Von überforderten Gesundheitsämtern ist derzeit überall zu lesen. Doch selbst im November und Dezember, als die Corona-Infektionszahlen im Landkreis Main-Spessart rapide nach oben schossen, will das Gesundheitsamt noch zügig Kontaktpersonen ermittelt und kontaktiert haben. So schilderte es zumindest die Pressestelle des Landratsamts kürzlich gegenüber dieser Redaktion. Das will Ramona Reinhart aus Hafenlohr wiederum nicht so stehen lassen. In ihrem Fall habe die zeitnahe Nachverfolgung im Dezember "überhaupt nicht geklappt", sagt die 40-Jährige. Sie wundere sich auch nicht, "dass die Zahlen zu der Zeit so hoch waren".
Drei Tage vergangen bis Anruf kam
Reinharts Geschichte beginnt eine Woche vor Heiligabend. Mit ihrer 9-jährigen Tochter sei sie zu Besuch bei einer Verwandten in Würzburg gewesen, sagt sie. Zwei Tage später informierte sie das Würzburger Gesundheitsamt darüber, dass die Verwandte positiv auf Corona getestet wurde – Ramona Reinhart und ihre kleine Tochter mussten in Quarantäne. Sie ließen sich ebenfalls testen und erfuhren am 22. Dezember vom Labor, dass sie sich angesteckt hatten. Soweit lief alles normal.
Dann aber vergingen laut Reinhart drei Tage. Am ersten Weihnachtsfeiertag kam schließlich der Anruf des Gesundheitsamts Main-Spessart, bei dem die Kontakte von ihr und ihrer Tochter ermittelt werden sollten. Eine E-Mail mit den Kontaktlisten habe sie dann noch am gleichen Tag an die Behörde geschickt, sagt Reinhart. Und erneut strich Zeit ins Land, diesmal fünf Tage.
Sachbearbeiter sei im Urlaub gewesen
Nachdem ihr Mann und ihre ältere Tochter – beide standen ganz oben auf den Kontaktlisten – bis dahin keinen Anruf vom Gesundheitsamt bekommen hatten, fragte Ramona Reinhart nach. Bei der Behörde habe sie erfahren, dass der Sachbearbeiter im Urlaub sei und ihren Fall nicht weitergegeben habe. "Ich sollte dann die beiden Listen noch einmal schicken." Auch ihre Arbeitskollegen, die wie sie im Gesundheitswesen tätig sind, seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell in Kenntnis gesetzt worden, Reinhart hatte ihnen aber selbst schon Bescheid gegeben.
Am Tag ihres Anrufs bei der Behörde wurden ihr Mann und ihre ältere, 11-jährige Tochter in Quarantäne geschickt. Die beiden ließen sich am 4. Januar testen. Das Ergebnis: Er war mittlerweile auch positiv, die ältere Tochter nicht. "Auf unsere Anfrage, ob die große Tochter als Kontaktpersonen 1 auch in Quarantäne soll, wurde uns vom Gesundheitsamt gesagt, dass das nicht nötig sei, da sie wahrscheinlich immun ist", berichtet Reinhart. Diese Aussage überraschte die Frau aus Hafenlohr, ihre Tochter habe sie trotzdem erstmal zu Hause behalten.
In Einzelfällen schließt Landratsamt Verzögerungen nicht aus
Was sagt das Landratsamt Main-Spessart zu diesen Vorwürfen? "In dem angesprochenen Zeitraum kam es teilweise zu Übermittlungsverzögerungen durch die Labore. Zusätzlich waren im November und Dezember 2020 sehr hohen Fallzahlen sowie zahlreiche Ausbruchsgeschehen in verschiedenen Einrichtungen im Landkreis Main-Spessart zu verzeichnen", schreibt Tina Starck, Pressesprecherin der Behörde, auf Nachfrage dieser Redaktion.
Parallel hätten viele neue Mitarbeiter kurzfristig und schnell eingearbeitet werden müssen, um die hohe Anzahl an Corona-Fällen überhaupt bewältigen zu können. "Verzögerungen bei der Kontaktaufnahme könnten in Einzelfällen daher in diesem Zeitraum nicht ausgeschlossen werden", räumt Starck ein. So offenbar auch im geschilderten Fall.
Keine Zettelwirtschaft
Als Erklärung dafür, dass Ramona Reinhart ihre Kontakliste zweimal an die Behörde schicken musste, betont die Pressestelle, dass die Liste "nicht verloren gegangen" sei. Stattdessen habe der Mitarbeiter, der die Kontaktpersonenliste ursprünglich angefordert hatte, diese "versehentlich nicht unverzüglich zur Bearbeitung weitergegeben". Infolgedessen habe die Behörde die Liste erneut angefordert. Woran es genau lag, bleibt bei dieser Erläuterung im Unklaren. Schließlich reagierte die Behörde erst, nachdem sich Reinhart fünf Tage später selbst wieder meldete.
Analoge Listen oder Excel-Tabellen, die in Medienberichten öfter mal in Zusammenhang mit chaotischen Zuständen in Gesundheitsämter gebracht werden, sind offenbar nicht schuld. Diese kämen im Gesundheitsamt Main-Spessart für die Erfassung von Corona-Fällen und die Kontaktnachverfolgung nicht zum Einsatz, heißt es von der Pressestelle. "Es findet eine digitale Erfassung der Fälle statt." Außerdem befinde sich das Programm SORMAS derzeit in der Einführungsphase. Die Software sollten Gesundheitsämter in Bayern eigentlich schon ab Februar einheitlich zur Kontaktnachverfolgung nutzen.
Wann gilt man als immun?
Auf die Frage hin, unter welchen Umstände das Gesundheitsamt davon ausgeht, dass eine Person immun sein könnte, verweist Pressesprecherin Starck auf das Robert-Koch-Institut. Dessen Empfehlungen folge die Behörde in Main-Spessart. Bis Anfang 2021 galt demnach, dass Personen, die sich früher bereits mit Corona infiziert hatten, nicht erneut als Kontaktperson eingruppiert wurden, da man von einer Immunität ausging.

Mittlerweile gelten erneute Infektionen nur noch innerhalb von drei Monaten als so unwahrscheinlich, dass in manchen Fällen keine erneute Quarantäne nötig ist. Was seltsam dabei ist: Die 11-jährige Tochter von Ramona Reinhart war zu keinem früheren Zeitpunkt infiziert und musste trotzdem nicht in Quarantäne.
Nach ihren Erfahrungen in der Weihnachtszeit vertritt Ramona Reinhart die Meinung, dass die Mitarbeiter des Gesundheitsamts gerade auch an Wochenenden und Feiertagen arbeiten sollten. "Wir hatten leider einen anderen Eindruck", sagt sie. Laut Landratsamt sind aktuell aber auch an den Wochenenden sechs Mitarbeiter, davon ein Arzt, mit der Kontaktnachverfolgung und der Kontaktierung von positiv getesteten Fällen beschäftigt.