Stress gehört für viele Menschen zu ihrem Alltag. In den Räumlichkeiten des Kreuzklosters in Gemünden möchte Miriam Rottmann aus Rieneck von April an Kurse anbieten, in denen die Teilnehmenden lernen sollen, wie sie mit Hilfe von Achtsamkeit besser mit Stress umgehen können. Die 45-Jährige ist zertifizierte Lehrerin für MBSR, was für "Mindfulness-based stress reduction" steht. Dabei handelt es sich um eine Methode, die in den 70er Jahren von dem amerikanischen Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Im Interview haben wir Rottmann gefragt, was dahinter steckt und wie die Achtsamkeitslehre dabei hilft, mit aktuellen Krisen umzugehen.
Frage: Frau Rottmann, wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Achtsamkeit zu beschäftigen?
Miriam Rottmann: Ich bin ursprünglich staatlich anerkannte Erzieherin und war viele Jahre Kindergartenleitung. Nachdem ich 2006 einen Burnout aufgrund einer schweren Erkrankung hatte, bin ich auf "Stressbewältigung durch Achtsamkeit" gestoßen. Durch Achtsamkeitsübungen habe ich sehr viel Lebensqualität zurückgewonnen und sie bereichern mein Leben bis heute. 2018 habe ich mich für die Ausbildung zur MBSR-Lehrerin am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden entschieden. Gerne möchte ich das, was mir so gut geholfen hat, an andere weitergeben.
Was können wir uns unter Achtsamkeitstraining vorstellen?
Rottmann: Das ist eine Geistesschulung. Wir konzentrieren uns darauf, im Hier und Jetzt zu sein, im gegenwärtigen Moment – ohne diesen zu bewerten. Es ist keine Therapie und glaubensneutral. Es ist eine Methode, mit der Sie lernen können, innerlich zur Ruhe zu kommen und psychisch stabil zu sein.
"Krisen bewältigen wir am besten, wenn wir handlungsfähig sind."
Miriam Rottmann, Achtsamkeitslehrerin
Ziel ist es aber vor allem, besser mit Stress umzugehen, oder?
Rottmann: Richtig, das ist der Hauptpunkt. Wobei Stressempfinden und der Umgang mit Stress ganz individuell sind. Nicht jede Situation stresst jede Person gleich. Bei dem einen ist es das Gedankenkarussell, das er nicht anhalten kann. Andere haben äußeren Stress durch Zeitdruck. Wenn man seinen Stress besser bewältigen kann, wirkt sich dies positiv auf die Gesundheit aus und so kann man dann auch mit anderen Herausforderungen im Leben besser umgehen.
Ob Krieg in der Ukraine, Klimawandel oder Pandemie: Aktuelle Krisen setzen die Menschen auch unter Stress und machen ihnen Angst. Wie kann Achtsamkeit hier helfen?
Rottmann: Insofern, dass man sich bewusst wird, was alles von außen auf einen eindringt. Wie gehe ich mit Medien um? Tue ich mir den ganzen Tag die neuesten Nachrichten an oder sage ich bewusst: Stopp, ich sehe mir gezielt einmal am Tag die Nachrichten an. So bleibe ich informiert, kann mir die Zeit nehmen, um wahrzunehmen, was das mit mir macht, und vermindere die Gefahr, dass die Nachrichten mein Denken und Fühlen den ganzen Tag beherrschen. Sie lernen im Hier und Jetzt präsent zu sein. Auf uns scheint zum Beispiel gerade die Sonne, es weht ein frischer Frühlingswind. Wenn ich mich umschaue, dann bin ich aktuell keiner Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. Und diese innere Sicherheit kann ich wieder mit in den Alltag nehmen. Es geht nicht darum, Krisen kleinzureden. Aber in diesem Moment, in dem ich hier sitze, bin ich sicher. Den meisten Stress erleben wir im Kopf, wenn sich unsere Gedanken unkontrolliert Schreckensszenarien ausmalen. Achtsamkeit wirkt dem entgegen und stärkt die Resilienz. Zudem wirken Achtsamkeitsübungen entspannend, was zum Abbau des Stresshormons Cortisol beiträgt. Diese Wirkung ist durch wissenschaftliche Studien bereits mehrfach belegt.
Inwiefern spielt es dabei eine Rolle, ob ich selbst beeinflussen kann, was geschieht?
Rottmann: Das spielt natürlich eine große Rolle. Krisen bewältigen wir am besten, wenn wir handlungsfähig sind. Das sehen wir ja gerade an den vielen Menschen, die spenden oder Flüchtlinge aufnehmen. Wenn Menschen aktiv sein können, haben sie einen Bewältigungsmechanismus. Dadurch sind wir den Ereignissen nicht hilflos ausgeliefert. Sind wir jedoch persönlich von Leid und Schmerz betroffen, können uns starke Emotionen die klare Sicht auf eine Lösung verstellen. Da setzt auch die Achtsamkeit an, diese Hürde zu überwinden.

Wie sieht denn so ein Kurs bei Ihnen konkret aus?
Rottmann: In der ersten Stunde würden wir uns damit beschäftigen, was Achtsamkeit eigentlich ist. Wir machen zum Beispiel die Rosinenübung, anhand der wir erfahren, wie es ist, jeden Sinnesreiz einzusetzen und alles bewusst wahrzunehmen. In der zweiten Stunde lernen wir den Body Scan kennen. Dazu legen wir uns auf den Boden und die Teilnehmer dürfen unter meiner Anleitung mit ihrer Aufmerksamkeit einmal durch ihren ganzen Körper wandern. So nehmen sie ihre Körperempfindungen bewusst wahr. Wenn Sie in Ruhe gelernt haben, auf Ihre Impulse im Körper zu achten, können Sie diese später auch in einer Stresssituation frühzeitig wahrnehmen und gegensteuern. Sie bemerken, wenn sich Ihr Nacken verspannt, sich Ihre Stirn runzelt, Sie ihre Zähne zusammen beißen: Sie sind sich der Stresssituation bewusst. Das ist die Grundlage, auf der wir im Laufe des Kurses systematisch aufbauen.
Yoga steht auch auf dem Programm. Welchen Zweck erfüllt das?
Rottmann: Das ist die dritte Hauptübung. Wir lernen sanftes Hatha Yoga. Das sind Übungen, deren Ziel es ist, den Umgang mit den eigenen Grenzen kennenzulernen. Also nicht nur körperlich, wie weit komme ich zum Beispiel mit meinen Händen auf den Boden, sondern vor allem innerlich, auf geistiger und emotionaler Ebene. Was macht mein Geist? Beurteilt er gleich? Kommen destruktive Gedanken auf? Es geht also viel mehr um den Umgang mit den eigenen Grenzen und Gedanken.
An wen richten sich denn Ihre Kurse?
Rottmann: An alle Personen, die ein Interesse an geistiger, körperlicher und emotionaler Gesundheit haben. Ich sehe es als Prophylaxe. Ich denke, wer eine gute Basis für seine psychische Stabilität hat, ist auch für die unvermeidlichen Stürme des Lebens gut gewappnet. In Absprache mit einem behandelnden Arzt oder dem Psychotherapeuten können auch Personen mit einer psychischen Erkrankung an meinen Kursen teilnehmen. Das ist eine sinnvolle Ergänzung. Zunächst sind die Kurse für Erwachsene gedacht, kommendes Jahr kommt ein Angebot für Kinder dazu.
Weitere Informationen zu den Kursen von Miriam Rottmann gibt es im Internet unter www.frei-er-leben.de, per Mail an info@frei-er-leben.de oder unter Tel.: 0176/38222645.