Wie hat die Main-Post zum zehnjährigen Amtsjubiläum des damaligen Gemündener Bürgermeisters geschrieben: "Entweder ist Hans Michelbach für die Stadt zu groß, oder die Stadt ist für ihn zu klein" und "weitere Karriere in Bonn oder München (...) nicht ausgeschlossen", so Redakteur Michael Fillies damals. Tatsächlich sollte es nur noch gut zwei Jahre dauern, bis Michelbach, frisch als Bürgermeister wiedergewählt, für die CSU nach Bonn ging. Bekanntlich blieb er 27 Jahre im Bundestag. Er war unter anderem Vorsitzender der Mittelstandsunion, Obmann der CDU/CSU im Finanzausschuss und in mehreren Untersuchungsausschüssen aktiv. Seine Autobiographie ist schon erschienen, diesen Freitag wird der Gemündener nun 75 Jahre alt.

In seinem Büro hängen Fotos, die ihn mit bekannten Politikern zeigen. Zum Gespräch mit der Redaktion bittet er ins große Wohnzimmer, durch dessen bodentiefe Fenster man aufs Maintal blickt. Er erzählt, wie er sonntagabends oft schon wieder in Berlin bei "Frau Merkel" sein musste, "weil die nicht wusste, was sie sonntagabends machen soll". Erzählt, dass Olaf Scholz, damals Finanzminister, auf ihn einen "unaufrichtigen" und "miserablen Eindruck" gemacht habe, als er ihn im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss befragte. Von der Politik der SPD hielt er generell wenig, von allen sieben Finanzministern, die er erlebte, sei ihm aber SPD-Mann Peer Steinbrück der liebste gewesen.
Michelbach treibt die zunehmende Politikverdrossenheit um
Anfang April nahm Michelbach an der Demonstration für Demokratie in Gemünden teil. "Es tut schon weh, dass die Politikverdrossenheit zunimmt", sagt er. "Man muss versuchen, die Leute zu überzeugen, dass die Demokratie die beste Grundlage für das gesellschaftliche Miteinander ist." Sein Rat: "Man muss auf die Leute zugehen, zuhören." Das sei die Grundlage seines politischen Erfolgs gewesen. "Ich sehe mit Unverständnis, dass fast mehr als die Hälfte der Abgeordneten sich in der Riesendunstglocke Berlin bewegt und gar nicht mehr vor Ort verankert ist in den Wahlkreisen."
Als Bürgermeister muss Michelbach eine Art Naturgewalt gewesen sein. Mit seiner Tatkraft und Durchsetzungskraft brachte der Unternehmer (Kaufhaus Michelbach) einst Schwung nach Gemünden. Ein Haudrauf sei er aber nicht gewesen, sagt er. Er habe gleichwohl gewusst, was er wollte. Und leistungsorientiert sei er gewesen. "Ich habe ja Politik nicht zum Selbstzweck gemacht, sondern wollte was erreichen", so Michelbach. Als junger Bürgermeister habe er gegenüber manchen Koryphäen im Stadtrat nicht mit großer Unsicherheit auftreten dürfen.
"Schulden sind dann akzeptabel, wenn Zukunftsinvestitionen dahinterstehen."
Hans Michelbach
In Gemünden halten ihm viele zugute, was er für die Stadt erreicht hat, andere blicken eher auf die Schulden, die er hinterließ. "Schulden sind dann akzeptabel, wenn Zukunftsinvestitionen dahinterstehen", sagt Michelbach dazu. Sie seien notwendig gewesen, um die Entwicklung der Stadt voranzutreiben. "Wenn man die Stadt, die nach dem Krieg nur sehr einfach wieder aufgebaut werden konnte, heute sieht, ist das natürlich ein Unterschied."
Ein Tag Bedenkzeit für die Entscheidung 1994 in den Bundestag nachzurücken

