Im August wurde ein Mann 70 Jahre alt, der Marktheidenfelds Gastlichkeit seit Jahrzehnten mitprägt. Seinen Geburtstag verbrachte Hermann Kerscher allerdings nicht am Main. Er feierte im Kreis von lieb gewonnenen Kollegen in der Schweiz. Sieben Köche stellten für den früheren Sternekoch ein siebengängiges Menü zusammen, ein Gang für jedes Lebensjahrzehnt. „Das war einfach schön“, meint der Jubilar.
Inzwischen ist Hermann Kerscher in seine Küche in der Marktheidenfelder „Franck-Stube“ zurückgekehrt. Dort kann man ihn schon am frühen Morgen treffen. „Routinearbeit“, sagt der Koch. In vier großen Töpfen köcheln verschiedene Fonds vor sich hin, Grundlagen für die raffiniertesten Saucen.
Mit 70 Jahren arbeitet er noch beinahe tägliche in der Küche, wenn auch gemeinsam mit Tochter Petra. Währenddessen reibt sich die Gesellschaft über das Thema Rente mit 67 Jahren auf. – „Warum nicht arbeiten?“, fragt Kerscher. „Ich habe jeden Tag Spaß an meinem Beruf. Wenn das nicht so wäre, würde ich es ganz schnell bleiben lassen.“
Fränkische Klöße
1984 erschien ein großes Buch über Deutschlands Meisterköche mit Kollegen wie Heinz Winkler oder Harald Wohlfahrt. „Fränkische Klöße“ waren Kerschers Thema darin mit Rezepten wie „Rehrücken mit Pflaumenklößen und Pflaumenkraut“ oder „Hefeklößen in Weinschaumsauce“. Oft kann man, gerade wenn man sich im Raum Rhein-Main bei irgendjemandem vorstellt, hören: „So, aus Marktheidenfeld kommen Sie? Das kenne ich. Gibt es eigentlich dort noch den Hermann Kerscher mit seinem Weinhaus?“
Ja, den Hermann Kerscher gibt es noch – sein „Weinhaus Anker“, das rund zweieinhalb Jahrzehnte einen Stern im „Guide Michelin“ trug, hat er allerdings im Jahr 2000 abgegeben. Er wollte eigentlich mit 60 Jahren in den Ruhestand. Bald erkannte er, dass ihn das nicht zufriedenstellte. Als Tochter Petra im Jahr 2002 in Marktheidenfeld die „Franck-Stube“ übernahm, stieg er mit Begeisterung wieder voll in die Küche mit ein.
Heute kocht der Küchenchef etwas anders. Die „Franck-Stube“ lässt schon von ihrer Größe her das einstige Spitzenniveau nicht mehr zu. „Überlegen Sie mal, in Spitzenzeiten hatte ich 400 Posten allein auf der Getränkekarte, darunter die erlesensten Weine aus Franken“, sagt Kerscher. Dennoch gibt es natürlich enge Bezüge zu dem, was er früher in der Küche bot. „Frankophil“, habe ein Kritiker seine Kochkunst einmal genannt und das stimme im doppelten Sinn. Das Wort weise ja zugleich nach Frankreich und nach Franken.
Absolute Natürlichkeit, Frische und Regionalität seien Kriterien seiner Arbeit, die für den Kunden jeden Tag sonntäglich zu sein habe. Während man früher zweimal in der Woche nach Frankfurt fahren musste, um Grundstoffe für die gehobene Küche zu bekommen, finde man heute nahezu alles in der Region.
Trüffel aus Uettingen
„Wer weiß schon, dass man in Uettingen Trüffel bekommen kann?“, fragt Kerscher begeistert. Er hat seine Zulieferer vor Ort. In Trennfeld kauft er natürlich produziertes und geschlachtetes Fleisch; das sei absolute Vertrauenssache. Marktheidenfelder Fischer könnten heute beste Flussfischqualitäten bis hin zu Krebsen anbieten. Wild liefert die heimische Jägerschaft und Lamm ist auch in der Region vorhanden.
Eines könne er absolut nicht ausstehen, meint Kerscher: „Mehl in der Sauce, da habe ich schon gegessen, wenn ich das schmecken muss. Und was mir nicht schmeckt, das biete ich auch keinem anderen an.“
Der Küchenchef bereitet seine raffinierten Würzmischungen selbst zu und frische Kräuter seien im Grunde eine wesentliche Entdeckung in seinem Leben als Koch gewesen. Im Westentaschenpark am Franck-Haus hat er ein paar Beete angelegt.
