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Aschaffenburg: Good Bye Angie: Was Urban Priol Angela Merkel zum Abschied nachruft

Aschaffenburg

Good Bye Angie: Was Urban Priol Angela Merkel zum Abschied nachruft

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    Urban Priol mit der "Merkel-Pose". Im Interview spricht der Aschaffenburger Kabarettist über das Ende der Ära Merkel.
    Urban Priol mit der "Merkel-Pose". Im Interview spricht der Aschaffenburger Kabarettist über das Ende der Ära Merkel. Foto: Patty Varasano

    16 Jahre Kanzlerschaft: Nur Helmut Kohl regierte Deutschland noch ein paar Tage länger als Angela Merkel. Ihr Abschied ist Anlass genug, um mit dem Aschaffenburger Kabarettisten Urban Priol ein Fazit zu ziehen. Was der 60-Jährige, der als Merkels größter kabarettistischer Kritiker gilt, der Kanzlerin nun wünscht.

    Frage: Angesichts der aktuellen Alternativen: Hätten Sie sich jemals träumen lassen, dass man sich beinahe wünschen könnte, Angela Merkel möge, bitteschön, doch weitermachen?

    Urban Priol (wie aus der Pistole geschossen): Nein. Kommissarisch wird sie ohnehin noch bis Ostern bleiben, vermute ich, bis eine neue Regierung gebildet ist. Ich bin froh, dass es rum ist. 16 Jahre sind einfach zuviel. Demokratie lebt vom Wechsel. Ihre Partei, die immer schon der Ansicht war, ihr gehöre das Land, sieht das natürlich anders. Vielleicht kommen ihre Nachfolger oder Nachfolgerinnen ja drauf, die Amtszeit endlich auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen. Das wäre dann in der Tat ein Liebesdienst für eine lebendige Demokratie.

    Es gibt Menschen, die glauben, wir werden Merkel noch vermissen . . .

    Priol (lacht): Ich zähle nicht zu dieser Fraktion. Weshalb sollte ich sie vermissen? Werde ich den unzähligen Baustellen nachweinen, die sie ihren Nachfolgern und uns hinterläßt? Nein. Der merkelsche Mehltau lag lange genug über dem Land.

    Sie wird Ihnen auch nicht als Zielscheibe Ihres Spotts fehlen?

    Priol: Ach, das wurde ich damals nach Kohl und nach Schröder auch schon gefragt. Nein, fehlen wird sie mir bestimmt nicht. Kommt was anderes.

    Anfang der Neunziger hat Merkel gesagt, sie wolle mit der CDU nichts zu tun haben . . .

    Priol: Ja, da war sie noch beim "Demokratischen Aufbruch" (DA), das war aber nur ein Kurzzeit-Flirt. Sie wusste sofort: Okay, mit dem DA, da komme ich nicht weiter. Sie hat sich wohl gesagt: Wo werde ich was? Die SPD war im Osten ja gerade erst im Aufbau - anstrengend. Obwohl sie als glühende Verehrerin Willy Brandts galt. Aber gut, sie vergisst halt schnell. Entscheidend war für sie, dass es eine CDU mit gewachsenen Strukturen gab - also rein in die ehemalige Blockpartei, die bot die beste Machtoption. Es ging ihr letztendlich, auch in all den 16 Jahren, in denen sie Kanzlerin war, immer nur um sich selbst.

    Kabarettist Urban Priol über Angela Merkel: "Genauer betrachtet, war sie nie mehr als eine kühl kalkulierende Kaltmamsell des Großkapitals."
    Kabarettist Urban Priol über Angela Merkel: "Genauer betrachtet, war sie nie mehr als eine kühl kalkulierende Kaltmamsell des Großkapitals." Foto: Patty Varasano

    Sie sind also nicht der Meinung, dass Merkel die CDU auch etwas sozialdemokratisiert hat?

