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MAIN-SPESSART: Für jene, die es anders wollen: Zeremonienleiter

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Für jene, die es anders wollen: Zeremonienleiter

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    Für jene, die es anders wollen: Zeremonienleiter
    Für jene, die es anders wollen: Zeremonienleiter

    Dass es sich nicht um eine gewöhnliche Hochzeit handelt, verrät schon der Ort: Normalerweise sitzen die Menschen im Biergarten des Zauberbergs in Würzburg, weil sie eine Verschnaufpause vom Tanzen brauchen oder ein Schwätzchen halten wollen. An diesem Samstag aber versperrt eine dicke rote Plüschkordel mit dem Schild „Geschlossene Gesellschaft“ den Eintritt in das Partylokal.

    Für Peter Schwagerus aus Gemünden gilt das Schild nicht. In einem grau-silbrigen, langen Sakko, das Head-Set um den Kopf gelegt, lehnt er ein paar Stufen erhöht an einer kleinen Balustrade am Rande des Biergartens und blickt auf die Hochzeitsgesellschaft, die langsam den Innenhof füllt. Hinter ihm, abgeschirmt von seinen Gästen, wartet der Bräutigam. „Die getrennte Vorbereitung ist ein bisschen wie beim Boxkampf“, sagt Peter Schwagerus und lächelt. Nur, dass sich Braut und Bräutigam in wenigen Minuten nicht den Kampf ansagen werden, sondern das Ja-Wort geben. Die dazugehörige Frage wird Peter Schwagerus stellen. Der heutige Zeremonienleiter.

    1999 hielt Peter Schwagerus seine erste Traurede. Seit er kein Standesbeamter mehr ist, bietet er seine Ansprachen auch gewerblich an – für Trauungen und Beerdigungen. „Die Leute kommen überwiegend über das Internet auf mich“, erzählt er. Die Gründe, warum sie einen Freien Redner suchen, seien unterschiedlich. „Oft ist der Bezug zur Kirche verloren gegangen oder war nie vorhanden“, erklärt er. Bei manchen seien die Schwierigkeiten, die die Amtskirche bei einer kirchlichen Zeremonie macht, so erheblich, dass sie sich dann lieber für eine Alternative entscheiden würden.

    Das Brautpaar aus dem Zauberberg entschied sich für eine freie Zeremonie, um die Gestaltung selbst in der Hand zu haben. „Wir wollten kein standardisiertes Verfahren, kein Niederknien“, erzählt der Bräutigam. Dafür wollten sie persönliche Treueversprechen, eine eigene Musikbegleitung und einen Ort, mit dem sie beide etwas verbinden. Mittlerweile sitzen Braut und Bräutigam auf zwei Stühlen mit weißen Hussen vor Peter Schwagerus, die Hochzeitsgesellschaft andächtig still in ihrem Rücken versammelt.

    In einem Vorgespräch mehrere Wochen vor dem Wunschtermin klärt Peter Schwagerus alles Wesentliche mit seinen Kunden ab. „Mit Heiratswilligen treffe ich mich bevorzugt dort, wo die Feier stattfinden soll“, erklärt er. Mit Hinterbliebenen ist es der ehemalige Wohnort des Verstorbenen. „Oft ergeben sich durch Gegenstände in der Wohnung Gesprächsthemen, die an einem neutralen Ort wahrscheinlich nicht entstanden wären“, beschreibt der Redner. Hier muss er entsprechend „neugierig“ sein. So entstünden persönliche Reden. Bis zu 25 Stunden Zeitaufwand kommen so durch Vortreffen und das Ausarbeiten der Rede zustande. Insbesondere, wenn die Trauansprache zweisprachig erstellt und vorgetragen werden soll. Allein in diesem Sommer waren es drei Zeremonien in deutsch-englischer Sprache.

