Erstaunlich sind die Parallelen, die die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise und die Dorfgemeinschaft Hohenroth aufweisen: Rudolf Steiner beschrieb die Erde einst als „belebten und beseelten Organismus“. Der Begründer der Anthroposophie legte damit auch 1924 die geistigen Grundlagen für das Demeter-Konzept. Eine wichtige Erkenntnis ist die, dass Boden, Pflanze, Tier und Mensch in einem Kreislauf zusammenwirken. Nichts anderes als dieser beseelte Organismus ist Hohenroth.
Kreativ und achtsam
Mit Lineal, Bleistift und einem leeren Tütchen sitzt Ingo Kühn an einem Tisch im Samenlager der Gärtnerei. Getrocknete Schnittlauchblüten, Bohnenkraut und Kamille verströmen ihren Duft. Ingo Kühn ist Bewohner in Hohenroth und mit Achtsamkeit beschriftet er das weiße Tütchen. Später wird es im Naturkostladen der Dorfgemeinschaft neben vielen anderen Tüten an einem Ständer hängen. „Schnittlauch- samen“ wird darauf stehen und der Käufer wird es daheim mit ein wenig Wehmut aufreißen. Vielleicht fragt er sich auch, wer dieses Tütchen mit einer Blume und einer Sonne bemalt hat – bunt wie aus Kinderhand. Ingo Kühn ist einer von 21 Bewohnern, die in der Dorfgemeinschaft ihre Kraft in den Arbeitsbereich der Gärtnerei einbringen.
Wie in der Molkerei und in der Bäckerei werden hier Demeter-Produkte hergestellt. Demeter ist heute als Warenzeichen bekannt und nur, wer die strengen Richtlinien einhält, darf seine Produkte mit dem Titel schmücken. Ziel der ältesten ökologischen Landbaubewegung ist es, die Fruchtbarkeit der Erde nachhaltig zu bewahren und der Degeneration von Lebensmitteln entgegenzuwirken. Voraussetzung für das Konzept ist ein geschlossener Hoforganismus mit eigenen Tieren, eigenem Futter, eigenem Dünger.
Vier Uhr am Morgen: Zwei Bäckereimeister, ein Konditor und 13 Bewohner machen sich an die Arbeit. Sie kneten Teig, rollen Brötchen, backen Torten. Rund 80 Brote am Tag und bis zu 400 Brötchen gehen über die Theke. Sie werden in Naturkostläden, auf dem Würzburger Marktstand oder im dorfeigenen Café verkauft. Brötchen und Brot sind in Demeter-Qualität, alle Zutaten stammen aus der dorfeigenen Produktion. Für andere Produkte wie Brezen, Laugenstangen oder Torten kauft die Bäckerei Zutaten in Bio-Qualität zu.
Rund 800 Liter Milch im Monat verarbeitet die Molkerei. Die Milch stammt aus der eigenen Landwirtschaft vor Ort, zusätzlich werden am Zollberghof Schafe gehalten. Krankenhäuser, Schulen und Kinderheime profitieren von den Frischeprodukten der Dorfgemeinschaft. 15 Bewohner stellen hier unter der Anleitung eines Molkereitechnikers, eines Molkereifachmanns und einiger Aushilfen die Produkte her: ob Frischkäse griechischer Art, klassischer Art mit Schnittlauch oder mit Bärlauch, ob Camembert, Tilsiter oder der eigene Sinntaler Hartkäse. Die Molkerei liefert ihre Produkte ebenfalls an Naturkostläden und sogar Großmärkte. Der Demeter-Frischkäse Knoblauch erhielt auf der BIO-Fach-Messe sogar einen Goldenen Preis.
Strenge Richtlinien
Dafür sind allerdings einige Richtlinien einzuhalten: Generell gilt in Hohenroth, dass die Milch so schonend wie möglich verarbeitet wird. Sie darf nicht homogenisiert werden, die Pasteurisierung geschieht mit den niedrigsten erlaubten Temperaturen bei 71 bis 74 Grad. Zur Reinigung der Milch wird ein Mikrofilter verwendet. Die erlaubten Zusatzstoffe sind genau festgelegt, natürlich sind alle Produkte gentechnikfrei und selbst die Verpackung muss von der Ökokontrollstelle genehmigt werden. „Das war ein großer Reiz, diese Molkerei mit aufzubauen“, sagt Bereichsleiter Dirk Finster. Mit einem kleinen Betrieb hat er vor 25 Jahren in Hohenroth angefangen und ihn zu dem gemacht, was er heute ist. „Am meisten Spaß macht mir allerdings heute der Umgang mit den Bewohnern“, sagt Finster.
Im Grunde hat jeder Bereichsleiter und Angestellte in der Dorfgemeinschaft zwei Jobs: Die Arbeit im Stall, auf dem Feld oder in der Molkerei – und die Arbeit mit den Bewohnern, die in den verschiedenen Arbeitsbereichen mit anpacken. „Nicht jeder kann wirklich anstrengende körperliche Tätigkeiten verrichten“, erklärt der Gärtnerei-Leiter Heinz Herbold. Manche entkernen die Kirschen für selbst hergestellte Gelees, andere pflücken Johannisbeeren, wieder andere beschriften wie Ingo Kühn die Tütchen für verkaufsfertige Samen. Mit 21 Bewohnern, zwei Hausvätern und zwei Gärtnern bewirtschaftet Herbold insgesamt einen Hektar Freiland und 1300 Quadratmeter Anbaufläche unter Glas und Folie. Hier wachsen Gemüse, Obst, Kräuter, die frisch verkauft oder verarbeitet werden. Überschüsse werden konserviert, etwa zu Tomatenpüree. Zum „grünen Bereich“ gehört außerdem die eigene Bienenzucht und der Pferdestall – er liefert perfekten Dünger für die biologisch-dynamische Anbauweise.
„Es funktioniert, weil jeder seinen Teil zum Ganzen beiträgt“, sagt der Leiter der Landwirtschaft Reinhard Schmidt. Und nichts anderes als dieses Konzept in Hohenroth ist schließlich Demeter: Das Erkennen und Bewahren eines lebendigen Organismus.
Stichwort
Demeter Der Name stammt von der altgriechischen Fruchtbarkeitsgöttin, die einst für das Wachsen und Gedeihen auf den Feldern verantwortlich gemacht wurde. Heute gibt es weltweit mehr als 3500 Demeter-Betriebe, die nach strengen Richtlinien arbeiten und produzieren. Schnellreifungsverfahren, chemische Konservierungsstoffe, ionisierende Bestrahlung und unnatürliche oder gentechnisch hergestellte Hilfsmittel dürfen nicht verwendet werden. Zur Düngung werden homöopathische Präparate verwendet, die Qualität, Geschmack und Haltbarkeit der Produkte verbessern sollen. Zudem berücksichtigt die Demeter-Landwirtschaft kosmische Wirkungen: Je nach Sonne-, Mond- oder Planetenkonstellation wird gesät, geerntet oder bewirtschaftet.