Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Gemünden
Icon Pfeil nach unten

GEMÜNDEN: Mit Seifenspiritus fing alles an

GEMÜNDEN

Mit Seifenspiritus fing alles an

    • |
    • |

    Die Alte Apotheke im 1845 erbauten Haus am Übergang der Obertorstraße in die Bahnhofstraße wird in diesem Jahr 200 Jahre alt. Viele solcher traditionsreicher, renovierter Gebäude gibt es in Gemünden nicht. Stolz zeigt Konrad Götz das erste in der Stadt vom Oberwundarzt Dr. Weber ausgestellte Rezept. Darauf ist ein Seifenspiritus verschrieben, wie er damals bei Hautkrankheiten angewandt wurde. Interessant ist auch der Rezeptzettel von Dr. Full aus dem Jahr 1906, auf dem er einen Hustensaft verschrieben hat. Wie man erkennen kann, hatte er schon eine Telefonnummer.

    Der Heimatforscher Dr. Philipp Seltsam begab sich in den 1950er und 1960er Jahren auf die Suche nach den Wurzeln des Apothekerwesens in der Dreiflüssestadt. So entdeckte er im Staatsarchiv in Würzburg den Antrag des Inhabers der Würzburger Löwen-Apotheke, Jacob Wiskemann, auf Gründung einer Filiale. Man schrieb das Jahr 1809, in dem Europa an den Wirren der Napoleonischen Kriege litt und die fürstbischöfliche Herrschaft in Würzburg zu Ende war. Großherzog Ferdinand von Toskana gab von Napoleons Gnaden ein wenige Jahre dauerndes Gastspiel als Regent in Mainfranken.

    „Wird empfohlen, in Gemünden eine Apotheke zu errichten, wo viele Fremde durchreisen und der Ort selbst 1200 Seelen hat.“

    Bescheid der Regierung vom 24. Juli 1809

    Seine Beamten offerierten Wiskemann, eine Apotheke in Wolfsmünster zu gründen, wohl unter dem Einfluss des Juliusspitals, das in diesem Distrikt das Sagen hatte. Weil er sich in Gemünden mehr geschäftlichen Erfolg erhoffte, beantragte er die Filiale in Gemünden anzusiedeln. Die Regierung beschied am 24. Juli 1809 folgendermaßen: „Weil Wolfsmünster zu ungünstig gelegen, wird empfohlen, in Gemünden eine Apotheke zu errichten, wo viele Fremde durchreisen und der Ort selbst 1200 Seelen hat.“

    Danach suchte der neue Apotheker einen „Provisor“, einen Filialleiter. Der Bewerber Georg Ludwig Faber aus Gießen, seit 1787 im Apothekendienst tätig, musste sich noch einmal einem Examen bei den Medizinalräten Biebel und Horst in Würzburg unterziehen, bevor er „im Beisein des Distriktphysikus (Distriktarztes) als Provisor verpflichtet wurde“, wie in den Aufzeichnungen zu lesen ist. Faber verwaltete zwei Jahre lang die Apotheke. Ihm folgten viele Pharmazeuten.

    Schließlich wurde die Apotheke 1816 mit dem Schwiegersohn Wiskemanns, dem Apotheker Kurz aus Lohr, selbstständig und ging 1821 in dessen Besitz über. Georg Anton Kurz war ein vielseitiger und unternehmungslustiger Mann. Er war Pharmazeut, Chemiker und Zuckerfabrikant, dazu Kommunalpolitiker und Bürgermeister von Lohr. Im zwischen Gemünden und Wernfeld gelegenen ehemaligen Zollhaus Zwing richtete er ein Laboratorium ein und baute in Lohr eine Zuckerfabrik. Er starb 1837 und gilt als Mitbegründer der deutschen Zuckerindustrie.

    Ihm folgte 1830 sein Sohn Jacob, dessen Nachfolger wiederum war drei Jahre später der aus Barten-stein in Württemberg stammende Schwager Karl Theodor Christin. Er übernahm die Apotheke und führte sie 36 Jahre lang bis 1869. Zuvor hatte er den Standort vom Häuschen in der Plattnersgasse, das heute die „Pizzeria Piccolo“ beherbergt, in den stattlichen Bau in der Bahnhofstraße 3, außerhalb der Stadtmauern gelegt.

    Nach dem Tode Christins, der auch vier Jahre lang als Bürgermeister amtierte, sorgte sich zunächst Eduard Steinheimer, ein Bamberger Jude, um die medizinische Versorgung, bis schließlich Christins Sohn Otto die „Befähigung zum selbstständigen Betriebe“ erlangte. Otto Christin war eine herausragende Persönlichkeit in der Gemündener Stadtgeschichte. 1883 übernahm er als 36-jähriger Mann die Alte Apotheke. Er gehörte über fünf Jahre dem Magistrat an und leitete danach 25 Jahre lang als Bürgermeister die Geschicke der Stadt.

    An der Wende zum 20. Jahrhundert habe er sich als „ausgewiesener Idealist“ unter anderem durch die Errichtung der Wasserleitung aus dem Sindersbachtal und die Gründung der Sanitätskolonne große Verdienste erworben, bemerkt Seltsam in seinen Aufzeichnungen.

    Von den Erben Otto Christins kaufte 1930 Alfred Ihne das Haus und seit 1950 betreute dessen Tochter Charlotte mit ihrem vor Kurzem verstorbenen Ehemann Friedemann Macher die Kundschaft. Macher war als Freie-Wähler-Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister kommunalpolitisch wie gesellschaftlich engagiert und war Ehrenbürger der Stadt.

    Vor 20 Jahren übernahm die Familie Götz die Alte Apotheke, die ihren ursprünglichen Charakter bewahrt hat und gewissermaßen ein Stück Gemündener Kultur und Stadtgeschichte repräsentiert. Apotheker und Stadtrat Konrad Götz hat sich mit seinem Team zum runden Geburtstag einige Überraschungen ausgedacht.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden