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Gemünden/Lohr: Kriegsbeginn 1914: Euphorie auf den Straßen in Lohr und Gemünden

Gemünden/Lohr

Kriegsbeginn 1914: Euphorie auf den Straßen in Lohr und Gemünden

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    Deutsche Reservisten auf dem Weg an die Westfront im August 1914. Der "Ausflug nach Paris", das nie eingenommen wurde, endete für viele tödlich.
    Deutsche Reservisten auf dem Weg an die Westfront im August 1914. Der "Ausflug nach Paris", das nie eingenommen wurde, endete für viele tödlich. Foto: Archiv Roland Flade

    Über das Jahr 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, schrieb der ehemalige Wernfelder Gastwirt und Bierbrauer Franz Hofmann (1872-1923) in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen: "Das Jahr setzte nach gutem Frühjahr gut ein. Geschäft hatte keine Klagen. Im Mai und Juni wurde die Straße zum Bahnhof bei sehr heißen Tagen ausgebaut und wurde viel Bier gebraucht." Der Krieg beginnt in den handschriftlichen Aufzeichnungen Hofmanns in einem Nebensatz: "Das Haus war bereits durch Juni und Juli voll besetzt mit Dauergästen, als am 31. Juli 1914 der allgemeine Krieg begann."

    Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde mit Erleichterung und Hurrarufen aufgenommen, auch in Gemünden und Lohr. Am Nachmittag des 1. August 1914, dem Tag, als Deutschland in den Krieg eintrat, bildeten sich in Erwartung des Mobilmachungsbefehls überall in der Stadt Grüppchen. Als die amtliche Kundgebung der Mobilisierung bekannt wurde, "atmete alles erleichtert von dem drückenden Alp auf", schrieb der "Gemündener Anzeiger" am 4. August.

    In Lohr löste die Mobilmachung laut Lohrer Zeitung Folgendes aus: "Ein noch nie gehörter Jubel durchbrauste unser sonst so stilles Städtchen. Ein nicht endenwollendes Hurrarufen brach sich an den Häuserreihen. Ganze Massen zogen, vaterländische Lieder singend, durch die Straßen."

    "Ein noch nie gehörter Jubel durchbrauste unser sonst so stilles Städtchen."

    Die Lohrer Zeitung über Kriegseuphorie in Lohr 1914

    Am Bahnhof und in der Bahnhofstraße in Gemünden herrschte an jenem Abend lebhafter Verkehr. Darunter befanden sich auch Ausländer, die heimwärts strebten. Bereits am 2. August, einem Sonntag, "eilten treudeutsche Männer, auch aus unserer Stadt, ihrem Stellungsorte zu". Der "Befreiungskrieg 1914" war natürlich überall Tagesgespräch. Der Autor des Artikels im Anzeiger sprach von einem "heiligen Kampfe", der die begeisterten Soldaten bei der Verteidigung von "Heim und Herd", der "deutschen Grenzen und der deutschen Kultur" erwarte.

    Engelbert Fella aus Weyersfeld (am Tisch links) spielt im Herbst 1914 mit anderen Verwundeten des Ersten Weltkriegs vor dem alten Spital in Gemünden Karten.
    Engelbert Fella aus Weyersfeld (am Tisch links) spielt im Herbst 1914 mit anderen Verwundeten des Ersten Weltkriegs vor dem alten Spital in Gemünden Karten. Foto: Repro: Hist. Verein Gemünden

    Auch die Kirchen waren patriotisch: Sowohl in der Gemündener Stadtpfarrkirche als auch in der evangelischen Kirche wurden Gottesdienste anlässlich der Mobilmachung abgehalten, in der Stadtpfarrkirche mit einer "herzerhebenden Ansprache" des Pfarrers. Von Lohr ging eine Prozession nach Mariabuchen, "zur Erflehung, daß unsere Krieger wieder gut nach Hause kommen". Später fanden in Gemünden Bittgottesdienst um einen glücklichen Ausgang des Krieges statt. Ein bischöflicher Hirtenbrief gestattete durch den Mangel an Arbeitskräften auch am Sonntag und an Mariä Himmelfahrt (15. August) Erntearbeiten.

