Wie wollen wir im Alter Wohnen? Wie Menschen mit dieser Frage umgehen ist sehr unterschiedlich. Wie schwer fällt der Schritt, das eigene Haus aufzugeben? Das vertraute Umfeld? Wie schwer ist es, eine geeignete Wohnung zu finden? Ein Besuch bei Menschen, die sich getraut haben.
Von 200 Quadratmetern runter auf 94: Das ist in Zahlen ausgedrückt, wozu sich Klaudia und Siegfried Söhnel bei ihrem Umzug von Erlenbach nach Marktheidenfeld entschieden haben. Doch die Quadratmeterzahl vom ehemaligen Wohnhaus und der jetzigen Wohnung waren nicht die Kriterien, warum sich das Ehepaar zu dem Schritt entschlossen hat.
"Wir haben ungefähr vor zehn Jahren angefangen zu überlegen: Wie wollen wir das machen, im Alter", erzählt Klaudia Söhnel. Die 60-Jährige hat an diesem Tag Spätschicht. Und so sitzt sie noch zusammen mit ihrem Mann Siegfried, ebenfalls 60 Jahre alt, im Wohnzimmer ihrer Wohnung, in der sie jetzt seit 2017 leben. Davor stand ihr Zuhause in Erlenbach. "Wir haben dort in meinem ehemaligen Elternhaus gelebt", erzählt sie. Später dann, als der Vater mitversorgt werden musste, in der ausgebauten Scheune nebenan.
Klar: Immobilie war immer als Kapitalanlage gedacht
Dass sie dort nicht alt werden wollten, war ihnen relativ schnell klar. Ein Mitgrund war auch die Krankheit von Siegfried Söhnel, aufgrund der er frühverrentet wurde und die ihn körperlich einschränkte. "Unsere Söhne hatten zudem bereits ihre eigenen Pläne", so Klaudia Söhnel. Darüber hinaus hätte sie ein so enges Zusammenleben wie bei Klaudia Söhnel und ihrem Vater nicht gewollt.

"Für mich war eine Immobilie immer als Kapitalanlage gedacht und klar, dass wir uns irgendwann mal verkleinern", so Siegfried Söhnel. Schließlich müsse man in das Haus immerzu investieren, damit der Wert erhalten bleibt. Ein Leben im "Sparschwein" kam also nicht in Frage. Was also dann?
"Wir hatten anfangs zusammen mit rund 15 Bekannten aus Würzburg die Idee, etwas zu kaufen oder zu mieten und eine Art große Hausgemeinschaft zu machen", erzählt Klaudia Söhnel. Die Idee war: Jeder hat seine eigene Wohneinheit, darüber hinaus gibt es gemeinsame Aufenthaltsräume und Zimmer, in denen Pflegekräfte wohnen können. "Gescheitert ist das Projekt letztlich an den Ansprüchen der Einzelnen", erläutert Siegfried Söhnel. Es ging um Haustiere, Parkplätze, Musikinstrumente und die Frage, auf wieviel Quadratmetern jeder letztlich leben möchte. Die Quintessenz, die das Ehepaar Söhnel aus dem Projekt gezogen hat, ist: Wer solch ein Gemeinschaftswohnen anstrebt, muss Abstriche machen können und sehr tolerant sein.
Barrierefreiheit war nicht das ausschlaggebende Argument
Nach dem Aus dieser Wohn-Idee fuhren sie weiter mit dem Prinzip: "Wenn sich was ergibt, greifen wir zu". Dann ging plötzlich alles ziemlich schnell. 2017 starb Klaudia Söhnels Vater überraschend. Im selben Jahr wurden sie von Siegfried Söhnels Bruder gefragt, ob sie Interesse an einer Wohnung in Marktheidenfeld hätten. Seine Nachbarin würde ausziehen. "Wir haben uns innerhalb kürzester Zeit die Wohnung angeschaut, die Zusage bekommen und uns entscheiden müssen", so das Ehepaar. Der Entschluss war schnell gefasst. "Die Wohnung war die Gelegenheit", so Klaudia Söhnel. Sie konnte mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, er hatte kurze Wege zur Therapie, die Einkaufs-Möglichkeiten waren gut. Bei dem Haus handelte es sich um einen Neubau, der zudem ruhig liegt.

