Verdorrtes Gras und Getreide, trockener Boden: Noch bietet die rund einen Hektar große Freifläche in der Gemarkung Stetten einen traurigen Anblick. Doch das soll sich ändern. Am Donnerstagabend wuseln um kurz vor 20 Uhr rund 40 Menschen über das scheinbar brachliegende Gelände. In den Händen: eine oder gleich mehrere Gießkannen. Immer wieder laufen sie zu einem großen Pool, der nach und nach von der Freiwilligen Feuerwehr Stetten und dem örtlichen Winzerverein mit zwölftausend Litern Wasser gefüllt wird. Die Mission: Den Karlstadter Klimawald retten.

Doch diese Mission wird nicht einfach: Im Herbst 2021 wurden hier 4125 Bäumchen angepflanzt. Darunter klimaresistente Arten wie die Baumhasel, Schuppenrinden-Hickory oder Französischer Ahorn. Zunächst sah alles nach einem Erfolg aus, die Leiterin des Forstreviers Karlstadt, Claudia Stiglbrunner, freute sich darüber, dass die Pflanzen gut angewachsen waren.
Verantwortliche hatten sich bewusst gegen Bewässerung entschieden
Doch dann blieb ab Mai der Regen fast komplett aus, der Boden trocknete in die Tiefe aus. In der Folge überlebten 75 Prozent der Pflanzen nicht. Trotzdem hatten sich die Verantwortlichen bewusst gegen eine Bewässerung entschieden – weil immer wieder Regen vorhergesagt war – der jedoch nie kam –, die Versuchsfläche den natürlichen Gegebenheiten ausgesetzt werden sollte und auch aus Kostengründen.
Weder der Standort noch die gewählten Baumarten oder der Zeitpunkt der Pflanzung seien für das Vertrocknen verantwortlich, sagte Forstdirektor Christoph Kirchner vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Karlstadt im November im Forstwirtschaftsausschuss. Ende 2022 und Anfang dieses Jahres wurden rund 3000 Bäume zwischen den verdorrten nachgepflanzt. "Die sind sehr gut angewachsen, wir hatten ja ein sehr schön feuchtes Frühjahr", so Stiglbrunner. Jedoch haben sich fast keine der ausgetrockneten älteren Pflanzen über den Winter noch wie erhofft erholt.

Doch auch jetzt hat es hier seit fünf Wochen nicht mehr geregnet. Deshalb rief die Stadt die Karlstadterinnen und Karlstadter zur ersten öffentlichen Gießaktion auf. Das Wasser kommt von einer für die Landwirtschaft zugelassenen Entnahmestelle in Stetten mit Wasserkontingent. "Das ist also alles ganz legal", so Stiglbrunner. Christian Winkler, Vorsitzender des Winzervereins Stetten und Mitglied bei der Feuerwehr, hatte schon 2022 Hilfe angeboten. Winkler war es auch, der nun den großen Swimmingpool zur einfachen Wasserentnahme organisierte.
Für was die 40.000 Euro pro Hektar eingesetzt werden
Aufgeben war und ist sowohl für die Stadt als auch Forstdirektor Kirchner und Försterin Stiglbrunner keine Option: Denn das Projekt wird vor allem von Spendengeldern finanziert. Die Spendenbereitschaft sei nach wie vor da, sagt Bürgermeister Michael Hombach, der selbst bis kurz vor 20 Uhr mit einigen wenigen Stadträten beim Gießen hilft. "Wir stehen hinter diesem Projekt und wollen es zum Erfolg führen. Es ist ein Vorzeigeprojekt."
Pro Hektar – insgesamt sollen einmal vier Hektar Klimawald entstehen – sind 40.000 Euro eingeplant, 10.000 Euro schießt die Stadt zu. Mit dem Budget sollen Bäume gekauft werden, die Pflanzung, der Zaunbau und für fünf Jahre die Pflege unter Aufsicht der Forstverwaltung durch Fachfirmen bezahlt werden.

