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Lohr: Forensik am BKH in Lohr: Massive Über­be­le­gung und im­mer schwe­re­re Er­kran­kun­gen

Lohr

Forensik am BKH in Lohr: Massive Über­be­le­gung und im­mer schwe­re­re Er­kran­kun­gen

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    Die Forensik in Lohr ist gefängnisähnlich gesichert. 
    Die Forensik in Lohr ist gefängnisähnlich gesichert.  Foto: Johannes Ungemach

    Überbelegung bis fast aufs Doppelte der vorgesehenen Plätze und immer schwerere Erkrankungen: Das sind einer Veranstaltung am Bezirkskrankenhaus in Lohr zufolge die großen Probleme, mit denen die Forensik in Lohr und andernorts zu kämpfen hat. Über diese Situation und Lösungsansätze informierten und diskutierten Fachleute am Mittwoch im voll besetzten Festsaal mit Beschäftigte aus dem Bereich Forensik, Polizei und Gericht.

    Die Forensik in Lohr sei zuständig für das südwestliche Unterfranken mit 750.000 Einwohnern, erläuterte Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Lohr und Maßregelvollzugsleiter. "Hauptlieferanten" sind laut Bönsch die Gerichte in Aschaffenburg und Würzburg. Derzeit seien 202 Patienten in der Lohrer Forensik. Ausgelegt sei sie auf 118 Patienten.

    Hoffnung auf Besserung der Situation liegt auf der Reform des Paragrafen 64, die seit 1. Oktober vorigen Jahres in Kraft ist. Sie betrifft die suchtkranken Straftäter. Dorothea Gaudernack ist leitende Ministerialrätin am Bayerischen Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales und hat an dieser Reform mitgearbeitet. Änderungsbedarf sei von verschiedenen Seiten laut geworden, erläuterte sie in ihrem Vortrag am Mittwoch. Den Hintergrund fasste sie mit "Wir behandeln die Falschen" zusammen.

    Doch wer sind diese "Falschen"? Wie Bönsch auf Nachfrage erläuterte, profitierten von der früheren Regelung vor allem diejenigen, die zu langen Haftstrafen verurteilt waren. Die langen Haftstrafen resultierten wiederum aus der Schwere der Delikte. Aufgrund der Behandlung im Maßregelvollzug habe es sogenannten Strafrabatt gegeben.

    Wie wirkt die Reform?

    Bönsch nennt ein Beispiel: Bei acht Jahren Haftstrafen seien am Ende 2,5 Jahre Justizvollzugsanstalt (JVA) und 1,5 Jahre Forensik herausgekommen. Also gerade mal die Hälfte der verhängten Strafe. Dies sei nun geändert worden: Die Zeit in der JVA plus Forensik verringere sich jetzt nur noch um ein Drittel. Das entspreche der Haftverkürzung bei guter Führung im Gefängnis.

    Außerdem soll durch die Reform verhindert werden, dass Patienten ohne Therapieerfolg, die Kapazitäten für jene blockieren, die dringend auf Behandlung angewiesen seien. Auch, dass voll schuldfähige Straftäter in der Forensik untergebracht werden, solle durch die Gesetzesänderung verhindert werden. Laut Gaudernack sind bei den Überlegungen finanzielle Gründe nicht im Vordergrund gestanden. Dennoch dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass es hier um das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gehe.

    Die Auswirkungen der Reform spiegelten sich noch nicht in der aktuellen Belegung wieder, so Bönsch. Mehr als zehn bis 20 Prozent Entlastung verspreche er sich nicht. Auch das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das liegt laut Bönsch daran, dass die Zahl der Suchtkranken stark steige. Moderater sei der Anstieg bei den psychisch kranken Straftäter, also jenen, die bis auf wenige Ausnahmen unter den Paragrafen 63 fallen. Doch die Schwere ihrer Erkrankungen nimmt nach Bönschs Angaben deutlich zu.