Als Nachrücker kam er 1994 recht überraschend in den Bundestag. Michael Glos habe ihm einen Tag gegeben, sich zu entscheiden und am nächsten Tag in Bonn zu sein. Mit den Ausschlag habe gegeben, dass kurz zuvor der Regierungspräsident darauf aufmerksam geworden war, dass der damals 45-Jährige noch persönlich haftender Gesellschafter der Michelbach KG war. Das sei mit seinem Bürgermeisteramt nach dem Gesetz nicht vereinbar. Michelbach habe seiner Bank gesagt, er müsse da ausscheiden, aber zu hören bekommen: "Das geht nicht, Sie haften für alles persönlich." Für den Übergang zu einer GmbH hätte es etwa eine neue Kreditprüfung gebraucht. Was als Wahlbeamter nicht ging, war als Abgeordneter jedoch möglich. Also nahm er das Mandat an.
"Als absoluter Platzhirsch hat der mich nicht ernst genommen."
Hans Michelbach über seinen Gegner bei der Bundestagswahl 2002
2002 wurde Michelbach für den Wahlkreis Coburg in den Bundestag gewählt. Der Einzug wie bisher über die Liste war nach dem Erfolg der SPD unter Schröder unsicher geworden. Warum Coburg? Den hiesigen Wahlkreis hatte CSU-Kollege Wolfgang Zöller inne. Eine Kampfkandidatur gegen diesen wollte Michelbach, obgleich Vorsitzender des viel größeren CSU-Kreisverbandes Main-Spessart, jedoch nicht. Stoiber habe ihm gesagt: "Probier's doch mal in Coburg, da hat zwar noch nie jemand gewonnen, aber probier's." Michelbach ist nach wie vor stolz darauf, dass er sich gegen den SPD-Landrat und Präsidenten des Bayerischen Roten Kreuzes nach einem Jahr "Dauerwahlkampf" durchsetzte. "Das war natürlich schon ein Husarenritt. Als absoluter Platzhirsch hat der mich nicht ernst genommen."
Ein Erfolg, den er für sich in Coburg, wo er auch im Stadtrat saß, verbucht, war der ICE-Halt. Dafür sei er regelmäßig bei der Deutschen Bahn gewesen. "Ich bin denen so auf den Wecker gegangen, vom Mehdorn bis jetzt zum Lutz." Das müsse man auch, niemand kriege etwa geschenkt. Bis 2021 war Michelbach im Bundestag, inzwischen ist er wieder ganz nach Gemünden zurückgekehrt.
Nachhaltiger Einsatz für die Gemündener Scherenburgfestspiele

Michelbach ist weiterhin Vorsitzender des Scherenburgfestspielvereins. Die Scherenburgfestspiele waren 1990 auf sein Bestreben hin wiederbelebt worden. "Nur neue Pflastersteine waren mir zu wenig", sagt er. 1998 hätten Bürgermeister und Stadtrat kein Interesse mehr an den Festspielen gehabt, weshalb Inge Albert ihn angerufen habe: "Die stellen die Festspiele ein." Wenn er den Vorsitz übernähme, würde sie einen Festspielverein gründen. So kam es.
Das politische Geschehen verfolge er weiterhin, er sei sogar zwei-, dreimal in Monat bei verschiedenen Veranstaltungen in Berlin, sagt Michelbach. Mit der Kommunalpolitik in seiner Heimatstadt sei er im Reinen. Noch heute wendeten sich immer wieder Leute an ihn und fragten, ob er ihnen nicht helfen könne. "Ich habe mir zum Prinzip gemacht, dass ich es an die amtierenden Abgeordneten weitergebe oder mit dem Bürgermeister oder den Behördenleitern spreche."
"Die eine oder andere Idee habe ich noch."
Hans Michelbach
Unternehmer ist er als geschäftsführender Gesellschafter der MIBEG-Unternehmensgruppe in Bad Soden-Salmünster, die in Handel, Seniorenresidenzen, Logistikanlagen, Hotels und Wohnungsbau investiert, weiterhin. Und Sport treibt er noch, dieses Jahr ging es mit neuem Knie wieder zum Skifahren. Gern hole er seine beiden Enkeltöchter in Göttingen von Schule oder Kindergarten ab. Einmal im Jahr fährt die ganze Familie gemeinsam in den Urlaub.
Seinen 75. feiert er mit 180 Gästen im Kreuzkloster, groß aufziehen wollte er die Feier nicht. Abschließend sagt er einen Satz, wie man ihn vom Unruhegeist Michelbach erwartet: "Die eine oder andere Idee habe ich noch."