Im Dezember lag die Nautilia quer auf dem Main bei Karlstadt, im Januar die Atoll. Und dann kollidierte im Februar ein Bagger auf einem Arbeitsschiff mit einem Fußsteg über der Schleuse Himmelstadt. So viele größere Einsätze hatte das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Main (WSA) in der Gegend seit Jahren nicht gesehen. Sebastian Roger, Bauingenieur und Fachbereichsleiter Schifffahrt beim WSA, klärt auf, welche Auswirkungen Havarien haben können – und wie teuer das Ganze werden kann. Er sagt: Generell sei Schifffahren mehr wie Skateboardfahren als Autofahren.
Was kann Havarien verursachen?
Im Grunde gebe es nur zwei große Faktoren für die Entstehung von Havarien, so Roger. Einmal das technische Versagen, meist am Ruder oder am Bugstrahl. Beides ist für den Antrieb und teils für die Steuerung nötig. Theoretisch könne auch an einer Anlage des WSA ein Schaden vorliegen, etwa an einem Signal. Eine Havarie aus diesem Grund ist Roger aber nicht bekannt. Der zweite Faktor sei der Mensch, also eine falsche Einschätzung einer Situation oder ein "nautischer Fehler".

Haben Schiffe Assistenzsysteme, die Havarien verhindern helfen?
"Ganz vergleichbar mit dem Auto nicht", sagt Roger. Auf einer Art Radarbild ist beispielsweise die Fahrrinne erkennbar. Per Funk können entgegenkommende Schiffe oder Brücken bestimmt werden. "So etwas wie Autopilot oder autonomes Fahren, das ist noch in der Entwicklung." Einen sogenannten Spurhalteassistenten gebe es bereits, den hätten aber lange nicht alle Schiffe. Im Einsatz sind außerdem computergestützte Flusskarten, GPS, Videosysteme und Echolote.

Wie häufig ereignen sich Havarien im Bereich Main-Spessart?
Aus der Unfallstatistik auf dem Main im Bereich Karlstadt hat Roger die Zahlen bis zurück ins Jahr 2000 herausgesucht. Etwa ein Drittel der Unfälle sei in Zusammenhang mit Schleusen passiert, 17 Prozent durch Schäden am Schiff selbst, 15 Prozent mit Bojen, also "Fahrrinnenkennzeichen". Schiffskollisionen machen nur acht Prozent aus, Festfahren auf Grund 13 Prozent. Die Zahl der Unfälle ging stetig zurück: Im Bereich Main-Spessart sind es zwischen 2000 und 2010 pro Jahr rund 15 Unfälle gewesen, in den Jahren danach rund zehn, seit 2020 weniger als fünf.
Die beiden jüngsten Havarien passierten am Hafen des Zementwerks Schwenk. Befindet sich dort eine besonders schwierige Stelle?
Will ein Schiff rückwärts aus dem Schwenkhafen fahren, muss es dort mit Vollgas raus. Aus einem solchen seitlichen Hafenbecken komme ein Schiff sozusagen von einer Nicht-Strömung in eine Strömung, erklärt Roger die Schwierigkeit. "Das letzte Mal quergefallen ist ein Schiff 2009 und davor 2004." Deshalb sieht das WSA keine Notwendigkeit, eine Regelung an dem Hafen zu verschärfen. "Natürlich sieht es jetzt blöd aus, zweimal in kurzer Zeit", sagt Roger. Aber mit Blick auf den Gesamtzeitraum sei in den vergangenen 15 Jahren nichts passiert.

Was waren die Probleme bei den Havarien im Dezember und im Januar?
Bei beiden Havarien sei dem WSA kein technischer Fehler gemeldet worden, so Roger. Die Schiffsführer seien erfahren und "mainkundig". Der Kapitän der Atoll wollte wohl rückwärts aus dem Schwenkhafen fahren, gegen die Strömung, "zu Berg, sagen wir", so Roger. Damit hätte das Schiff direkt richtig gelegen, um weiterfahren zu können – "rückwärts aus der Parklücke". Bei diesem Manöver müsse man sich trauen, relativ schnell und eng um die Uferkante zu fahren und sehr früh Vollgas geben.