    Die Beschäftigung mit dem Thema „Burn Out“ war es, die Dietholf Schröder zum ersten Mal mit der Traurigkeit anderer Menschen konfrontieren ließ. „Ich habe mich zu dem Zeitpunkt als Unternehmensberater selbstständig gemacht und angefangen ehrenamtlich in der Sinnakademiestiftung zu arbeiten. Die Stiftung begleitet Menschen auf ihrem Lebensweg, angefangen von der Taufe, über die Hochzeit bis zur Trauerarbeit“, erklärt er. Zudem ist der 47-Jährige Stadtmarketingchef in Karlstadt. So kam auch der Kontakt zu einem Karlstadter Bestattungsunternehmen zustande, das ihn letztlich bat, es in Sachen Seelsorge zu unterstützen. „Reden kann ich“, habe er daraufhin entgegnet und zugesagt. Zudem habe die Kirche bis zu seinem 18. Lebensjahr eine große Rolle in seinem Leben gespielt. „Ich habe in Retzstadt direkt neben dem Kirchengebäude gewohnt, war Ministrant, Oberministrant und habe oft Hochämter, Taufen und Beerdigungen miterlebt“, erzählt er. Doch sein Zugehörigkeitsgefühl schwankte. „Ich habe mir oft gedacht: Wenn ich das doch besser machen könnte“, beschreibt er.

    2014 trat er aus der römisch-katholischen Kirche aus – und in die christ-katholische Kirche ein. Hier wurde er 2014 zum Diakon geweiht. Auf seinen Trauerfeiern darf er somit, wenn gewünscht, einen Talar tragen. Dietholf Schröder bevorzugt dabei ein weißes Gewand. Für ihn ein Symbol der Hoffnung und Auferstehung.

    30 Grabreden hält er im Durchschnitt pro Jahr – und es werden mehr. Ebenso wie bei Peter Schwagerus kommen auch zu ihm Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind oder die es anders wollen, als die Riten es vorgeben. In einem ersten Hausbesuch versucht Dietholf Schröder auszutarieren: Wer ist gestorben? Wie ist die Situation zu Hause? Oft seien auch Ängste vorhanden: Was denken die Leute, wenn nicht der Pfarrer spricht?

    Seine Reden schließlich hätten stark mit Emotionen zu tun, beschreibt es Schröder. „Nach der Begrüßung versuche ich bei der Trauergemeinde Bilder im Kopf entstehen zu lassen“, erklärt er. Da dürfe in Erinnerung an die Person auch mal gelacht werden, so wie bei dem Heinz Erhardt-Fan, in dessen Trauerrede er einen Erhardt-Witz einbaute. Tränen fließen dann oft, wenn Dietholf Schröder das Thema Leid, Krankheit und den Vorgang des Sterbens thematisiert. „Das ist der Moment, der am meisten bewegt“, sagt er.

    Auch im Zaubergarten fließen Tränen, allerdings die der Freude. Die Traurede von Peter Schwagerus hat ihren packendsten Moment erreicht: das Treueversprechen. In eigens formulierten Worten tragen Braut und Bräutigam sich gegenseitig vor, warum sie sich lieben und was sie sich für die gemeinsame Zukunft versprechen. Danach kommen, für die Braut überraschend, Streicher hinter einem Vorhang hervor. Peter Schwagerus wartet die Wirkung in Ruhe ab. Dann lässt er das Paar die Ringe tauschen. Jetzt heißt es, die Zeremonie zügig zu beenden – bevor Langeweile auftritt, weil die Spannung nachlässt.

    Neben Heiratswilligen wird Peter Schwagerus auch für Trauerfeiern gebucht. „Diese Feiern berühren mich tief“, beschreibt er. Denn nichts fällt so schwer, wie der endgültige Abschied von einem Menschen. Noch trauriger wird es, wenn der Tod unerwartet oder zu früh eintrifft. So wie bei der Beerdigung eines Frühchens, das bereits nach sieben Monaten auf die Welt kam und das nicht überlebte. Dietholf Schröder wurde gebeten, die Trauerrede zu halten. „Die Trauer der Eltern war in diesem Fall ganz wichtig“, erzählt er. Zu oft würden Sprüche wie: „Dann versucht ihr es einfach noch einmal, ihr seid doch noch jung“ fallen. Umso schöner war es dann, als er im darauffolgenden Jahr gebeten wurde, die Tauffeier für das zweite Kind zu halten. Ebenso schwierig: der Suizid eines jungen Menschens. „In diesem Fall ist es wichtig, auch über die Gründe zu reden, um Schuldgefühle zu lindern“, beschreibt Dietholf Schröder. „Denn nicht wenige sagen sich: Hätte ich doch mal angerufen.“