    Die Angst vor Spionen war groß. Gleich am Tag der Mobilmachung untersagte der Gemündener Stadtrat, damals noch "Stadtmagistrat" genannt, das Fotografieren am Main und das "längere Verweilen am Bahnkörper". Auf Landesverrat standen hohe Strafen. Für die Bahn-, Telegrafen- und Telefonanlagen wurden von den Gemeinden Zivilschutzwachen aufgestellt, auch Wasserleitungen überwacht. Saboteure waren auf der Stelle zu erschießen. Dass solche Schutzwache nicht ungefährlich war, konnte man am 18. August lesen: Der Gambacher Bahnschutzwächter Nikolaus Ammersbach ist einen Tag zuvor morgens um 5 Uhr von einem durchfahrenden Militärzug erfasst und lebensgefährlich verletzt worden.

    Auf dem Main brach der Schiffsverkehr in den ersten Wochen der Mobilmachung fast ganz zusammen. Beim Aufmarsch der deutschen Truppen beunruhigten offenbar "viele Flieger". Man vermutete, dass feindliche Luftfahrzeuge "in den unbewohnten Höhen des Spessarts und der Rhön Stützpunkte haben". Die benachbarten Einwohner sollten sich mit "Dreschflegeln und sonstigen Waffen" ausrüsten und solche Plätze überwachen. "Ertappte Flieger sind unschädlich zu machen; die Flugzeuge nicht." Jedes Flugzeug sei als feindlich anzusehen, so eine Bekanntmachung des Bezirksamts Gemünden vom 6. August.

    Waffengebrauch ist gestattet

    An Straßen rund um Gemünden wurden aus Angst vor feindlichen Automobilen Straßensperren errichtet. Sollte ein Spion erwischt werden: "Waffengebrauch ist gestattet". Eine Woche später wurde aber schon dazu aufgerufen, nicht mehr auf Flieger zu schießen und keine Autos mehr aufzuhalten. Das Bezirksamt Gemünden verbot das Ausführen von Pferden in andere Verwaltungsbezirke oder Ortschaften. Damit die an die Front fahrenden Soldaten sich nicht betranken, war es in den ersten Tagen der Mobilmachung untersagt, Alkoholika an öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen zu verkaufen. Der Bahnverkehr wurde während der Mobilmachung fast gänzlich auf militärische Zwecke beschränkt. Es wurde dazu aufgerufen, nicht ohne Grund zu telefonieren, weil durch den Andrang Störungen eintraten.

    Das Lohrer Spital mit dem Lazarettpersonal und verwundeten Soldaten im Jahr 1915.
    Das Lohrer Spital mit dem Lazarettpersonal und verwundeten Soldaten im Jahr 1915. Foto: Repro: Eduard Stenger

    Die Presse sollte bei Veröffentlichungen aus Feldpostbriefen oder -karten keine Zeit- oder Ortsangabe machen, außerdem die Nennung des Truppenteils oder der Kommandobehörde unterlassen. Da Lebensmittel mancherorts offenbar zu "völlig unangemessenen Preisen" verhökert wurden, warnte das Bezirksamt Geschäftsleute und Händler vor Wucher. Jedem Geschäft drohte in diesem Fall und bei der Weigerung, Papiergeld anzunehmen, die Schließung.

    Der Gemündener Frauenverein des Roten Kreuzes rief "patriotisch gesinnte Frauen und Mädchen" zum Beitritt und zur Bereitstellung von Wäsche und Verbandszeug für verwundete Krieger auf. Das "Ortskomitee für Lazarettangelegenheiten" zum Ausbau des örtlichen Lazaretts sowie ebenfalls zu Sach- und Geldspenden. Anfang September war das Lazarett mit 50 Betten eingerichtet. In Lohr folgten viele Frauen "aus allen Schichten" dem kriegsbedingten Aufruf zur Teilnahme an einem 14-tägigen Sanitätskurs.

    "Wir Bayern sind noch voll Humor und denken oft zurück an Lohr."

    Text auf einer Feldpostkarte

    In der Zeitung standen Ratschläge für Bauern bzw. deren Familien, etwa dass Milchkühe und Hennen nicht geschlachtet werden sollen, oder dass weniger Gerste angebaut werden solle, da mit einem Rückgang des Bierverbrauchs zu rechnen sei. Es wurde in der Presse auch kritisch angemerkt, dass französische Kriegsgefangene auf dem Transport ins Innere Deutschlands mit Jubel und Gaben begrüßt wurden, insbesondere von Frauen. "Es entspricht keineswegs dem deutschen Empfinden, diesen Leuten besondere Ovationen und Gaben darzubringen", stand am 18. August zu lesen. Deutsche Kriegsgefangene würden im Ausland auch nicht so begrüßt.

