Weil deutsche Ermittler einen Tipp aus Frankreich bekamen, sitzen zwei Männer seit Montagmorgen auf der Anklagebank im Landgericht Aschaffenburg. Ihnen wird vorgeworfen, im ganz großen Stil mit Drogen gehandelt zu haben. Noch nie wurde in Bayern so viel Kokain auf einmal beschlagnahmt, wie Ende Juni im Aschaffenburger Güterbahnhof. Bei dem Schmuggel von über einer Tonne der Droge sollen die Männer im Alter von 23 und 26 Jahren maßgeblich mitgewirkt haben. Mit Fußfesseln werden sie in den Gerichtssaal geführt.
Ein 45-jähriger Mitangeklagter wird derzeit in einem Würzburger Krankenhaus stationär behandelt, weshalb die Verhandlung gegen ihn erst zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden wird. Ein Termin dafür steht noch nicht fest.

Bislang unbekannte Täter beluden einen Container in der Dominikanischen Republik mit über 40 Päckchen des Rauschgiftes. Zwischen Medizinprodukten versteckt, machte sich die Ware im Mai 2022 zunächst auf die Reise nach Hamburg. Der Staatsanwaltschaft zufolge begann dann die Arbeit der Angeklagten. Sie sollten den Container mit dem Kokain lokalisieren und sich überlegen, wie man am besten an den wertvollen Inhalt gelangen könnte. Etwa 109 Millionen Euro wäre diese Menge an Kokain auf der Straße wert gewesen. Ein beteiligter Ermittler ordnet die Dimension und das Vorgehen der organisierten Kriminalität zu. Doch aus dem "gewinnbringenden Betäubungsmittelverkauf", wie es Staatsanwalt Sebastian Brunner ausdrückt, wurde nichts.
Drei Männer festgenommen – mindestens eine Person entkommen
In Hamburg angekommen, wurde der Container auf einen Güterzug verladen. Das Ziel: Eine Firma im hessischen Friedberg. Als der Container Mitte Juni in Aschaffenburg umgeladen wurde, schlugen die Ermittler nach einem Tipp französischen Behörden zum ersten Mal zu: Heimlich nahmen sie die Drogen heraus. Die Medizinprodukte setzten ihre Reise nach Hessen fort.
Fünf Tage später unternahmen die Ermittler dort den zweiten Schlag: Die drei Angeklagten wollten die Drogen-Päckchen mitten in der Nacht aus dem Container holen, der rund um die Uhr von der Polizei observiert wurde. Dafür hatten sie einen Kleintransporter bereitgestellt. Sie gingen ja von einer tonnenschweren Ladung aus. Doch als sie lediglich Transfusionsbeute vorfanden, ergriffen sie der Staatsanwaltschaft zufolge die Flucht.
Kurz darauf nahm die Polizei die drei Männer fest. Mindestens eine Person konnten jedoch offenbar entkommen. Darüber zeigte sich auch der Vorsitzende Richter Karsten Krebs verwundert – zumal ein Spezialeinsatzkommando vor Ort war. Die genaue Zahl der entkommenen Personen sei unbekannt, sagte ein Ermittler vor Gericht aus. "Gehen Sie von mehr als fünf Personen aus?", fragt der Richter. "Wahrscheinlich ja", antwortete der Fahnder.
23-jähriger Angeklagter will nicht gewusst haben, dass es um Drogen ging
Der 26-Jährige äußerte sich am ersten Prozesstag nicht zu den Vorwürfen. Der 23-jährige Angeklagte aus den Niederlanden erklärte über seinen Rechtsanwalt Ralf Peisl, welche Rolle er in der Logistik einnahm. Dass Drogen transportiert werden sollten, sei ihm erst nach seiner Festnahme durch die Polizei mitgeteilt worden.

Sein Mandant sei "langjähriger Cannabiskonsument", erklärte Peisl zum Prozessauftakt. Der gelernte Fliesenleger kaufe "aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse" nicht in den niederländischen Coffeeshops, sondern bei Kleindealern auf der Straße. Ein ihm bekannter Dealer habe ihn vor einiger Zeit in einem Einkaufszentrum angesprochen und um einen Gefallen gebeten. Der Angeklagte sollte den Dealer aus den Niederlanden nach Deutschland fahren. Die Belohnung für die ungefähr 300 Kilometer weite Fahrt: 100 Gramm Cannabis. Der Angeklagte willigte ein, obwohl ihm ein Freund davon abriet.
Drucksituation und eine versprochene Belohnung
Im Auto habe man nie über den Grund der Fahrt gesprochen. Am Ziel angekommen, stiegen weitere Männer hinzu, dann habe der Dealer ihm noch ein Angebot gemacht. Für "weitere Dienste", wie es der Rechtsanwalt ausdrückte, stellte er dem verschuldeten Mann 20.000 Euro in Aussicht. Im Auto habe eine "psychologische Drucksituation" geherrscht, schildert der Verteidiger. Gleichwohl räume sein Mandant ein, dass die Aussicht auf den hohen Geldbetrag ihn ebenso dazu brachte, zuzusagen. Der 23-Jährige sei davon ausgegangen, dass unverzollte Elektrogeräte transportiert werden sollen. Von Drogengeschäften habe er nichts gewusst.
Anfangs verfolgte der Niederländer die Ausführungen seines Anwaltes noch aufmerksam. Eine Dolmetscherin übersetzte ihm jedes Wort. Doch im Laufe des Vormittags verlor er offenbar das Interesse. Oft schaute er an die Decke. Schließlich begann er aus einem Stück Papier kleine Kügelchen zu formen.

Zusammen mit mehreren ihm unbekannten Männern sei er schließlich im Juni 2022 zu dem Container gefahren, schildert sein Verteidiger. Der ihm bekannte Dealer war offenbar nicht dabei. Im Container soll plötzlich jemand gerufen haben, dass das "Zeug" schon weg sei. Jemand habe "Polizei" gerufen. "Plan- und ziellos" sei sein Mandant weggerannt und wurde kurz darauf festgenommen, erklärte der Rechtsanwalt.
Kaum Informationen zu den Hintermännern
Warum der Hinweis auf die Aktivität eines Niederländers in Deutschland mit Drogen aus der Dominikanischen Republik von der französischen Botschaft in Berlin kam, konnten mehrere Ermittler des Zollfahndungsamts München vor Gericht nicht beantworten. "Sie kriegen eine Information hingeschmissen, stellen das Kokain sicher und gut ist?", äußerte der Richter sein Unverständnis darüber, dass zu den Hintermännern kaum Informationen vorliegen. Anrufe und Chatnachrichten hätten einem Ermittler zufolge nahegelegt, dass die Schmuggler Kontakt in die Vereinigten Arabischen Emirate hatten. "Aber die Spur hat sich im Sande verlaufen", so einer der Ermittler.
Der Prozess wird voraussichtlich am 1. Februar um 9 Uhr fortgesetzt. Mit einem Urteil ist Anfang Februar zu rechnen.