    Vor der Frage des „Wie“ stand auch Helmut Herbert aus Zellingen nach dem Tod seiner Frau. Sie war aus der Kirche ausgetreten, wollte im Friedwald beerdigt werden. Helmut Herbert wusste also, dass er keinen Beistand von der Kirche zu erwarten hatte. Dennoch wollte er es feierlich. Einen Freien Grabredner zu buchen kam für ihn nicht in Frage. „Ich habe dann einfach den Pfarrer gefragt, ob wir in der Kapelle eine kleine Feier zum Abschied machen können“, erzählt er. Der Pfarrer zeigte sich offen: selbstverständlich. Am Tag der Trauerfeier war die Kapelle voll. „Vor allem die älteren Leute haben die Möglichkeit genutzt, hier von meiner Frau Abschied zu nehmen“, erzählt Helmut Herbert. Eine Lektorin im Bekanntenkreis hatte er gebeten, den roten Faden der Trauerfeier in die Hand zu nehmen, etwas zu reden. Danach spielte die Samba-Gruppe, in der seine Frau Mitglied war. Auf der Beisetzung im Friedwald dann trug er selbst die Urne, wieder gab es leise Musik und Abschieds-Kaffee und Kuchen zu Füßen der Bäume.

    „Gerade für ältere Leute war diese Art der Trauerfeier neu.“

    Positive bis sehr positive Reaktionen bekam Helmut Herbert auf die Trauerfeier. „Gerade für ältere Leute war diese Art neu“, erzählt er. Aber es habe nichts gefehlt. Er selbst allerdings war am Tag des Todes und ein paar Tage danach beim Pfarrer, um sich Beistand zu holen. „Ich kam selbst ins Zweifeln an meinem Bild von Gott“, sagt er. Auch wenn es für ihn nicht in Frage kommt: Dass gerade jüngere Menschen immer häufiger Alternativen suchten, um Anlässe in ihrem Leben, wie die Hochzeit, die Geburt eines Kindes zu feiern oder mit einem Tod umzugehen, würde er bestätigen. Er selbst kann sich noch gut an die Beerdigung eines Freundes erinnern, der nichts mit der Kirche zu tun hatte. Seine Feier fand dennoch im Pfarrheim statt – statt Gebete gab es hier eine Meditation.

    Umgang und Reaktion der Kirche

    Rund 39 000 Katholiken sind im Bistum Würzburg zwischen 2003 und 2013 aus der Kirche ausgetreten. Waren es 2003 knapp 3000 Menschen, erreichten die Austritte 2010 ihren bisherigen Höhepunkt mit 6400. 2013 traten rund 5200 Menschen aus.

    Die Zahl der Bestattungen ist in den vergangenen zehn Jahren nahezu identisch geblieben. Sowohl 2003 also auch 2013 waren es rund 8900.

    Den Trausegen der Kirche ließen sich bis 2010 zwischen 1800 und 1900 Menschen jährlich geben. Bis 2013 sanken die Zahlen im Bistum Würzburg leicht auf 1680 Trauungen pro Jahr. Insgesamt zählte das Bistum Würzburg im Jahr 2013 rund 786 000 Katholiken. 2003 waren es mit 872 000 noch rund 86 000 Menschen mehr.

    Um der Entwicklung entgegenzusteuern haben die deutschen Bischöfe 2013 versucht, aktuelle Entwicklungen christlich einzuordnen und Möglichkeiten des Umgangs aufzuzeigen. Seit 2009 gibt es eine liturgische Form einer katholisch geleiteten Beerdigung für Nichtchristen, aus der Kirche Ausgetretene usw., informiert Stephan Steger, Liturgiereferent des Bistums Würzburg. Trauerfeiern, Verabschiedungsfeiern, Totengedenken können an Orten stattfinden, die entsprechend würdig und passend sind. Nur die Feier der Messe (Requiem) soll an dafür vorgesehenen Orten gefeiert werden. Dies wurde von den Bischöfen 2013 noch einmal hervorgehoben und sie hatten dabei die vielen Trauerräume der Bestattungsunternehmen im Blick.

    Die Bestattungsfeier selber müsse, laut Steger, immer individuell gestaltet werden und da gebe es an den zu gestaltenden Stellen der Feier auch den nötigen Freiraum. Auch Musik vom Band könne gerade beim persönlichen Rückblick auf das Leben des Verstorbenen sinnvoll und wichtig sein. Als Ersatz für liturgische Gesänge wie die Psalmen seien solche Stücke aber weniger geeignet.

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