Alles begann mit dem heiligen Kilian. Doch schon über diesen, einem Schwergewicht im mainfränkischen Bewusstsein, weiß man mehr nicht, als dass man etwas Genaues wüsste. Jedenfalls kam er, wahrscheinlich mit zwei Gefährten, um 689 in Würzburg ums Leben, wie und warum auch immer (eine Begleiterin ließ man am Leben).
Mainfranken war damals ungefähr genauso christlich wie heute: manche Leute gar nicht, andere nur dem Namen nach, wieder andere waren von der Richtigkeit der Lehre völlig überzeugt. Um die Gruppe der Letzteren zu stärken, wird durch Bonifatius ein Bistum gegründet, ob das 741 oder 742 war, ist umstritten und letztlich irrelevant. Bischof wird Burkard, gut bekannt mit Bonifatius und den Hausmeiern der fränkischen Könige, die (nicht zuletzt mit der Hilfe Burkards) 751 den Thron usurpierten und als „Karolinger“ Karriere machten.
Irgendwann in seiner Amtszeit „erhebt“ Burkard die Gebeine der nicht vergessenen irischen Wanderprediger und beginnt mit dem Bau eines Doms in Würzburg, wohl an der Stelle des heutigen Neumünsters. Burkard „wanderte zum Himmel“ (wie es in seiner ältesten Lebensbeschreibung so schön heißt), wohl 753 oder 754. Nachfolger wird Megingaud, Spross einer fränkischen Sippe, die reichlich Besitz hatte. Nach 15 Jahren im Bischofsamt geht er jedoch (die Gründe sind unklar) in Frührente, zieht sich in einen Ort am Main mit Namen „Rorinlacha“ zurück und erbaut dort ein Kloster, das später Neustadt genannt wird.
Würzburg und Karlburg gut zu erreichen
Warum errichtete Megingaud das Kloster gerade an dieser Stelle? Der Ort soll ihm (wohl von einem Verwandten) geschenkt worden sein, doch das war nicht der Hauptgrund. Neustadt liegt am Main, der Hauptverkehrsader der Region, Leute wie Fracht kommen permanent vorbei. Zu Fuß sind Würzburg und auch das damals bedeutende Karlburg gut zu erreichen. Die „Fränkische Platte“ ist ein dichtbesiedelter und fruchtbarer Raum, aus ihren Dörfern kann man Einkünfte beziehen. Der Spessart liefert ein überaus wichtiges Material: Holz.
Man kann sich nur fragen, weshalb das Kloster nicht auf der gegenüberliegenden Mainseite im ausbaufähigeren Erlach gebaut wurde. Der Grund wird sein, dass südlich des heutigen Klosters bereits eine Anlage bestand, die später als „Jagdhaus Karls des Großen“ bezeichnet wurde. Das stimmt insofern, als dass dort tatsächlich eine kleine Wehranlage auf einem Hügel, dem Michelsberg, existierte.

Das Reich selbst in der Person Karls des Großen hat wohl die Gründung mitgetragen und das Kloster mit einem weiträumigen Besitz auf der westlichen Waldseite, tief in den Spessart hinein, ausgestattet. Klostergründungen waren im 8. Jahrhundert sowieso „in Mode“. Dass Neustadt aber bewusst gegründet wurde, um dort Geistliche für die Missionierung der Sachsen auszubilden, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Megingaud stirbt, wahrscheinlich hochbetagt, im Jahr 794 und wird im heutigen Neumünster in Würzburg bei den Gräbern der „Frankenapostel“ bestattet. Dort befindet sich noch sein Grabstein, der freilich auch noch viele Rätsel aufgibt.
In den folgenden zwei Jahrhunderten ist über Neustadt so gut wie nichts zu erfahren. Dass es durch die „Ungarnstürme“ in Mitleidenschaft gezogen worden wäre, ist völlig unbewiesen. Erst für das Jahr 993 existiert eine Urkunde, in der Kaiser Otto III. die Abtei als Besitz der Würzburger Kirche bestätigt (vereinfacht ausgedrückt). Viel moderne Druckerschwärze floss zu diesem Vorgang, der letztlich nur das festschrieb, was seit Langem der Fall war: Das Kloster unterstand der Herrschaft des Würzburger Bischofs, war kein adeliges Eigenkloster mehr (als das es gegründet worden war) und auch kein „Reichskloster“, was Neustadt gerne gewesen wäre (und was im Alltag keine Rolle gespielt hätte).
Wozu aber ein Kloster letztlich doch weit weg von größeren Siedlungen? Mit heutiger Rationalität lässt sich das nicht erklären. Entlegene Standorte, wie sie bei vielen Klöstern zu finden sind, sollen zum einen die Möglichkeit der Kontemplation stärken. Vor allem aber sind Klöster „Kulturinstitute“, denn Bildung ist auch in jenen Zeiten nötig. Man sollte nicht unterschätzen, dass Lesen, Rechnen und Schreiben für viele Berufe essentiell war, und öffentliche Schulen gab es nur in den größeren Städten. Wer etwas auf sich hielt und seinem Nachwuchs Aufstiegschancen verschaffen wollte, der schickte seine Kinder („natürlich“ nur die Jungen) zur Ausbildung ins Kloster.