    Priol: Das ist ja auch so ein Narrativ. Da bin ich sehr vorsichtig. Genauer betrachtet, war sie nie mehr als eine kühl kalkulierende Kaltmamsell des Großkapitals. Wer hat in all den Jahren am meisten von ihrer Politik profitiert? Eben. Sie war die ranghöchste Vertreterin der deutschen Autolobby in Brüssel. Sie hat dem damaligen Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, im Kanzleramt dessen 60. Geburtstag ausgerichtet. Auf Steuerzahlerkosten. Sie hat dafür gesorgt, dass der deutsche Durchschnittsverdiener am Ende ihrer Amtszeit acht Tage länger arbeiten muss, bis er in die eigene Tasche wirtschaftet. Sozialdemokratisch geht anders. Die "Ehe für alle", okay. Sie hat die Entscheidung darüber zwar mit angeschoben, letztlich aber selbst dagegen gestimmt. So ist sie.

    Erinnern Sie sich noch an die Elefantenrunde 2005, die berühmte Fernseh-Diskussion am Abend des Wahlsonntags?

    Priol (lacht): Selbstverständlich. Hätte sich Gerhard Schröder damals nicht so unterirdisch verhalten, hätten wir vermutlich nie eine Kanzlerin Merkel genießen, erdulden oder ertragen müssen - je nachdem, wie man das sehen will. Sie kam laut Umfragen ja fast von der absoluten Mehrheit her, aber je näher die Wahl rückte, desto mehr holte die SPD auf - wobei die auch gar nicht wirklich wusste, wieso. Wer weiß, hätten die Wahllokale bis Mitternacht geöffnet gehabt, wäre Merkel womöglich noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

    Letztlich landete die Union gerade noch einen Prozentpunkt vor der SPD, wobei die CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit 1949 einfuhr. Obwohl nicht stärkste Partei, beanspruchte Kanzler Schröder im Fernsehen dennoch die Regierungsbildung für sich, mit dem legendär gewordenen Satz: "Natürlich kann ich das."

    Priol: Ja, und sein Vizekanzler Joschka Fischer ist während Schröders Auftritt immer tiefer in seinem Stuhl versunken. Der hat sich bis auf die Knochen fremdgeschämt. Aber Schröder hatte ja wohl schon seinen Vorvertrag bei Putin unterschrieben. Hätte er damals gesagt (Anmerkung der Redaktion: nun parodiert Priol Schröder wie auf der Bühne) "Wissen Sie, Frau Merkel, Sie haben zwar Ihr historisch schlechtestes Ergebnis erreicht, aber Sie haben die Wahl gerade noch so gewonnen, das respektiere ich und beglückwünsche Sie. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen, und ich mache ihren Vize-Kanzler . . ." All die Feinde, die Merkel in der Partei ja hatte damals, hätten die Messer gewetzt und sie zum Rückzug gezwungen und als Kanzlerin verhindert. Wäre uns manches erspart geblieben. Vielleicht.

    Es gab vier Kabinette Merkel, davon dreimal Große Koalition und eine mit der FDP . . .

    Priol: . . . Stopp. Im Grunde war auch die Koalition mit der FDP damals eine Große, weil jedes Mal, wenn die FDP irgendwie dazwischengefunkt hat, hat die SPD als größte Oppositionspartei gesagt: Wir stehen aber hinter der Kanzlerin.

    Auf Ihrem Oldtimer-VW-Bus klebt der "Atomkraft? Nein Danke"-Sticker. Merkel hat den stufenweisen Atomausstieg bis 2022 entschieden. Zumindest in diesem Punkt könnten Sie ihr doch dankbar sein?

