freude über das Züchle, das er seit acht Jahren als Zugmarschall betreut. Gemeinsam mit Rainer Pröschl organisiert er diese Privatveranstaltung, für die die beiden in der Verantwortung stehen. "Es bedeutet uns viel - richtig viel. Es ist der Spaß, den alle dabei haben und die pure Lebensfreude, die sie zeigen", erklärt Fella seine Motivation für die Arbeit und den Aufwand, den er gemeinsam mit Pröschl jährlich auf sich nimmt.

Was das Besondere daran ist? "Es liegt im Konzept, das ist schlichtweg einzigartig." Keine Motorisierung, keine großen Umzugswagen, keine überdimensionierte Beschallung, keine Traktoren oder Lastwagen und somit auch weniger Sicherheitsrisiko. Ursprünglichkeit fällt noch als Stichwort, handgemacht und traditionell - genau so, wie es "eben früher" war.
Dies macht es so außergewöhnlich und ist wohl der Grund, der jährlich rund 10 000 Zuschauer am Faschingssamstag nach Gemünden lockt: ihr Züchle, das mittlerweile schon weit über den Landkreis hinaus bekannt ist. Musikalisch begleitet wurde der Narrenzug diesmal von drei Kapellen und der Trommelgruppe "Samba Gemundo".

Als Themen hatten sich die Fußgruppen allerhand Originelles einfallen lassen: Wegen dem Wegfall der Fährverbindung Hofstetten-Langenprozelten könnten nun über eine Luftbrücke die Passagiere per Heißluftballon transportiert werden. Und nicht nur ein Entenschwarm trauerte der Fähre nach und nahm die Verfolgungsjagd auf. "Die Fähre ist weg, die Brücke fern - doch Määä-Jungfrauen schwimmen gern": Bezaubernde Kostüme präsentierte eine stattliche Anzahl großer und kleiner Main-Meerjungfrauen.
Die Freude der Kinder motiviert
Hoher staatlicher Besuch durch Trump, Putin und Co. nahm am Zug ebenso teil wie Mary Poppins, ein geretteter Bienenschwarm, ein großes Indianervolk und viele mehr. Aktuelle Themen, wie der pannenbegleitete landkreisweite Mülltonnen-Tausch und der Rollator-Weg, der das holperige Pflaster der Gemündener Innenstadt glätten soll, wurden ebenfalls aufgegriffen.

Worauf sich der Zugmarschall, der am Vortag der Veranstaltung seinen 50. Geburtstag feierte, am meisten freute? Auf die Kinder, die vor allem in der Friedenstraße dichtgedrängt mit großen Augen auf den Zug und somit auch auf Süßigkeiten warten. Diese werden den kleinen Zuschauern direkt in die Hand oder in den entgegengestreckten Hut gegeben - auch eine Besonderheit des Züchles. Und wenn sich die Veranstaltung nach ausgiebigem Feiern am Marktplatz dem Ende neigt? "Nach dem Züchle ist vor dem Züchle", freut sich Fella lachend bereits auf das nächste Mal, wenn es wieder heißt: "Es Züchle künnt!"
Bilder aus 18 Jahren "Züchle" sind in der Ausstellung "Lebensfreude pur - Trottoir-Züchle in Gemünden" zu sehen, die noch bis 30. März im Kulturhaus in Gemünden gezeigt wird.