Barrierefreiheit war nicht das ausschlaggebende Argument. "Sollte es mal dazu kommen, dass wir darauf angewiesen sind: Wir würden auch nochmal umziehen", ist sich das Ehepaar einig. Das Haus in Erlenbach ist mittlerweile verkauft. Zwei Jahre haben sie sich Zeit gelassen damit, um das Kapitel gut abzuschließen und auch um loslassen zu können. "Ich habe alles noch einmal durchgeschaut und dann verschenkt, verkauft oder verschrottet", erzählt Klaudia Söhnel. Schließlich steckte das Leben ihrer Eltern in dem Haus. Selbst der Familien-Katze haben sie ein neues Zuhause gesucht.
Als Verlust empfinden sie den Wechsel vom Land in die Stadt, von Groß zu Klein nicht. Anstelle von Hof und Garten haben sie jetzt einen großen Balkon und sogar ein kleines Stück Garten, auf dem ein Schuppen für die Fahrräder steht und Klaudia Söhnel ein kleines Gemüsebeet hat. Das reicht ihnen vollkommen. "So ein Haus, das bindet auch unendlich viel Zeit", beschreibt Siegfried Söhnel. Neben den ständigen Renovierungen, die anstehen, summieren sich auch alle anderen Arbeiten wie Fenster putzen, Straße kehren, Mülltonnen raus und wieder rein. Seit ihrem Umzug in die Wohnung müssen sie sich um viel weniger kümmern. Sie nutzen die Zeit, um Fahrrad zu fahren, Ausflüge zu machen oder sich einfach daheim zu entspannen. "Wenn es draußen scheppert, dann habe ich früher immer gezuckt und gedacht: War das jetzt bei uns im Haus?", erzählt Klaudia Söhnel. Mittlerweile höre sie das gar nicht mehr, denn sie weiß: Das geht mich nichts mehr an.
Früher mit drei Generationen unter einem Dach gelebt
Keinen Tag bereut hat auch Gertrud Nickel ihren Umzug vom Land in die Stadt, vom Haus in die Wohnung. Seit zwei Jahren wohnt die 75-Jährige nun schon in der Marktheidenfelder Altstadt. Ihre 78 Quadratmeter-Wohnung im dritten Stock erreicht sie mit dem Aufzug. Ihr Auto steht auf dem Tiefgaragenstellplatz. Ihre Tomaten wachsen auf dem großzügigen Balkon mit Blick über die Dächer Marktheidenfelds. "Warum hast du das gemacht? Und, wie hast du das gemacht? Ich werde so oft danach gefragt", erzählt Gertrud Nickel. Sie sitzt an dem ihrem Esstisch, hinter ihr an der Wand hängen Bilder ihrer Familie: Enkel, ihre vier Kinder, ihr Mann Sigmar. Sie ist 28 Jahre alt als sie mit ihm und den Kindern ins Elternhaus nach Urspringen zurückzieht. Beide Eltern sind noch im Haus und bewohnen die unteren Räume. Sie mit ihrer Familie die Oberen. Ihr Mann bekommt eine Stelle als Lehrer an der Mittelschule Urspringen. Sie kümmert sich um die vier Kinder, um das Haus, geht später auch wieder arbeiten in Marktheidenfeld.

Doch die viele Arbeit zehrt an ihr. "Wir hatten ein großes Grundstück", erzählt sie. Allein die Terrasse war 16 Meter lang und voll bestückt mit Blumen, ebenso der Hof. Dazu kam, dass das Haus am Hang lag und überall Treppen waren. 18 Stufen galt es zu erklimmen, bis man am Haus war. Sie ist hochschwanger mit ihrer Tochter, als die Mutter krank und pflegebedürftig wird. Sie stirbt 1981. Kurz darauf wird auch der Vater krank und stirbt fünf Jahre später. Auch ihr Mann ist körperlich eingeschränkt und wird mit 52 Jahren frühpensioniert. Während sie Vollzeit arbeiten geht, nimmt er ihr daheim so viel ab, wie er kann.
Umzugspläne mit der Familie scheiterten am Geld
"Zwischendurch waren wir auch drauf und dran nach Marktheidenfeld zu ziehen", erzählt Gertrud Nickel. Das Haus der Cousine wurde frei. Die Kinder gingen in Marktheidenfeld zur Schule, ihre Arbeit war hier. Es scheiterte am Geld: zu teuer für die sechsköpfige Familie. 2015 starb ihr Mann. Sie blieb alleine im Haus. "Bereits kurz nach der Beerdigung haben meine Kinder gesagt: Mama, zieh nach Marktheidenfeld!", erzählt die 75-Jährige. "Aber so schnell konnte ich aus dem Haus nicht ausziehen." Zu viel erinnerte sie hier noch an ihren Mann. Sie brauchte Zeit, um Abschied zu nehmen.

Vier Jahre später, 2019, war es dann so weit: "Ich hatte die Schnauze voll", erzählt sie. "Ich hatte ständig Schmerzen, im Rücken, im Arm." Und Gertrud Nickel fragte sich: Für was plagst du dich so? Die Kinder hatten bereits ihre eigenen Häuser. Also fing die Rentnerin an zu suchen - und wurde bereits ein halbes Jahr später fündig. "Bei der Wohnungsbesichtigung waren mein Sohn und meine Schwiegertochter dabei", erzählt sie. Ein glücklicher Zufall, wie sich herausstelle, denn Letztere kannte den Vermieter.
Nur die große Küche wird vermisst
Nach zwei Jahren in der Wohnung ist Gertrud Nickel hier vollkommen angekommen. Im Haus hat sie gute Bekanntschaften und Freunde gefunden, zum Bäcker und zu allen anderen Geschäften ist es ein Katzensprung und wenn sie die Lust am Garteln überkommt, geht sie auf ihren Balkon und pflegt ihre Tomaten, Salat- und Kräuterpflanzen. "Wenn die Balkontür zu ist, schlafe ich hier sogar ruhiger als in Urspringen", sagt sie. Das Schönste für sie aber ist: "Ich muss keine Sorge und Verantwortung mehr tragen für das Haus." Und: Musste sie im Haus früh aufstehen, um alles zu schaffen, kann sie nun aufstehen und machen was sie will. Einziger Wermutstropfen: In der relativ kleinen Küche konnte sie nicht alle ihre Geräte aufstellen. Die muss sie nun – je nach Bedarf – einzeln aus dem Schrank holen.