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MITTELSINN: Für ein Tattoo von Berlin nach Mittelsinn

MITTELSINN

Für ein Tattoo von Berlin nach Mittelsinn

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    Vorarbeiten für ein neues Tattoo: Der Mittelsinner Tätowierer Patrick Welzenbach zeichnet  bei dem Merneser Steve die Umrisse einer Justitia vor.
    Vorarbeiten für ein neues Tattoo: Der Mittelsinner Tätowierer Patrick Welzenbach zeichnet bei dem Merneser Steve die Umrisse einer Justitia vor. Foto: Fotos: Björn Kohlhepp

    Ilove you“ auf der linken Brust und der Name der Verflossenen darüber müssen weg, es hat sich ausgeliebt. Ein riesiger Adler soll mit geöffneten Schwingen die Erinnerung an die Ex künftig überdecken. Aus diesem Grund ist der 26-jährige Pascal an einem Montagmorgen in aller Herrgottsfrühe den weiten Weg von Berlin nach Mittelsinn gefahren. Man glaubt es kaum, aber in dem kleinen Ort existiert seit kurzer Zeit ein Tattoo-Studio, das ganz offensichtlich nicht von Laufkundschaft lebt.

    Zwei zumindest dem Aussehen nach ziemlich bunte Hunde stechen die Fantasien ihrer Kunden in nackte Haut: der Mittelsinner Patrick Welzenbach, 28, und der Gössenheimer Michael Henker, 34. Die beiden scheinen nach dem Motto, „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“, zu handeln. Denn bei Tätowierungen gehen sie mit gutem Beispiel voran und schenken sich wenig. Bei beiden muss man nach unbestochener Haut suchen, beiden kriecht die Farbe aus dem Kragen. Als ich einen Termin mit ihnen ausmachen will und erwähne, dass für ein Foto ein bisschen Action gut wäre, sagt Welzenbach am Telefon: „Wir können uns ja gegenseitig tätowieren.“ Das jedoch ist nicht nötig.

    Von außen sieht das Tattoo-Studio „TAT2 Shop“, eingerichtet in einem ehemaligen Getränkelager, das davor auch mal ein Schweinestall war, recht unscheinbar aus. Aber drinnen kommt man sich vor wie in einem Berliner Szene-Club. Die Decke und der Großteil der Wände sind flächendeckend mit Styroporverpackungen vor allem von Möbel Berta und Rexroth beklebt, der Rest der Wände ist schwarz gestrichen. Hinter einer chilligen Sitzecke, wo Kundschaft und Begleiter lümmeln, steht ein großer, futuristisch aussehender Holzofen. In einer Ecke steht das Skelett „Otto“. Die Toilette wirkt wie ein vergoldeter Maschinenraum. Tattoo-Zeitschriften liegen herum. Tätowiert wird in einem Nebenraum auf zwei Liegen.

    Die zwei Tätowier-Kompagnons haben sich im Karlstadter Tattoo-Studio kennengelernt, wo sie sich ihre ersten Sporen mit chinesischen Schriftzeichen und Sternen verdient haben. Zum Tätowieren gehört auch das Handwerkliche. Patrick Welzenbach hat schon sein Leben lang am liebsten gemalt, früher war er Teil der Frankfurter Graffiti-Szene, seine Kumpels von damals sind aber weiter nach Berlin gezogen. Er selbst, das „Dorfkind“, will in Mittelsinn bleiben, braucht keinen „Großstadtterror“, züchtet Bienen und macht Met. Er arbeitet nur so viel, wie nötig, seine Freizeit ist ihm wichtig. Kein Wunder, dass er Ausbildungen zum Zweiradmechaniker und Metallbauer nicht zu Ende gebracht hat.

    Michael Henker, dreifacher Familienvater, schaut nur so wild aus, ist aber trotz seiner Tattoos eine grundehrliche Haut geblieben. Während Welzenbach für seinen Kumpel Steve aus Mernes (Main-Kinzig-Kreis) an der Vorlage für eine Justitia feilt, hat Henker gerade den jungen Berliner und dessen überkommenen Liebesschwur in der Kur. Acht bis zehn Stunden konzentrierte Arbeit nimmt der Riesenvogel in Anspruch. Henker war früher Schreiner und Sozialarbeiter. Aber schon mit 15 hat er sich selbst mit einem umgebauten Rasierapparat ein erstes Tattoo auf den Unterschenkel gestochen. Das Zweite folgte allerdings erst mit 25. Auch seine Frau ist „von oben bis unten“, wie er sagt, tätowiert. Zweieinhalb Jahre lang hatte er schon ein Studio in Gössenheim.

    Aus chinesischen Zeichen und Sternen wurden inzwischen fantasievolle, mitunter fotorealistische Tätowierungen. Sie haben viel damit zu tun, ihren Kunden manche Ideen wieder auszureden, erzählen sie. „Love“ auf dem Handgelenk oder das Ewigkeitszeichen hätten einfach schon zu viele, damit täten sie den Kunden keinen Gefallen. Manche seien erst einmal eingeschnappt, sähen es aber dann doch ein.

    Kommen die einen mit ganz genauen Vorstellungen, sind andere eher von der lockeren Sorte und sagen „Mach mal“. Ihre Kunden kommen aus einem weiten Umkreis. Dank des Internets ist es egal, ob ihr Studio in Mittelsinn oder Berlin steht. Ansonsten rekrutieren sich die Kunden aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Die meisten, so die Tätowierer, sind zwischen 50 und 60, aber auch viele Jüngere sind darunter. „Von 18 bis 80“ sei alles dabei. Vor ihrem Studio stünden Porsche Cayennes genauso wie 1er Polos. Es kämen „ältere Frauen, die noch mal e Rösle wollen“, aber auch „Punker, die den ganzen Kopf zu wollen“, erzählt Welzenbach.

    Manche Kunden hätten Unverträglichkeiten gegen Farben. „Es heilt aber alles wieder ab“, beruhigt Welzenbach. Ein Kunde, der sich gleich die ganze Seite habe tätowieren lassen, habe erst Juckreiz auf eine Farbe bekommen, dann auf die nächste und schließlich sogar auf Schwarz, auf das er erst nicht allergisch reagiert habe. Die tätowierte Haut sei schließlich massiv angeschwollen. Nach einem heftigen Sonnenbrand auf Mallorca war der Spuk jedoch vorbei.

    Noch gibt es bei Patrick Welzenbach und Michael Henker selbst Tattoo-freie Stellen: bei Welzenbach der Rücken und bei Henker die Rippen – ein Tattoo auf den Rippen tue „höllisch weh“. Was, wenn Henkers Kinder später auch mal ein Tattoo wollen? „Bevor die nicht 18 sind und keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, gibt's kein Tattoo und kein Piercing.“

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