Es ist genau 100 Jahre her, dass sich mit dem Heimstättenwerk in Marktheidenfeld die erste Baugenossenschaft im Landkreis Main-Spessart gegründet hat. Heute verwaltet sie mehr als 300 Wohnungen. Auch der Blick nach Lohr fällt auf die eine Baugenossenschaft mit inzwischen 40-jähriger Geschichte. Die beiden weiteren Altlandkreise Gemünden und Karlstadt gehen in puncto Baugenossenschaft bislang leer aus.
In Karlstadt soll das jetzt ein Ende haben, wie der Stadtrat am Donnerstag einstimmig beschlossen hat. "Karschter Wohnen" steht kurz davor, als Genossenschaft eingetragen zu werden. Die Stadt wird als Gründungsmitglied beitreten. Wie bei anderen Genossenschaften auch, wird das Hauptaugenmerk darauf liegen, nicht auf Gewinnmaximierung abzuzielen, sondern die Mitglieder auch als Miteigentümer zu führen. So können erwirtschaftete Erträge direkt in den Wohnungsbestand reinvestiert werden.

Gründung als Vorteil für den ganzen Landkreis
Die einleitenden Worte von Bürgermeister Michael Hombach (CSU) verdeutlichten, dass er lange auf diesen Moment gewartet hat. "Ich bin damals bei der Bewerbung für dieses Amt auch damit angetreten, dass wir weiteren bezahlbaren Wohnraum in unserem Stadtgebiet bereitstellen. Was wir heute mit der Gründung einer gemeinnützigen Baugenossenschaft vorstellen wollen, ist die Antwort darauf", sagte Hombach.
Bernd Koch, seit 2014 Geschäftsführer des Heimstättenwerks in Marktheidenfeld, wies auf die wichtige Rolle hin, die Karlstadt durch das dort ansässige Landratsamt und als eine der größten Städte in Main-Spessart innehabe. "Die bislang fehlende Baugenossenschaft in dieser Stadt kann als Mangel bezeichnet werden. Die Gründung wäre ein Vorteil für den ganzen Landkreis", meinte Koch.
Überschüsse werden zu 100 Prozent reinvestiert
Er selbst will seine Erfahrung aus Marktheidenfeld auch als Geschäftsführer der "Karschter Wohnen" einbringen und plant mit Stadtkämmerer Ralf Liebl und dem beratenden Ingenieur Rüdiger Amthor als nebenamtlichen Vorständen. Der Aufsichtsrat würde sich aus drei bis sieben Mitgliedern zusammensetzen. Neben Hombach könnten ihm diverse Experten angehören, die unter anderem aus der Baubranche, Fachfirmen oder dem juristischen Bereich kommen. Einflussnahme des Stadtrates soll nur im Rahmen einer persönlichen Mitgliedschaft möglich sein.

Im Hinblick auf die vorbereitete Satzung erläuterte Koch dem Gremium weitere wichtige Eckpunkte der zu gründenden Genossenschaft. Er stellte heraus, dass im Normalfall jede Person, die eine Wohnung haben will, auch Mitglied sein muss, aber in Einzelfällen Ausnahmen gemacht werden können. Die Genossenschaft kann außerdem Bauten in allen Rechts- und Nutzungsformen bewirtschaften, errichten, erwerben, veräußern und betreuen. Überschüsse sollen zu 100 Prozent in Form von Modernisierungsmaßnahmen in die Wohnanlagen investiert werden.
Keine Kündigungen wegen Eigenbedarf möglich
Im Vordergrund soll auch stehen, Wohnraum für alle Alters- und Gesellschaftsgruppen zu schaffen. "Auch alters- und behindertengerechtes Wohnen können wir hier forcieren", sagte Koch, der ergänzte: "Durch Wohnraum für Mitarbeiter im Stadtgebiet erhöht sich auch die Arbeitgeberattraktivität". Auch soll die Baugenossenschaft in der Höhe ihrer Mietpreise nicht abhängig vom gültigen Marktniveau sein. Wie Koch ausführte, müsse man sich nicht dem Mietspiegel anpassen, sondern könne "zu jedem wirtschaftlichen Preis vermieten". Als weiteren Vorteil der Baugenossenschaft nannte Koch die Tatsache, dass keinem Mieter wegen Eigenbedarf gekündigt werden kann.
Die Satzung wurde inzwischen vom Verband bayerischer Wohnungsunternehmen genehmigt. Ein Geschäftsanteil soll einer Summe von 1000 Euro entsprechen, wobei jede Mitgliedschaft bei maximal 100 Anteilen, beziehungsweise einer Beteiligungssumme von 100.000 Euro gedeckelt ist. Als Starthilfe und potenzielles Pilotprojekt stellte Koch den Transfer eines städtischen Objekts an die Genossenschaft vor. Hierzu müsste aber ein gesonderter Beschluss im Stadtrat gefasst werden.

Geringe Einflussnahme des Stadtrates
Unter den Mitgliedern des Stadtrats fand der Vortrag zur Gründung, der für viele überfälligen Baugenossenschaft, großen Anklang. Eugen Köhler (CSU) fand es "schön, dass die Planung schon so weit gediehen ist". Stefan Rümmer (SPD) fasste zusammen, dass es keine stadteigene Gesellschaft mehr werden soll, sondern eine andere Form, die aus seiner Sicht ein gutes Konzept darstellt, auch wenn man als Stadtrat keinen wirklichen Einfluss mehr hat. "Das wird einschlagen, es werden sich viele beteiligen und wir sollten hier vorangehen und die Höchstsumme von 100.000 Euro aufbringen", so Rümmer. Im anschließenden Beschluss entschied der Rat dann, sich mit 100 Anteilen zu je 1000 Euro einzubringen.
Armin Beck (Grüne) sah den geringen Einfluss des Stadtrates etwas kritischer und hinterfragte, ob die Genossenschaft wirklich auch die gewünschte Dynamik entfalten könne. "Klar werden viele von uns ohnehin als Genossen beitreten, trotzdem hatten wir von den Grünen vorgeschlagen, dass alle Fraktionen Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden, was jetzt aber wohl keine Zustimmung findet", sagte Beck. Bernd Koch entgegnete, dass der Stadtrat als Gremium immer die Möglichkeit haben werde, Tipps einzubringen.