Die Nautilia lag genau andersherum quer auf dem Main, mit dem Heck in Richtung Hafen. Roger meint, dass das Schiff vorwärts, also Strom aufwärts, fahren wollte. Auch dabei muss das Schiff schnell um die Kurve, "alles, was die Maschinen hergeben".
Welche Kosten entstehen bei Havarien?
Bei der Havarie im Dezember werden allein für den WSA-Einsatz zwischen 30.000 und 40.000 Euro anfallen, so Roger. Bei der zweiten Havarie könnte es etwas weniger sein, schätzt er. Beim Vorfall in Himmelstadt rechnet Roger mit einer Schadenshöhe von 500.000 Euro aufwärts. Dazu kommen noch einmal mindestens 50.000 Euro für den Schaden am Bagger und rund 200.000 Euro für defekte Kabel.
Grundsätzlich liegen die Kosten für WSA-Einsätze meist bei rund 2000 oder 3000 Euro, bei aufwendigeren Unfällen zwischen 20.000 und 50.000 Euro. Einem Schiff entstünden 2000 bis 3500 Euro Kosten pro Tag, den es warten muss, weil die Schifffahrt beispielsweise durch eine Havarie stillliegt.

Müssen Dalben ausgetauscht werden – also Pfähle im Wasser, an denen Schiffe anlegen können – kostet das mehr als 100.000 Euro. Werden Schleusentore angefahren, beginnt die Spanne bei 250.000 Euro und endet beim Komplettaustausch des Tores mit Kosten ab einer Million Euro.
Wer muss die Kosten tragen?
Platt gesagt, müsse das Schiff zahlen. Es gibt zwar sogenannte Partikuliere, die das Schiff praktisch selbst besitzen, doch die meisten Schiffsführer fahren für Reedereien, weiß Roger. Versicherungen hätten teils "gar nicht so kleine" Eigenanteile.
Gezahlt werden muss vor allem der Einsatz des WSA. Häufig helfen Schiffe sich auch gegenseitig, dann würden sie das untereinander ausgleichen. Kosten, die Schiffen durch Wartezeiten entstehen, würden diese meist selbst tragen. Das WSA sei nicht zwingend involviert und muss nicht bei jeder Havarie tätig werden – bei einer unmittelbaren Gefahrenlage müsse das Amt aber handeln.
Was passiert mit Personenschiffen im Falle einer Havarie?
In Karlstadt weiß Roger von einem Fall, bei dem ein Fahrgastkabinenschiff evakuiert werden musste. Teils könnten die Passagierschiffe ihre Touren anpassen, wenn es auf der Strecke eine Havarie eines anderen Schiffes gibt. "Die haben normalerweise auch immer Kooperationen mit Busunternehmen", sagt Roger. So könnten die Passagiere auch an der Havarie-Stelle vorbei zu einem anderen Kabinenschiff gebracht werden und die Reise fortsetzen.
Wie können Havarien verhindert werden?
"Das ist ein großes Feld", sagt Roger. Das WSA informiere die Schifffahrt etwa über Gefahrenstellen. Die Leitzentralen geben außerdem Warnhinweise heraus, teils stehen Schilder an den Schleusen mit Hinweisen zu kommenden Hindernissen. Eine geringe Wassertiefe wird etwa durch schwimmende Tonnen oder kleine Flöße gekennzeichnet. In den Schleusen gibt es Vorrichtungen, die zu schnelle Schiffe aufhalten, sodass sie nicht gegen das "Untertor" fahren. Ein Peilschiff fährt den Main regelmäßig ab, zusätzlich gibt es weitere Kontrollfahrten.
Wie wird bei einem Notfall gehandelt?
Tritt ein Notfall ein, stellen sich auf dem Main spezielle Rettungsfragen: Sollte ein Schiff zur nächsten Schleuse weiterfahren, kann es anderswo halten? Wo liegt das nächste Krankenhaus? Das läuft über die Leitzentralen des WSA, die mit den Integrierten Leitstellen der Rettungsdienste zusammenarbeiten. Die Feuerwehr hält zudem Übungen an den Anlagen des WSA ab. Und im Amt existiere ein "Havariekoffer", sagt Roger. Darin seien alle Formulare, Ansprechpartner und einzelne Schritte enthalten.
Welche Auswirkungen können Havarien haben?
Die Gefahr von Umweltauswirkungen einer Havarie im Bereich Main-Spessart sieht Roger als sehr gering an. "Eine Gefahr wäre der Austritt wassergefährdender Stoffe. Das ist zumindest im Binnenbereich sehr selten", sagt der Experte. Die Schiffe hätten alle eine "Doppelhülle"; selbst wenn sich Schiffe einen langen Spalt in den Stahlrumpf reißen, muss deswegen nichts auslaufen. In den Hydraulikanlagen würden nur noch umweltfreundliche Öle verwendet. Bleibt nur der Treibstoff, doch dieser kann kaum austreten: "Dann ist wirklich das ganze Schiff komplett untergegangen", sagt Roger.