Am 24. Oktober 1944 fallen im Zuchthaus Brandenburg-Görden Schüsse. Mehr als ein Vierteljahr nach dem Bombenattentat von Graf Stauffenberg auf Hitler in der Wolfsschanze wurde Karl Freiherr von Thüngen wegen seiner angeblichen Beteiligung an diesem Putschversuch vom 20. Juli durch Erschießen hingerichtet. Obwohl er zu keiner Zeit aktiv an dem Anschlag und dem anschließenden Putschversuch beteiligt war und mit großer Sicherheit auch im Vorfeld keine Kenntnis davon hatte, machte er laut dem Urteil des berüchtigten Nazirichters Roland Freisler "gemeinsame Sache mit den Verrätern".

Die genauen Ereignisse um den 20. Juli lassen sich nur ungenau widergeben. General Karl Thüngen war zu dieser Zeit Inspekteur des Wehrersatzwesens in Berlin. Gegen 16 Uhr war er zu General Friedrich Olbricht in die Bendlerstraße bestellt worden und hatte dort von Claus von Stauffenberg erfahren, dass Hitler angeblich tot sei. Es seien nun sicher Unruhen im Reich zu befürchten und es müsse eine Reihe von Veränderungen an der Spitze geben. Karl Thüngen wurde mit dem Generalkommando im Wehrkreis beauftragt. Er sollte die Verbindung zum Oberkommando des Heeres halten.
In einer Festschrift zur 50. Wiederkehr der Erhebung deutscher Offiziere gegen Adolf Hitler beschrieb August Graf Kageneck die Einbindung des Generals Karl von Thüngen in die folgenden Abläufe. Im Rahmen der eingeleiteten "Walküre-Maßnahmen" sollten Parteifunktionäre, Gauleiter und Reichsminister festgesetzt werden. Thüngen musste sich jetzt entscheiden, ob er mitmachen würde. Er ist geblieben. Am Abend kam dann die Nachricht aus dem Führerhauptquartier: Hitler hatte überlebt und werde bald im Rundfunk sprechen.
Großes Durcheinander von Befehlen und Gegenbefehlen
Karl Thüngen versuchte nun vergeblich, die führenden Köpfe des Putsches, die Generäle Ludwig Beck und Obricht, zur Aufgabe des Umsturzversuches zu bewegen. Nach dem Selbstmord Becks und der Hinrichtung von Stauffenberg und anderer Offiziere im "Bendlerblock" konnte Karl Thüngen das Gebäude noch unbemerkt verlassen. "Es war ja alles unter großer Konfusion von Befehlen und Gegenbefehlen, von Nachrichten und Widerrufungen. Viele wussten wahrscheinlich nicht, auf welcher Seite sie nun gerade standen", so von Kageneck in seiner Schrift.
Am 3. August wurde Karl Thüngen verhaftet und zunächst in das Gefängnis der Gestapo, später in das der Polizei gebracht. Seine Frau Marie und seinem Burschen, der Obergefreite Helmut Holtgräfe gelingt es mit großem Einsatz, den General in Gefangenschaft zu besuchen und ihm gelegentlich auch mit Nahrung und persönlichen Gegenständen zu versorgen. Bei einem Besuch im Gefängnis sieht man dem General deutliche Spuren von Misshandlungen an.

