Die künstlerisch gestaltete Bank im Mühltorturm, der Brückenhocker-Thron und die farbenfrohen Lucky Wheels sind von ihm. Außerdem betreibt er den mobilen Weinausschank "Gemündener Schoppenwächele" und ist in der Vorweihnachtszeit als Nikolaus unterwegs. Doch damit nicht genug: Nun ist Peter Reichel auch unter die Stadtführer gegangen. "An Gemünden liegt mir halt sehr viel", sagt der 65-jährige Rentner, der beruflich als Vertriebsleiter gearbeitet hat, über sein Engagement.
Bei der Premiere seiner Stadtführung am Freitagabend nahm er unter dem Motto "Henker und Gerichtsbarkeit" sein elfköpfiges Publikum mit in längst vergangene Zeiten – ins Mittelalter in die Zeit vom 6. bis 15. Jahrhundert. Damals sei das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland bewaldet gewesen, die Menschen hätten in kleinen Dörfern im Wald gelebt und der Dorfvorsteher habe in dieser Gemeinschaft Recht gesprochen.
Peter Reichel informierte allgemein über Rechtssprechung im Mittelalter
Nach und nach entwickelten sich laut Reichel Städte. Die meisten Stadtbewohner seien unfrei, also dem Leibherrn hörig gewesen. In der damaligen Ständegesellschaft habe der König oder Fürstbischof an der Spitze gestanden. Kirche und Adel sowie am unterem Ende Bauern, Knechte und Handwerker folgten in der Hierarchie.

Im frühen Mittelalter erfolgte die Rechtsprechung auf Basis von Gewohnheiten. Seit dem 12. Jahrhundert wurde zwischen hoher und niederer Gerichtsbarkeit unterschieden. Die hohe Gerichtsbarkeit befand über schwerwiegende Fälle wie heimtückischen Mord, Falschgeldherstellung oder Hochverrat. Strafwürdig waren nach dem mittelalterlichen Weltbild auch Hexerei, Gotteslästerung und Ehebruch. Die hohe Gerichtsbarkeit hatten meist die Grafen inne. Für die niedere Gerichtsbarkeit – Eigentumsdelikte, Erbstreitigkeiten, Körperverletzung, Beleidigungen – waren die Grundherren verantwortlich.
Schriftlich festgehalten wurden Rechtsgrundlagen erst im 13. Jahrhundert. Strafen gegen geltende Gesetze fielen im Mittelalter im Vergleich zu heute sehr hart aus. Verstümmelungen, Steinigungen und Hinrichtungen waren keine Seltenheit. Auch der Einsatz der Folter zur Wahrheitsfindung war weit verbreitet.
Reichel über Folter im Lauf der Jahrhunderte
Massiv gefoltert wurde laut Reichel im Zuge der Hexenprozesse. Die mildeste Form der Folter sei das Anlegen von Daumenschrauben gewesen, deutlich gravierendere Verletzungen, auch tödliche, seien auf der Streckbank entstanden. Offiziell abgeschafft wurde die Folter hierzulande nach und nach im 18. Jahrhundert, wobei Reichel darauf hinwies, dass beispielsweise auch im nationalsozialistischen Deutschland (1933 bis 1945) gefoltert wurde – unter dem beschönigenden Begriff "verschärfte Vernehmungsmethode". Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hierzulande auch die Todesstrafe abgeschafft: 1949 in der Bundesrepublik, 1987 in der DDR.
Zurück ins Mittelalter. Der Spielraum der Richter war Reichel zufolge damals gewaltig. Dies habe dazu geführt, dass die Strafzumessung oftmals nach der Standeszugehörigkeit erfolgt sei. Arme und Unfreie seien meist härter bestraft worden als höhergestellte Personen. Zudem seien Frauen für das gleiche Vergehen härter bestraft worden als Männer.
In Gemünden stand das Richthaus am Marktplatz
Folter und Hinrichtungen wurden laut Reichel im Mittelalter von einem Scharfrichter vorgenommen. Diese auch Henker genannten Männer standen ihm zufolge am Rande der Gesellschaft, mussten außerhalb der Stadtmauern leben, durften nicht in die Kirche und durften auch keine Wildtiere jagen – ausgenommen Wölfe.
In Gemünden habe sich das Richthaus am Marktplatz befunden, sagte Reichel. Er vermutete, dass das Grautal eine ehemalige Hinrichtungsstätte gewesen sein könnte; Belege dafür gebe es allerdings nicht. Das Amtsgericht in Gemünden sei bis 1970 für den Gemündener Raum zuständig gewesen, seit 1972 für den Landkreis Main-Spessart.