Verändert habe sich über die Jahre die ganze Szene. Kerscher erinnert daran, dass in Bettingen mit der Brüdern Jörg und Dieter Müller in den „Schweizer Stuben“ ein weiterer Sterne-Betrieb gleichzeitig erfolgreich war. „Das war gesunde Konkurrenz. Zwar Konkurrenz, aber wir haben uns auch gerne gegenseitig geholfen und schätzen uns auch heute noch.“
Kerscher hat einen neuen Trend ausgemacht: Nicht nur die „Großkopferten“, sondern auch normale Menschen entdeckten den Genuss aus der Küche. Manche Menschen leisteten sich bewusst vielleicht weniger Besuche im alltäglichen Gasthaus und seien bereit, für Qualität dann auch angemessen zu bezahlen.
Der Guide Michelin
Renommierte Restaurantführer gibt es viele, etwa den „Guide Gault-Millau“ oder den „Feinschmecker Guide“. Die Bibel der Gourmets bleibt jedoch der „Guide Michelin“, dessen Sterne-Kategorien als eine internationale Bestenliste der Köche interpretiert wird.
1926 vergab der eigentliche Reise- und Werkstattführer Guide Michelin erstmals in Frankreich Sterne für eine gute Küche. Bald folgte man dem System: ein Stern – „verdient besondere Beachtung“; zwei Sterne – „eine hervorragende Küche: verdient einen Umweg“ sowie drei Sterne – „eine der besten Küchen, ist eine Reise wert“.
Seit 1964 erscheint eine deutschsprachige Ausgabe des Gastronomie-Führers mit rotem Einband. Die deutsche Redaktion sitzt in Landau in der Pfalz. Zur Bewertung werden europaweit und grenzüberschreitend 85 Kritiker eingesetzt.
Kriterien sind die gleichbleibende Qualität von Zutaten und deren Frische, eine fachgerechte Zubereitung, die Harmonie im Geschmack sowie die Einzigartigkeit und Innovation der Gerichte, welche die Kreativität und die persönliche Note des Kochs spiegeln sollen. So werden etwa 3800 Restaurants und 5000 Hotels im Schnitt alle 18 Monate besucht. Ausgezeichnete Restaurants werden häufiger aufgesucht. Dies führt zu etwa 1500 Empfehlungen.
Die Ausgabe 2010 verzeichnet in Deutschland neun Restaurants mit drei Sternen, 15 mit zwei Sternen und 184 Restaurants mit einem Stern. Die bekannten Fernsehköche Alexander Hermann, Johann Lafer, Kolja Kleeberg, Vincent Klink, Mario Kotaska, Cornelia Poletto, Christian Rach, Frank Rosin und Alfons Schuhbeck sind mit ihren Restaurants allesamt mit einem Stern im „Guide Michelin“ verzeichnet.
Hermann Kerscher
Vor 70 Jahren wurde Hermann Kerscher im Berchtesgadener Land geboren. Er stammt aus einer Metzgerei mit Gastwirtschaft und absolvierte eine Kochausbildung in Bad Reichenhall sowie die Hotelfachschule in München. Dort arbeitete er im Hotel „Vier Jahreszeiten“ und machte Stationen in allen Sparten des Kochberufs in der Schweiz, im Elsass, in Baden-Baden sowie im renommierten „Breidenbacher Hof“ in Düsseldorf, unter dessen Leitung damals auch das Bundesgästehaus auf dem Petersberg bei Bonn stand.
An das „Weinhaus Anker“ der Familie Deppisch in Marktheidenfeld wechselte Kerscher 1967 als Küchenchef. Drei Jahre später übernahm er das Haus eigenständig und führte es bis zum Jahr 2000.
Kerschers Frau Sabine ist ausgebildete Hotelfachfrau und war immer in seinem Betrieb tätig. Tochter Petra ist ebenso ausgebildete Hotelfachfrau und Köchin. Sie arbeitete ebenfalls schon im „Weinhaus Anker“ mit ihrem Vater zusammen.
Unvergessen ist auch der langjährige und früh verstorbene Service-Chef des „Ankers“, Rainer Schmidt, dessen Frau Christa noch heute im Service der „Franck-Stube“ mithilft.
Der Golfclub Main-Spessart in Eichenfürst zählt Hermann Kerscher zu seinen Gründungsvätern.