    Mit Begeisterung waren auch die ersten Lohrer und Gemündener Soldaten in den Weltkrieg gezogen. Euphorische Lohrer Soldaten sandten mittels Feldpostkarte die herzlichsten Grüße "auf dem Spaziergang nach Paris". Im Gemündener Anzeiger war zu lesen, dass am 21. November 1914 ein mit grünem Laub geschmückter Truppenzug mit der humorvollen Aufschrift "Brückenbau-Kompagnie Calais-Dover" durch Gemünden fuhr. Auch der Text einer weiteren Feldpostkarte von sechs Lohrer Soldaten wurde abgedruckt: "Wir Bayern sind noch voll Humor und denken oft zurück an Lohr." Die Lohrer dankten damit für die Sendung einer zwei Meter langen Hartwurst.

    Der Wernfelder Franz Hofmann (rechts) machte im Ersten Weltkrieg Aufzeichnungen.
    Der Wernfelder Franz Hofmann (rechts) machte im Ersten Weltkrieg Aufzeichnungen. Foto: Repro Peter Hofmann

    Der ehemalige Wernfelder Gastwirt Hofmann schrieb über den Beginn des Krieges: "Das Haus wurde sofort leer, alles ist ausgerissen und das Geschäft hatte einen sehr langsamen Gang. Fremde gab es fast gar nicht mehr, der Ort ist halb tot. Viele Ortsbewohner sind zum Kriege nach Frankreich und Belgien."

    Am 13. August stand im Gemündener Anzeiger die Mitteilung, dass der königliche Eisenbahnsekretär Clemens sieben Söhne und einen Schwiegersohn im Feld habe. Doch bald sollte der Krieg in Frankreich die Heimat in Form von Verwundeten und Gefallenen erreichen. Am 19. September vermeldete der Anzeiger: "Vergangenen Donnerstag trafen dahier die ersten Lazarettschiffe mit Verwundeten ein." Die drei Schiffe kamen aus Straßburg und wurden von Aschaffenburg mit einem Schlepper nach Gemünden gezogen. Unterwegs wurden die Verwundeten verteilt. Gemünden bekam 35 Verletzte zugewiesen. Auch mit dem Zug wurden verwundete Soldaten nach Gemünden gebracht.

    Zur Vorbereitung auf die Front rief der Turnverein Gemünden Ende Oktober 1914 junge Männer ab 16 "ohne Unterschied des Standes" zur militärischen Jugenderziehung. Ein Wehrkraftverein wurde gegründet, zu dem sich die jungen Leute melden sollten. Bis zum 21. November meldeten sich 19 junge Männer. Das Ziel: "Durch die Übungen soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Einübungs- und Abrichtungszeit der Rekruten für den Notfall möglichst abzukürzen."

    Die Gemündener Bavaria-Drogerie hatte extra fertige Feldpostpäckchen mit "Liebesgaben an unsere Truppen im Felde" wie Zigarren, Zigaretten, Schokolade und Erfrischungsbonbons im Sortiment. Außerdem: Päckchen mit Tubennahrung, darunter Sardellenbutter, Kondensmilch und Fleischpaste in der Tube. Hierzu "Kaffee-Essenz mit kaltem Wasser vermischt durstlöschenden Trunk".

    "Anfang November 1914 war der Krieg noch in vollem Gange und bereits einige Wernfelder Bürger tot und vermisst."

    Franz Hofmann, Wernfelder Gastwirt und Brauer

    Gastwirt Hofmann notierte: "Anfang November 1914 war der Krieg noch in vollem Gange und bereits einige Wernfelder Bürger tot und vermisst." Während selbst kleinere Orte gleich zu Beginn schon mehrere Gefallene zu beklagen hatten, war das erste Gemündener Opfer der Reservist Oskar Fischer, der am 30. September in Nordfrankreich fiel.

    Aber die Dreiflüssestadt hatte bald auch ein recht prominentes Opfer zu beklagen: den Sohn des Bürgermeisters Adalbert Holzemer. Am 20. Oktober erst hatte der Anzeiger berichtet, dass Josef Holzemer das Eiserne Kreuz verliehen bekommen hatte. Doch der Richtkanonier konnte sich dessen nicht lange erfreuen. Denn am 10. November vermeldete der Anzeiger: "Durch einen Granatschuß hat derselbe vor acht Tagen in Nordfrankreich den Heldentod gefunden." Er habe bei einem Angriff noch zuletzt als Einziger das Geschütz bedient, während um ihn herum alle Kameraden bereits tot oder verwundet waren.

    Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

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