In der steilen Lehmwand entlang des Wanderweges klafft bedrohlich ein Loch. Wie ein fauler Zahn brach in etwa neun Meter Höhe - nahe der so genannten
bei Großosteim (Lkr Aschaffenburg) - am Donnerstag ein mächtiger Steinbrocken heraus. Er stürzte auf den Wanderweg hinunter, überrollte ein fünfjähriges Mädchen, das zufällig genau in dem Moment dort entlanglief.
Die Fünfjährige - die zu einer 14köpfigen Gruppe von Kindergartenkindern gehörte, starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Notfallseelsorger kümmerten sich um die Kinder und die zwei Erzieherinnen, die weggebracht wurden.
Am Tag darauf ist die Betroffenheit in Großostheim mit Händen zu greifen. Gemeindearbeiter haben den Unfallort nahe der Reithalle im Süden der Bachgaugemeinde gesperrt. Fast unscheinbar liegt der zerbrochene Felsbrocken am Rand des Waldweges, der ursprünglich etwa zwei auf zwei Meter maß.
Im Ort ist der Unfall Tagesgespräch beim Bäcker, an der Tankstelle und vor dem Rathaus, wo ein Dutzend Journalisten nach Antworten sucht. Auch Gerhard Eck, Staatssekretär im Innenministerium, macht sich vor Ort ein Bild und drückt den Eltern des toten Mädchens sein Mitgefühl aus.
"Die Ermittlungen laufen auf Hochtoren," sagt Michael Zimmer, Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken. Zur Unfallursache kann er noch nichts sagen. "Im Moment sammeln wir noch Fakten," sagt er auf Nachfrage. "Dann ist es Sache der Staatsanwaltschaft, das strafrechtlich zu bewerten." Die bis zu vier Meter tiefe Sprenkelhöhle ist Bestandteil des Kulturwegs "Früchte des Löss" des Archäologischen Spessartprojekts. Es gibt Hinweistafeln auf die Geschichte, aber keine Warnhinweise auf Gefahren - weil bisher allenfalls einmal kleinere Gesteinsrocken dort hinabfielen.
In dem Gebiet am Rande von Großostheim sind häufig Wanderer unterwegs, auch Kinder spielen dort. Die Kindergartengruppe fühlte sich dort sicher, sie hatte sich im Rahmen von "Waldwochen" dort bereits seit Tagen aufgehalten - an diesem Morgen seit Stunden. Die Kinder "hatten sich über Mittag an einem in der Nähe aufgestellten Bauwagen aufgehalten und waren dort betreut worden," weiß Polizeisprecher Zimmer.
"So etwas ist in der Größe an dieser Stelle noch nie passiert," sagt der stellvertretende Bürgermeister Kurt Geiß vor 15 Journalisten am Freitag. "Ein derartiges Steilwand-Versagen haben wir noch nie gehabt," sagt auch Geschäftsstellen-Leiter Alexander Schaad, der oft auf diesem Weg gewandert ist. Er betont, der Weg durch den Wald entlang der Lehmwand sei erst im April kontrolliert worden. Er werde regelmäßig begangen, auch die Erzieherinnen hätten im Vorfeld des Ausfluges den Weg kontrolliert.
Auf Nachfrage bestätigt Schaad aber, dass "zur Druckentlastung" an der Oberkante der für diese Region typischen Lehmwand in der Vergangenheit Bäume gefällt wurden, um zu verhindern, dass sie im Winter unter der Schneelast samt dem Erdreich hinabfallen. Eine Geologin wurde mit einer Untersuchung des Unfallortes beauftragt. Sie machte sich bereits am Donnerstagabend ein Bild am Unfallort. "Insbesondere von ihren Ergebnissen erhoffen sich die Ermittler Fakten, warum sich ein Teil der Lehmsteinwand gelöst hat," sagt Polizeisprecher Zimmer.
Horst Przybilski ist Koordinator für die Kinderbetreuung. Er bestätigte, dass nicht alle der ursprünglich 22 Kinder der Gruppe an dem Ausflug teilgenommen hatten. Die meisten der 14 Kinder, die bei dem Unfall dabei waren, kamen auch am Freitag in den Kindergarten. Sie wurden in einem eigenen Raum von Notfallseelsorgern betreut.
Vertreter der Gemeinde attestieren den Kindergärtnerinnen, richtig reagiert zu haben. Eine hinzugerufenen Kindergärtnerin brachte die anderen Kinder umgehend zurück in den Kindergarten.
Um die beiden Erzieherinnen kümmerte sich zunächst zwei Notfallseelsorger. Die Eltern des getöteten Mädchens waren von Notfallseelsorgern der Klinik betreut worden. Ein Bild des verstorbenen Kindes ist in einer Ecke des Kindergartens aufgestellt.
Am Morgen nach dem Unglück war die Situation im Kindergarten gedrückt. Vier Notfallseelsorger unterstützten die Erzieherinnen bei der Bewältigung der Situation. "Manche Eltern haben geweint, andere haben sich gegenseitig unterstützt," berichtete Pfarrer Kolb.
Auf Nachfrage erklärte er: "Kinder in diesem Alter erleben die Situation noch nicht in ihrer ganzen Dramatik, weil sie noch nicht voll erfassen können, was da passiert ist. Das ist bei älteren Kindern - und natürlich den Eltern - anders." Wichtig sei jetzt, die betroffenen Kinder rasch zur Normalität zurückzuführen. "Die Eltern sollten nichts dramatisieren, sondern versuchen, ihren Kindern einen normalen Tagesablauf zu bieten."
Am Dienstag will man in der Gemeinderatssitzung in Großostheim darüber beraten, ob der Weg gesperrt bleibt oder nach dem Ende der Ermittlungen wieder geöffnet werden kann. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg wird die Leiche des Kindes am Montag obduziert, um weitere Aufschlüsse über den Unglückshergang zu bekommen.