Obwohl: es gab natürlich auch Frauenklöster, wobei man gerade bei diesen nicht immer weiß, wie beliebt das Leben dort war. Aber damit ist man wieder bei einem Problem, nämlich dem, dass wir Vieles nicht wissen. Klöster sind auch „Unterhaltungszentren“, beispielsweise durch die oft mit ihnen verbundenen Wallfahrten.
Der Mantel der heiligen Gertrud
Wofür man sich gegebenenfalls die notwendigen Heiligen und Wunder „besorgt“: In Neustadt steht dafür die heilige Gertrud von Nivelles, die im 7. Jahrhundert in Karlburg ein Kloster gegründet haben soll, flugs wird sie zur „fränkischen heiligen Gertrud“, zur Schwester Karls des Großen und zur Wohltäterin Neustadts. Das geschieht spätestens im 10. Jahrhundert. Man besorgt sich auch einen angeblich von ihr getragenen Mantel, der eine vortreffliche Reliquie abgab, aber nach neueren Forschungen mit Nivelles absolut nichts zu tun hat.

Die Klöster sind Wirtschaftszentren, dienen dem Warenaustausch. Die finanziellen Verhältnisse Neustadts waren im 11. Jahrhundert gut; man wundert sich, woher all das Geld kam, das zum Bau einer neuen, zweiten oder dritten großen Kirche nötig war. Die Kirche war (und ist) eigentlich überdimensioniert (vergleichbar mit dem später errichteten Kloster Bronnbach). Doch zum Lobe Gottes ist nichts zu groß, und außerdem ist ein Kirchenbau auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, der weitere Investitionen folgen.
Neustadt scheint sich jedoch zeitweise auch finanziell zu übernehmen, zumal einige Äbte ihr eigenes Wohlergehen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens gestellt zu haben scheinen. Die größte Problematik stellen aber die Vögte dar, zuerst die Herren von Grumbach, dann als deren Erben die Grafen von Rieneck. Um 1150 erbauen die Grumbacher die Burg Rothenfels, eindeutig auf Klostergrund, vielleicht auf der Basis einer älteren Anlage. Neustadt will dies verhindern oder ist wenigstens bemüht, sich den Vögten gegenüber zu behaupten.
Vögte stellen finanzielle Forderungen
Vögte sind bei geistlichen Institutionen überall wenig beliebt: Zwar versprechen sie Schutz, stellen aber dafür nicht geringe finanzielle Forderungen. Der Vergleich mit der Mafia ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen fälscht das Kloster dann auch eine Urkunde mit dem Datum 794 und behauptet, von Kaiser Karl gegründet worden zu sein.
1525 kommt der Bauernkrieg, das Kloster ist nur in geringem Maße betroffen. Dass die Bauern zu ein paar Plünderungen einen faktischen Grund hatten, sich durch das Kloster bedrückt fühlten, ist eher unwahrscheinlich. 1554 versucht der Abt Johannes Fries Neustadt im Sinne der evangelischen Lehre zu reformieren, wird aber durch Würzburg abgesetzt. Und Bischof Friedrich von Wirsberg macht 1558 kurzen Prozess und holt das gesamte Archiv in seine Bischofsstadt. Manches wird später zwar zurückgegeben, wenigstens in Abschrift, etliches ging jedoch verloren.

Doch insgesamt kann man die Quellensituation für Neustadt als relativ gut bezeichnen, wenigstens ab zirka 1300.Aber noch ging niemand her und schrieb eine Gesamtdarstellung der Klostergeschichte. Immerhin gibt es aber eine ganze Reihe von Aufsätzen.
Der 30-jährige Krieg trägt auch nicht zur Förderung der finanziellen Lage bei. Das Kloster versucht nochmals, sich von der Abhängigkeit von Würzburg zu befreien, wieder vergebens. Und dann schlägt die große Politik zu: In der Säkularisation wird das Kloster 1803 aufgelöst und dem Fürsten von Löwenstein-Wertheim-Rosenberg als Entschädigung für seine links des Rheins verlorenen Gebiete (Kriege deutscher Staaten mit Napoleon) übereignet. Neustadt hat zu dieser Zeit 19 Patres, mehr werden es in der Zeit davor auch selten gewesen sein.
Der Himmel meint es auch nicht gut mit: 1857 schlägt der Blitz in die Kirche ein, das Fürstenhaus lässt sie aber halbwegs originalgetreu wieder aufbauen und sorgt auch dafür, dass die Missionsdominikanerinnen der hl. Katharina von Siena von Oakford/Natal (Südafrika) 1909 Neustadt zum Sitz ihrer Fränkischen Provinz machen können, die heute jedoch einer ungewissen Zukunft entgegensieht.
Zum Autor: Dr. Theodor Ruf ist Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Lohr, er schrieb zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Region Main-Spessart. Seine Dissertation verfasste der Historiker über die „Die Grafen von Rieneck“.
Literatur: Die präziseste, aber nicht in allen Punkten haltbare Darstellung findet sich bei: Wendehorst, Alfred: Neustadt am Main. Germania Benedictina Band II/2: Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Bayern. Bearb. v. Michael Kaufmann, Helmut Flachenecker, Wolfgang Wüst und Manfred Heim. St. Ottilien 2014, S. 1417-1432
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.