    Das heißt unterm Strich, die Forensik hat es mit immer mehr und mit kränkeren Patienten zu tun. Die Schere zwischen Patientenzahl und Personalstärke, vor allem was Fachpersonal anbelange, gehe immer weiter auseinander, brichteten Gaudernack und Bönsch.

    Ein weiteres Problem sei die Zunahme von Auseinandersetzungen der Patienten mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, informierte der Ärztliche Direktor. Im Zehnjahresvergleich sieht es nach einem Höchststand in diesem Jahr aus. Schon in den ersten vier Monaten seien 32 körperliche Angriffe verzeichnet worden. Für Fortschritte bei der Genesung bräuchten die Patienten Ruhe, die bei Mehrbettzimmern nicht gegeben sei. Hier könnten nur bauliche Maßnahmen dauerhaft helfen, sagte Bönsch.

    Simon Höfling, der stellvertretende Leiter des Psychologischen Dienstes der Lohrer Forensik, setzt auf Vorbeugung. Dazu werde die Situation auf den Stationen beobachtet und frühzeitig Eskalationen zu verhindern. Die Situation aufgrund der baulichen Situation und der Überbelegung bezeichnete er mit Dampfkessel. Manchmal müsse jemand auf eine andere Station wechseln, wenn sich Konflikte nicht lösen ließen. Das jedoch verhindere, tragfähige Beziehungen zu den Therapeuten aufzubauen. Diese seien wesentlich für die Behandlung.

    Ein Konzept, die Situation zu entschärfen, hat Shafik Rihawi, leitender Oberarzt und stellvertretender Maßregelvollzugsleiter in Lohr, entwickelt. Er plädiert für eine teilstationäre bis ambulante Behandlung auch im Bereich er Forensik. Für motivierte Patienten mit geringem Rückfall- und Gefährdungspotenzial sieht er Vorteile. Sie könnten in ihrem gewohnten Umfeld bleiben. Soziale Kompetenzen würden gestärkt. So könnten sie lernen, mit Konfrontationen im Alltag umzugehen.

    Gaudernack sieht bei diesem Modell die Gefahr, dass eine weitere Versorgungsstruktur aufgebaut würde. Sie befürchtet, dass so noch mehr Patienten in diesen Bereich geholt würden, die nicht in die Forensik gehörten. Auch Probleme wie Obdachlosigkeit würden dadurch nicht gelöst. Ein weiteres Feld, das bei der Tagung nur angerissen werden konnte, waren die ambulanten Dienste, die es bereits gibt oder die verstärkt werden könnten.

    Wenn Menschen in Gefahr sind

    Auf der anderen Seite stehen jene, die sich einer Behandlung verweigern. Mit ihnen hat es Peter Weiß, Richter am Amtsgericht Gemünden, zu tun. Die körperliche Unversehrtheit stehe im Mittelpunkt, wenn es um Zwangsmedikation gehe, so Weiß. Deshalb sei eine richterliche Genehmigung erforderlich. Ziel sei, Gefahren abzuwenden und zwar gegenüber Menschen. Die Gefahr von Sachbeschädigung sei kein ausreichender Grund. Wohl aber der Schutz des Personals. Das habe der Bundesgerichtshof klar entschieden. Verbale Entgleisungen reichten jedoch nicht aus.

    Auch wenn die Gesundheit des Patienten bedroht sei, sei dies ein Grund für eine Zwangsmedikation. Die zwangsweise Behandlung sei zeitlich befristet. In der Praxis führe das oft zu einem Jo-Jo-Effekt, weil sich danach wieder eine Verschlechterung einstelle. Trete die Gefährdung dann erneut auf, gehe es von vorne los.

    Dorothea Gaudernack, leitende Ministerialrätin beim Bayerischen Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales sprach als Referentin bei der Tagung am Bezirkskrankenhaus Lohr mit dem Titel "Forensik am Limit".
    Dorothea Gaudernack, leitende Ministerialrätin beim Bayerischen Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales sprach als Referentin bei der Tagung am Bezirkskrankenhaus Lohr mit dem Titel "Forensik am Limit". Foto: Monika Büdel
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