Wie zu erwarten, wurde der kommende Schauprozess von Hitlers Blutrichter Roland Freisler geleitet. Da dem Angeklagten keine direkte Beteiligung nachgewiesen werden konnte, warf ihm Freisler vor, er habe sich nicht aktiv für die Niederschlagung des Putsches eingesetzt. In der Urteilverkündung heißt es dann: "Thüngen wollte - wie es auch kommen möge - auf der richtigen Seite sein!" Ein Vorwurf, der den prinzipientreuen Offizier zusätzlich in seiner Ehre getroffen hat. Das Urteil des Volksgerichtshofes lautete auf Todesstrafe durch Erschießen.
Thüngens Verteidiger reichte zwar bei Freisler Revision ein. Die Revision wurde aber sofort verworfen, das Urteil einen Tag später am 24. Oktober im Zuchthaus Brandenburg-Görden vollstreckt.
Viele hofften auf eine militärische Karriere
Karl Freiherr von Thüngen gehörte zur höheren Offiziersschicht, die im Allgemeinen dem Nationalsozialismus und dem völkischen Gedanken neutral oder sogar wohlwollend gegenüberstand. Die neue Bewegung und der Reichskanzler versprachen den Wiederaufstieg Deutschlands. Viele hofften nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs und dem danach kommenden "Diktatfrieden" von Versailles auf neue Perspektiven und auf eine militärische Karriere.
Auch von Claus Graf Stauffenberg weiß man, dass er als junger Mann bei Hitlers Machtergreifung von einem tausendjährigen Reich träumte. Die Offiziere der Reichswehr verstanden sich als Teil einer neuen Elite, die Gefallen an der Nationalen Erneuerung fanden. Von Stauffenberg ist bekannt, dass er sich anfangs von den außenpolitischen und militärischen Erfolgen des Führers blenden ließ: "Welche Veränderung in welcher Zeit", schwärmte er von Hitlers Siegen über Polen und Frankreich in den Jahren 1939/40.
Hinzu kam die Denkweise und die militärische Tradition der Offiziere. Vielleicht durchaus mit einigem Bauchgrimmen hatten sie einen Treueeid auf den Führer, dem ehemaligen Gefreiten, geschworen. Einen Eid, den sie nicht so ohne weiteres zu brechen bereit waren. Gebunden fühlten sich die meisten sowohl an den Führer als auch an den Dienst für das Vaterland. Stauffenberg wird beispielsweise zugeschrieben, er habe vor den tödlichen Schüssen im Bendlerblock noch gerufen: "Es lebe das heilige Deutschland!"
Mit dem Fortgang des Zweiten Weltkriegs, ganz besonders aber mit den Ereignissen um die Völkerrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten und natürlich dem Massenmord an Juden und anderen Volksgruppen sowie an Andersdenkenden, geriet das Weltbild von Treu und Glauben, von Eid und Gewissen bei vielen ins Wanken. Die Frage kam auf: Ist in dieser Situation ein Tyrannenmord gerechtfertigt?
Karl Freiherr von Thüngen war ein gläubiger Christ
Bei Karl Freiherr von Thüngen kam noch hinzu. Er war ein praktizierender Christ und legte sich mit den Nazis an, wenn diese beispielsweise Kruzifixe verspotteten oder aus Amtsräumen entfernten. Aus mehreren Äußerungen des Generals wurde ersichtlich, dass er gegen den Krieg Hitlers war und ihn für das Verderben Deutschlands hielt. Der Historiker Ernst-Günter Krenig sagte über ihn: "Er versuchte die Grausamkeit des Feldzuges in Russland zu mildern, wo immer es möglich war." Überliefert ist auch, dass er Hitler als Übel bezeichnete.
Als dann die Ereignisse des Attentats vom 20. Juli und der ebenso misslungen Machtübernahme durch die "Operation Walküre" über von Thüngen hereinbrachen, stellte er sich nicht offen gegen die Putschisten. Das wurde ihm später vom Volksgerichtshof angelastet. Dort allerdings zeigte sich der Angeklagte standhaft und versuchte nicht durch Ausreden und Tricks sein Mitwirken zu verschleiern.
Eine andere Dimension des Widerstands gegen das Regime von Adolf Hitler prägte der 1878 in Karlstadt geborene Franz Sperr. Er gehörte zu den 89 "Schuldigen" rund um das Attentat in der Wolfschanze. Im Januar 1945 wurde er nach nur drei Verhandlungstagen vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 23.Januar in Plötzensee erhängt.
Amt aus Protest niedergelegt
Zum Verhängnis wurde Sperr, dass er Oberst Klaus Graf von Stauffenberg nicht anzeigte, nachdem dieser ihm von seinen Attentatsplänen auf Hitler erzählt hatte. Der letzte Gesandte Bayerns beim Deutschen Reich blieb sich selbst bis zuletzt treu. Der Offizier war aber schon viele Jahre zuvor bekennender Gegner der Nationalsozialisten. Als Beamter im Außenministerium und Bayerischer Gesandter in Berlin versuchte er 1934 die Gleichschaltung Bayerns zu verhindern. Schließlich legte er aus Protest sein Amt nieder.