Die Aufforstung der vertrockneten Bäume kostete 7500 Euro. Damit liegen die Kosten bisher insgesamt bei rund 26.000 Euro. "Wir haben extra ein bisschen großzügiger kalkuliert, weil uns klar war, dass die Erstaufforstung einer Freifläche nicht einfach werden wird." Laut Hombach hätten Tiere bei einem kaputten Zaun die Bäume auch verbeißen oder ein Spätfrost kommen können. Um die Kosten jedoch nicht noch weiter in die Höhe zu treiben, wird jetzt bewässert.
Besonders eine Baumart hat sich als nicht geeignet erwiesen

"Wir haben Tensiometer auf der Fläche ausgebracht, die die Bodenfeuchtigkeit messen", erklärt Stiglbrunner. "Derzeit sind wir noch im grünen Bereich. Damit sich dieser aber nicht verschlechtert, gießen wir ab jetzt." Das hatte die Forstverwaltung gemeinsam mit dem Stadtrat entschieden. Stiglbrunner hat bei ihren aktuell regelmäßigen Besuchen festgestellt, dass die Bäumchen – die man zum Teil suchen muss, so klein sind sie – so langsam vertrocknete Blätter bekommen.
Zudem wurde das Gelände ausgegrast. "Wir hatten gehofft, dass die Begleitvegetation die jungen Bäume beschattet." Weil jedoch auch diese Pflanzen Wasser benötigen, wurde jetzt mehr gemäht.
Eine weitere Erkenntnis: Der Schneeball-Ahorn, von dem wohl nur ein Exemplar den Sommer 2022 überlebt hat, wurde nicht mehr nachgepflanzt. "Den Französischen Ahorn haben wir leider nicht mehr bekommen, der war komplett ausverkauft. Dafür haben wir auf die heimische Elsbeere als trockentolerante Baumart zurückgegriffen."

Initiator Jürgen Rohm: "Es war richtig, das zu starten"
Auch der Initiator des Klimawaldes, Jürgen Rohm, ist bei der Gießaktion dabei. Er beschäftigt sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel sowohl beruflich als Versicherungsvertreter als auch privat. Nachdem er der Stadt seine Idee unterbreitet hatte, entwickelte die städtische Forstabteilung gemeinsam mit Rohm, dem AELF und dem Amt für Waldgenetik das Konzept für den "Klimawald".

Rohm sagt mit Blick auf die Fläche: "Es war richtig, das zu starten. Wir sehen hier vor Ort: Es ist fünf nach und nicht fünf vor zwölf. Es ist ein katastrophaler Zustand." Er sieht aber auch das Positive: Einige Arten, immerhin 30 Prozent, hätten den trockenen Sommer überstanden. "Von daher: Unbedingt weiter dranbleiben, über das Thema sprechen und Leute motivieren."
Freunde des Spessarts unterstützen den Klimawald
Im Sommer 2022 machte sich auch die Initiative "Freunde des Spessarts" ein Bild von der Lage. "Das war letztes Jahr hoch tragisch", sagt die stellvertretende Vorsitzende Heidi Wright auf Nachfrage dieser Redaktion. Sie konnte bei der Gießaktion nicht dabei sein, wollte aber am Freitag mit ihren Enkelkindern "nachgießen". Dass man dem Karlstadter Klimawald noch eine Chance gibt, sei dem Bemühen der Bevölkerung zu verdanken, so Wright. Dies gelte es zu unterstützen. "Man muss jetzt abwarten." Auf einer freien Fläche einen Wald anzubauen, sei aber "schon etwas vermessen und schwierig". Heidi Wright sieht eine 50/50-Chance für das Überleben des Klimawalds. "Ich habe aber noch Hoffnung – auch, wenn der Anfang nicht gut lief."
Claudia Stiglbrunner ist mit Blick auf den Wetterbericht für die kommende Woche vorsichtig optimistisch. Doch was, wenn es wieder nicht regnet? "Dann müssten wir allerspätestens in zwei Wochen wieder gießen." Dafür brauche es aber wieder die Hilfe von Feuerwehr, Winzerverein und vielen Freiwilligen. Am Freitagnachmittag hat es in Karlstadt zumindest schon mal ein bisschen genieselt.