    Priol: Hahaha! Jaja, die Mär von der Klima-Kanzlerin. Unter Kohl war sie ja auch vier Jahre Umweltministerin, und was hat sie da für den Umweltschutz getan? Nichts. Null. Schutzpatronin der Castor-Transporte war sie, mehr nicht. Ach ja: das Dosenpfand, das war auch noch eine Idee von ihr, damit wollte sie ihren Nachfolger ärgern. Jugend- und Frauenministerin war sie davor. Und? Da passierte auch nichts. Als Kanzlerin hat sie dann ja erst einmal den Ausstieg vom von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg vollzogen und verlängerte 2010 die Laufzeiten aller 17 Atomkraftwerke in Deutschland. Dann kam ihr die Katastrophe von Fukushima in die Quere. Und die Landtagswahl in Baden-Württemberg stand an. Gegenwind, also: Rasch die zuvor gefasste Meinung über Bord werfen, hoffen, dass es dem Machterhalt dient. Wie der Ausstieg dann umgesetzt wird - egal. Sie hat gemerkt, dass die Stimmung dreht, nach dem Motto: Da vorne läuft mein Volk, jetzt muss ich aber schnell an die Spitze, um ihm zu zeigen, wo es langgeht.

    Gibt es also gar keinen Punkt, bei dem Sie mit Merkel zufrieden waren? Stichwort "Flüchtlingskrise" 2015, als sie den an der österreichisch-ungarischen Grenze und in Budapest festsitzenden Flüchtlingen, vor allem aus Syrien und Afghanistan, die Einreise erlaubte . . .

    Priol (überlegt lange): Nun, das war wohl wirklich einer ihrer wenigen lichten Momente, in dem ich mir kurzzeitig tatsächlich gedacht habe: Vielleicht meint sie es ja wirklich ernst, diesmal. Vielleicht meint sie es ja wirklich gut. Und was macht sie kurz danach? Verschärft mit der EU das Asylrecht in einer noch nicht gekannten Art mit schnelleren Asylverfahren und beschleunigter Abschiebung von aus wirtschaftlicher Not geflohenen Menschen. Das bleibt in der Quintessenz von ihrem "Wir schaffen das!". Danach hätte ich gerne ein Komma im Satz gesehen, danach ein "weil ..." – wenigstens den Hauch eines Mys von einem Plan. Nüscht. Etwas verkünden, dann nicht weiter drum kümmern, nächste Baustelle. So ist sie halt.

    Aber sie war ja auch keine Königin oder Kaiserin, die alles alleine bestimmen kann und der alle zu gehorchen haben . . .

    Priol: Aber sie hat die Richtlinienkompetenz. Sie hätte sagen können: Ich will das und jenes durchsetzen. Das ist mein Ziel. Aber sie hat einfach 16 Jahre lang gar nichts gemacht. Sie hat wie ihr großer Förderer Helmut Kohl einfach alles ausgesessen. Bankenkrise? Sie hat mit Milliarden von Steuergeldern "Bad Banks" gerettet und dafür gesorgt, dass der deutsche Sparer mit Null-, Minus- und Strafzinsen seit Jahren sanft enteignet wird. Die Banken in die Pflicht nehmen? Nö. Gut - man nehme das Wort "Bundeskanzlerin" und schüttele die Buchstaben kräftig durch. Dann kommt dabei raus: "Bankzinsenluder". Regulierung der Banken? Ein Fremdwort. Und sonst? Nichts. Bildung? Gar nichts. Digitalisierung? Ein schlechter Witz im Neuland. Verkehrspolitik? Wie war ihr Spruch: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben." Habe ich sehr gelacht. Laut Koalitionsvertrag hätte sie zwingend kommen sollen. Stand drin, auf Druck ihrer Schwesterpartei. Zum Glück war dann der Scheuer, den sie ja für seine Arbeit gelobt hat, derart unfähig, dass der europäische Gerichtshof die Maut wieder einkassiert hat. Ihre Liste des Nichtstuns könnte man fast endlos fortsetzen. Was immer sie zur "Chefsache" gemacht hatte, ging schief.

    Zuletzt wurde sie aber für ihr vorsichtiges Verhalten wegen der Corona-Pandemie gelobt.