Zurück in München sammelte er Gleichgesinnte um sich. Sie hofften auf einen baldigen Sturz Hitlers. Zum so genannten "Sperr-Kreis" zählten Offiziere, höhere Beamte und Freiberufler. Drohenden Unruhen nach Hitlers Ende wollten sie zumindest in Bayern vorbeugen und die Verwaltung des Staates übernehmen. Die Widerständler, allen voran Sperr selbst, unterhielten zudem Kontakte zum "Kreisauer Kreis" um Helmuth James Graf von Moltke und zu Stauffenberg.
1943 nahm Sperr an Besprechungen mit Moltke und anderen Widerständlern in der Pfarrwohnung der Sankt-Michaels-Kirche in München teil. Dabei brachte er offenbar seine Vorstellungen über einen föderalistischen Neubeginn nach Sturz des Nazi-Regimes ein. Der Kontakt zwischen Sperr und Stauffenberg diente Freisler als formelle Begründung des Todesurteils.

In Karlstadt wurde im Januar 2006 in der Stadtpfarrkirche St. Andreas ein Mahnmal für den Widerstandskämpfer enthüllt. Eine Skulptur von Egino Weinert mit zwei in den Armen liegenden Menschen ist nur durch eine Öffnung der Gitterstäbe zu sehen. Die Öffnung ist zudem umrankt von Stacheldraht. Peter Heid, Mitarbeiter im städtischen Bauhof, hatte die Gitterstäbe geschmiedet. Die Idee zu diesem Werk stammte vom damaligen Karlstadter Pfarrer Klaus Beißwenger.
Die "Operation Walküre"
Am 20. Juli 1944 explodierte eine von Oberst Claus Schenk von Stauffenberg platzierte Bombe im streng abgeriegelten Führerhauptquartier "Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen während einer Lagebesprechung mit dem Führer. Ziel des Attentats war der Tod Adolf Hitlers und damit die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. Doch der Anschlag ging fehl, der Diktator überlebte leicht verletzt den Anschlag.
Missglückt ist auch die anschließend geplante "Operation Walküre". Stauffenberg und die an der Verschwörung beteiligten Offiziere wollten im Handstreich nach der Meldung des Todes von Hitler mit einem Staatstreich die Regierung sowie die Gestapo mit den SS-Verbänden entmachten und die Gewalt im Staat übernehmen. Am Ende sollte eine politische Neuordnung des Landes stehen.

Doch die Operation Walküre lief nur schleppend an. Die Verschwörer verlierten viel Zeit, sonst hätte der Putsch vielleicht doch noch - trotz des missglückten Attentats - Erfolg gehabt. Nach und nach sickerten Meldungen vom Überleben des Führers durch, die Unsicherheit wuchs und die erhoffte Unterstützung der übrigen Offiziere und Regierungsstellen blieb aus. Am Abend wurde das Hauptquartier der Verschwörer in der Berliner Bendlerstraße von nazitreuen Einheiten eingenommen, der Staatsstreich war gescheitert.
Die Vergeltung der Nazis war schnell und grausam. General Ludwig Beck, der nach dem Putsch das neue Staatsoberhaupt werden sollte, wurde am selben Abend in den Selbstmord getrieben. Um Mitternacht wurden im Hof des Bendlerblocks Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht im Scheinwerferlicht der Wehrmachtsfahrzeuge standrechtlich erschossen. Die übrigen Verschwörer wurden fast ausnahmslos festgenommen, tagelang verhört und gefoltert. Eine Welle der Verfolgung setzte ein, die den militärischen und zivilen Widerstand gegen das Regime endgültig brach.
Trotz des Misserfolges der Aufständischen gelten die Ereignisse um den 20. Juli noch heute als Beleg, dass es im Dritten Reich noch Vertreter eines anderen, nicht gleichgeschalteten Deutschlands gab.
Der hingerichtete Karl von Thüngen wurde von seinen Mördern eingeäschert. Seine Witwe Marie von Thüngen versuchte nach dem Krieg in den Besitz der Urne zu gelangen. Trotz der Unterstützung der damaligen DDR-Regierung konnte jedoch der Bestattungsort nicht gefunden werden. Der Mann wurde vermutlich im Wald bei Templin an einem unbekannten Ort vergraben.
Zum Autor: Günter Roth war lange Lehrer im Werntal und ist mit der Heimatgeschichte vertraut. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Geschichtsfreunde Stetten.
Quellen: Erinnerungen von Stella von Dercks, 1984; Gedenkschrift für Karl Freiherr von Thüngen von August Graf Kageneck. Dietz Freiherr von Thüngen in Martina Metzger (Herausg.): "Offiziersehre und Widerstand"; Martina Amkreutz-Götz, Main-Post-Serie 1984: Erinnerungen von Stella von Dercks.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter /dossier/geschichte-der-region-main-spessart/