Es gab damals weder einen Markt, noch irgendwelche Richtlinien für den ökologischen Landbau. Trotzdem stellte Theo Keidel 1958 seinen landwirtschaftlichen Betrieb in Gänheim auf Bio um. „Mit viel Mehrarbeit und Idealismus“, wie sein Sohn, Johannes Keidel, im Jahr 2013 ergänzt. Er ist auf dem, abgeschieden vom Dorf gelegenen Hof, groß geworden. Hat sowohl die Begeisterung des Vaters über die natürliche Selbsthilfe der Natur mitbekommen – als auch die Skepsis der Leute. „Wir waren ein wenig die Außenseiter“, erzählt der Landwirt.
Heute, 55 Jahre später, ist es eher umgekehrt. Nachhaltige Landwirtschaft ist längst in der Gesellschaft angekommen und weckt auch bei konventionellen Bauern echtes Interesse. Hieß es früher noch: Die verderben unsere Äcker mit ihrem Unkrautsamen, die der Wind von einem Acker auf den nächsten trägt, wird Johannes Keidel heute eher mal gefragt: Sag mal, wie funktioniert das genau bei dir? Wie bereits der Vater folgt er den Richtlinien des Demeter-Verbands. Hier gilt der Grundsatz, Lebensmittel zu erzeugen, die den menschlichen Bedürfnissen gerecht werden. Und so lautet Keidels Hofphilosophie: „Wie kann ich Lebensmittel anständig erzeugen, so dass sie der guten Ernährung dienen?“ Verbandsvorschriften helfen da seiner Meinung nach nicht unbedingt weiter. „Das Wichtigste ist, dass die eigene Einstellung passt und man selbst überzeugt ist“, sagt er.
So behalten zum Beispiel seine Kühe ihre Hörner, ohne dass der Landwirt Sorge hat, dass es zu Verletzungen kommt. Im Krankheitsfall werden die Tiere homöopathisch behandelt. Die Behandlung mit Antibiotika ist nach Demeter-Richtlinien begrenzt. Gefüttert werden die Tiere mit Heu und Mais-Silage von den eigenen Feldern, zudem stehen sie im Sommer auf der Weide. „Wir versuchen, die Kühe fast nur mit Grünfutter zu füttern“, erklärt Johannes Keidel. „Nur Silage das ganze Jahr über, das ist so, als ob der Mensch das ganze Jahr über nur Sauerkraut zu essen bekäme.“
Milch sowie seine Kühe verkauft er an die Erzeugergemeinschaft. Über diese kommen Fleisch und Milch über regionale Verkaufsstellen wie zum Beispiel tegut auf den Markt und letztlich zum Verbraucher. „Wir haben früher Milch und Käse auch direkt ab Hof verkauft, aber der Aufwand rentiert sich heute nicht mehr, weil es ,Bio' an jeder Ecke gibt“, sagt Johannes Keidel.
An die Saftindustrie verkauft der Landwirt Möhren und Rote Beete. Das Saatgut kommt von biologisch-dynamischen Züchtern. Dass es gentechnikfrei ist, ist klar. Schwerer aber sei es, von Hybrid-Züchtungen wegzukommen, so Keidel. Mit ihnen können zwar höhere Erträge erreicht und die Form zugunsten der industriellen Verarbeitung verbessert werden. Für den Landwirt bedeuten Hybrid-Pflanzen aber auch, dass das Saatgut jedes Jahr neu bezogen werden muss, denn der Züchtungs-Effekt hält nur eine Generation. „Wir sollten wieder dahin kommen, das Thema Saatgut nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Interessen zu sehen, sondern auch aus menschlichen“, sagt Johannes Keidel. „Sprich, dass Saatgut für jeden Menschen aus den eigenen Sorten nachziehbar ist – auch im Hinblick auf Drittländer.“
An Getreide hat der Bio-Landwirt Hafer, Dinkel, Weizen, aber auch exotischere Sorten wie zum Beispiel Buchweizen. „Immer mehr Menschen kommen mit den herkömmlichen Sorten nicht mehr klar“, begründet er.
„Auch der Konsument kann Verantwortung tragen und entscheiden, was er kauft und warum.“
Johannes Keidel Demeter-Landwirt aus Gänheim
Kommt er mal nicht mit seinen Bodenverhältnissen klar, wird es schwierig. Herrscht, wie zurzeit zum Beispiel, Schwefelmangel im Boden, versucht er, Pflanzen unterzusäen, die den Schwefeleintrag antreiben. In geringen Maßen sind auch Einträge pflanzlicher Dünger wie Rizinusschrot oder Hornspänen zur Nährstoffzufuhr von Stickstoff und Phosphat erlaubt.
So richtig gut findet der Landwirt die vielen Sondergenehmigungen im ökologischen Anbau aber nicht. „Es ist die Gefahr da, dass der ökologische Anbau immer mehr zulässt, erlaubt, um die Erträge zu steigern“, sagt er. Dabei soll doch idealerweise alles im Betriebskreislauf bleiben. Aber wo fängt man an? „Wir verfahren ja auch mit unseren Maschinen Diesel, den wir einkaufen“, so der Landwirt. Für ihn kann die Lösung immer nur in der eigenen Abwägung bestehen: Können wir das verantworten – oder können wir nicht?
Seiner Meinung nach ist im ökologischen Landbau heutzutage zu viel möglich. Zum Beispiel Teilumstellungen von Betrieben, die es gibt. Oder die Möglichkeit der Bio-Betriebe, Stroh, Gülle oder Mist aus dem konventionellen Bereich mitzunutzen. Keine Lösung sieht er in mehr Kontrollen. Er ist dafür, dass sowohl die Erzeuger als auch der Handel selbst in der Verantwortung stehen für das, was sie produzieren und in den Verkehr bringen. „In Deutschland werden in erster Linie die Kontrollstellen zur Rechenschaft gezogen“, erklärt Keidel. Und: „Wenn ein Lebensmittelhändler von heute auf morgen für alle seine Produkte verantwortlich wäre, stellt sich doch die Frage, wie viel Prozent seiner Ware stände morgen noch im Laden?“
Aber auch der Verbraucher ist seiner Meinung nach gefragt: Zum einen sollte dieser auch von staatlicher, neutraler Seite besser aufgeklärt werden, wie und wo seine Produkte entstanden sind. Zum anderen fordert der Landwirt von ihm nachdenklicheres Einkaufen. „Ich möchte dem Kunden nicht vorschreiben, was er kauft“, so Johannes Keidel. „Aber auch der Konsument kann Verantwortung tragen und entscheiden, was er kauft und warum.“