    Priol (lächelt gequält): Ja, das verstehe ich auch nicht. Vorsichtig? Seit eineinhalb Jahren wird nur Angst geschürt und die Menschen werden gegängelt ohne Ende. Exit-Strategie? Hoffnung auf Aussicht? Von den Dänen lernen? Nö. Erinnern wir uns an ihre geplante "Osterruhe". Gleich mal einen Kniefall vor der Wirtschaft gemacht, weil die gefordert hatte: Wir brauchen aber den Gründonnerstag. Für diesen Osterruhen-Schnellschuss hat sie sich dann sogar entschuldigt. Da hätte es aber vieles gegeben, wofür sie sich hätte entschuldigen können: Die verschnarchte Impfstoffbeschaffung. Die desolate Lage im Einzelhandel, der Gastronomie, bei den Kulturschaffenden. Keine Ideen, wie es weitergehen kann, kein Konzept für die Zukunft, das Hoffnung machen könnte und Optimismus verbreitet und mehr Freiheiten erlaubt. Das, vor allen Dingen, den Menschen Angst und Verunsicherung nimmt. Aber mit dem Prinzip "Angst" lässt es sich leicht regieren. Das hat der Söder von ihr gelernt und perfektioniert.

    Welches Erbe bleibt nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel?

    Priol: Erbe? Ein Eintrag in den Geschichtsbüchern? Hm. Sie war halt auch irgendwie da. Jeder Kanzler vor ihr steht ja für etwas, oder man verbindet etwas wirklich Wichtiges mit ihm. Adenauer: Westbindung. Erhard: Wirtschaftswunder und (damals in der Tat noch) Soziale Marktwirtschaft. Kiesinger: erste Große Koalition. Brandt: Ost-Politik. Schmidt: Kampf gegen die RAF. Kohl: Wiedervereinigung und EU. Schröder: Agenda 2010. Merkel? Da fällt mir wirklich nichts ein. Aber sie wurde von den Medien ja immer hochgelobt: Als kluge Wissenschaftlerin, die immer alles vom Ende her denkt. Ist ihr bei Afghanistan jetzt nicht soooo geglückt. Was war sie nicht schon alles: "Miss World". "Miss Europe". Am Ende steht der Titel "Miss Erfolg".

    Haben Sie Angela Merkel eigentlich mal persönlich kennengelernt?

    Priol: Nein. Das hat sich nie ergeben . . .

    Angst davor, dass sie vielleicht sogar sympathischer sein könnte, als Sie glauben?

    Priol (lacht herzlich): Vielleicht mag sie persönlich sympathisch sein. Humor soll sie ja auch haben. Aber ihre Handlungen und ihr ganzes "Tun" in all den Jahren sprechen eine andere Sprache.

    Und was wünschen Sie ihr nun persönlich?

    Priol (überlegt): Einen schönen Ruhestand. Gesundheit. Ne gute Zeit. Und bitte: kein politisches Amt mehr. Wo und wie und als was auch immer.

    Zur PersonUrban Priol, geboren am 14. Mai 1961 in Aschaffenburg, ist einer der bekanntesten Kabarettisten der Republik. Erste Auftritte hatte er bereits 1982. Auch während seines Lehramtsstudiums (Englisch, Russisch, Geschichte) in Würzburg, das er kurz vor den Examen abbrach, stand er auf der Bühne. Seit 1998 ist er Inhaber der Bühne "Kabarett im Hofgarten" in Aschaffenburg. Knapp sieben Jahre lang präsentierte Priol "Neues aus der Anstalt" im ZDF – von Januar 2007 bis Juni 2010 gemeinsam mit Georg Schramm, nach dessen Ausstieg mit dem Würzburger Kabarettisten Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig bis Oktober 2013. Priol ist Vater einer Tochter und hat eine große Leidenschaft für Oldtimer. Quelle: tbr

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