Nur etwa 500 Meter sind es vom Stall bis auf die Weide. Doch beim alljährlichen Viehauftrieb brauchen Volker Engelhard und seine Helfer für diese kurze Strecke viel Zeit – und dazu Geduld und Muskelkraft. Am Mittwoch hat Engelhard – der einzige Metzger aus Karbach, der noch selbst schlachtet – zehn Rinder auf die grüne Wiese in der „Breit“ gebracht.
In diesem Jahr fand der „Umzug“ verhältnismäßig spät statt. Ende Mai sind die Tiere normalerweise längst draußen im Freien. Doch wegen des wenig frühlingshaften Wetters blieben sie diesmal länger im warmen Stall. Bis Oktober werden sie nun auf der idyllischen Weide grasen, an der der Karbach vorbeiplätschert – dann geht es auf dem gleichen Weg zurück auf den Hof der Engelhards.
Im Vergleich zu früher tun sich Landwirte heute beim Viehtransport deutlich leichter. So haben sich die Engelhards vor zwei Jahren einen „Treibwagen“ gebaut. Das ist ein mobiler Pferch, also eine Umzäunung auf zwei Rädern, die ganz langsam von einem Traktor gezogen wird. Da es keinen Boden gibt, sind die Tiere gezwungen, sich zu bewegen und mitzulaufen.
Als Volker Engelhard am Mittwoch den Bulldog über den schmalen, asphaltierten Feldweg fuhr, passten rings um den „Treibwagen“ mehrere Familienmitglieder auf, dass sich keines der Rinder verletzt. Wenn ein Tier sich allzu sehr sträubte, bekam es mit einem Stock aus Holz einen kräftigen Klaps aufs Hinterteil. Bei der Aktion dabei waren Engelhards Vater Gottfried, die Kinder Patrick und Elina, deren Cousine Lorena Röhrig mit ihrer Mutter Susanne sowie Lauri, der Sohn von Volkers Bruder Dirk Engelhard. Alles lief reibungslos, die Vierbeiner kamen wohlbehalten auf der Weide an.
Pro Jahr schlachtet Volker Engelhard vier bis fünf Rinder. Wegen der EU-Auflagen macht er das aber nicht in Karbach, sondern bei seinem Arbeitgeber, der Metzgerei Fertig in Oberndorf, wo er zweieinhalb Tage pro Woche tätig ist. Die restliche Zeit verbringt Engelhard in seinem Betrieb und in der Landwirtschaft. Zerlegt und weiterverarbeitet werden die Tiere dann auch wieder in Karbach.
Seine Schweine schlachtet Engelhard zu Hause in „Karwi“, im Schnitt zwei Stück pro Woche. Die Wurst und das Fleisch gibt es dann im familieneigenen Hofladen oder in der gleichnamigen Gastwirtschaft von Dirk Engelhard. Die jungen Ferkel kommen aus der Zucht von Franz Knüttel (Rettersheim), also aus der Region. Gleiches gilt für die Rinder.
Wie zeitraubend und nervenaufreibend der Tiertransport für die Landwirte vor einigen Jahrzehnten gewesen ist, belegt ein Foto, das Main-Post-Mitarbeiter Josef Laudenbacher in seinem Privatarchiv gefunden hat (siehe unten). Das Bild stammt aus dem Jahr 1969 und zeigt, wie ein Rind in Karbach zur Gemeindewaage geführt wird. Es entstand an der Kreuzung Hauptstraße/Marktheidenfelder Straße, im Hintergrund ist das Gasthaus „Stern“ zu sehen.
Mit vereinten Kräften versuchen gleich mehrere Männer, dem störrischen Vieh Beine zu machen. Just in dem Augenblick, als Fotograf Laudenbacher auf den Auslöser drückt, verpasst Landwirt Eduard May dem Tier einen Tritt dorthin, wo es am meisten wehtut. Auf diese etwas unkonventionelle Weise wurden widerspenstige Rinder seinerzeit wieder zum Laufen gebracht. Ganz offensichtlich schien das Tier auf dem Bild zu ahnen, welches Schicksal ihm blüht: Denn nach dem Wiegen war es meist nicht mehr weit bis zum Schlachter.