Das hat es im Lohrer Stadtwald vermutlich noch nicht gegeben, zumindest nicht in den vergangenen Jahrzehnten: Der ausgesprochen seltene Schwarzstorch hat erfolgreich eine Brut aufgezogen.
Mittlerweile stehen die drei Jungvögel kurz vor den ersten Flugversuchen. Nach Aussage von Hartwig Brönner, dem Kreisvorsitzenden des Landesbundes für Vogelschutz, handelt es sich beim Lohrer Schwarzstorchnachwuchs um den einzigen bekannten, den es heuer im Landkreis gegeben hat.
„Das ist schon was Besonderes“, freut sich Brönner. Ebenso wie der Vogelexperte wertet auch Bernhard Rückert, der Leiter der städtischen Forstverwaltung, die Anwesenheit und die gelungene Fortpflanzung des Schwarzstorches als Erfolg des seit gut zwei Jahrzehnten im Stadtwald praktizierten forstwirtschaftlichen Bestrebens, möglichst naturnahe Wälder zu gestalten.
In der Tat stellt die seltene Art hohe Ansprüche an ihre Brutgebiete. Alte, reich strukturierte Wälder sucht der Schwarzstorch. Für die Nahrungsversorgung ist er auf reichlich Tümpel und Gewässer angewiesen, auch auf Feuchtwiesen. Und vor allem braucht die seltene Art eines: Ruhe. Insbesondere während der Brutzeit ist der Schwarzstorch ausgesprochen empfindlich gegenüber Störungen. Schon ein Wanderer oder Mountainbiker, der dem in luftiger Höhe gebauten, zentnerschweren Horst zu nahe kommt, kann den Storch dazu bringen, sein Gelege aufzugeben.
„Wir sind uns sicher, dass das ein Erfolg unserer Arbeit ist.“
Bernhard Rückert Leiter des Stadtforstes
Der Brutplatz tief im Lohrer Stadtwald, dessen genauer Standort zum Schutz der Tiere an dieser Stelle nicht näher beschrieben wird, wurde eher zufällig entdeckt. Im Mai war Rückert zusammen mit polnischen Förstern im Stadtwald unterwegs, als plötzlich ein großer Vogel aus einem Baumwipfel abflog und so die Aufmerksamkeit der Waldläufer erstmals weckte.
Wenige Tage später kam Rückert mit einigen Vogelschützern, darunter Brönner, an der gleichen Stelle vorbei. Und siehe da: Mit dem Fernglas entdeckten sie den in eine alte Buche gebauten Horst. In ihm erhob sich ein Altvogel, um die Eier unter sich zu wenden. In diesem Moment herrschte Gewissheit, dass der Schwarzstorch tatsächlich im Stadtwald brütet.
Anzeichen, „dass etwas im Busch ist“, habe es freilich schon vorher gegeben, erzählt Rückert. Ein städtischer Förster habe einige Zeit vor der Entdeckung des Brutplatzes einen Schwarzstorch gesehen, der mit einem kleinen Stock im Schnabel neben einem Waldweg stand. Ein klares Indiz also für den laufenden Nestbau.
Dieser war nicht der erste im gut 4000 Hektar umfassenden Stadtwald. Schon vor fünf oder sechs Jahren habe ein Schwarzstorchenpaar ein Nest gebaut, dieses dann allerdings aus ungeklärten Gründen wieder aufgegeben, sagt Rückert. Einzelne Sichtungen von Schwarzstörchen im Spessart gibt es seinen Worten zufolge seit rund zehn Jahren.
Seither, so erklärt Vogelschützer Brönner, sucht sich die Art aus Osteuropa kommend hierzulande neue Lebensräume. Das sei wohl damit zu erklären, dass im Osten einst naturnahe Wälder immer stärker bewirtschaftet werden.
Während es den Schwarzstörchen im Osten offenbar unwohl werde, biete der Lohrer Stadtwald sehr gute Bedingungen, lobt Brönner das Bewirtschaftungskonzept. Bekanntlich setzt man im Stadtwald seit vielen Jahren auf ein Konzept der naturnahe Bewirtschaftung, auf Artenvielfalt und einen hohen Totholzanteil. Auch die Stilllegung gewisser Flächenanteile und das Anlegen von mittlerweile über 40 Tümpeln gehört zum Konzept. „Wir sind uns sicher, dass das ein Erfolg unserer Arbeit ist“, sieht Stadtförster Rückert im Bruterfolg des Schwarzstorches eine Bestätigung der in Lohr auch vom Stadtrat mitgetragenen Linie der Forstwirtschaft.
Um diesen Erfolg nicht zu gefährden, haben die Förster im Umkreis von einigen hundert Metern um den Horstbaum für Ruhe gesorgt. Ein Wanderweg wurde verlegt, auf die Ausübung der Jagd ebenso wie auf forstwirtschaftliche Arbeiten verzichtet.
Die drei Jungvögel, die mittlerweile prächtig gewachsen sind, stehen derzeit bei der Annäherung eines Menschen noch wie Salzsäulen hoch oben in ihrem Nest. In wenigen Tagen jedoch werden sie ausfliegen.
Da Brutpaare standorttreu sind und Jungvögel gerne in das Gebiet zurückkehren, in dem sie das Licht der Welt erblickt haben, könnte der Bruterfolg des Jahres 2014 der Beginn einer dauerhaften Bruttätigkeit sein. „Das sieht gut aus“, sagt Brönner mit Blick auf die Schwarzstorchzukunft im Lohrer Stadtwald.
Das Umfeld wäre nicht nur aufgrund der Waldstruktur und der Teiche und Feuchtwiesen in den Spessarttälern bereitet: Bereits vor zwei Jahren hat die städtische Forstverwaltung nach den ersten Sichtungen von Schwarzstörchen an geeignet erscheinenden Stellen im Stadtwald hoch oben in alten Buchen vier Kunsthorste angelegt. Die Stockgeflechte sollten den Störchen einen Anreiz zur Brut bieten.
Nachdem sich das jetzt ansässig gewordene Brutpaar einen anderen Baum für den Nestbau ausgesucht hat, wären also noch vier attraktive Storchenwohnungen in bester Lage frei.
Der Schwarzstorch
Nur rund 100 Brutpaare des Schwarzstorchs gibt es nach Einschätzung des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern, weswegen die Art als gefährdet gilt. Insgesamt haben die europäischen Schwarzstorchbestände in den vergangenen 25 Jahren jedoch leicht zugenommen. Anfang der 1970er Jahre beispielsweise brüteten in ganz Deutschland nur rund 50 Paare.
Der Schwarzstorch ist etwas kleiner als der bekanntere Weißstorch. Er wird rund 100 Zentimeter groß und wiegt fast drei Kilogramm. Seine Flügelspannweite misst rund zwei Meter. Anders als es der Name vermuten lässt ist der Schwarzstroch ein recht bunter Vogel. Sein dunkles Federkleid schimmert metallisch glänzend, je nach Lichteinfall teils purpur oder grünlich.
Der bevorzugte Lebensraum des ausgesprochen scheuen Kulturflüchters sind ausgedehnte, alte und reich strukturierte Laubwälder, in denen oder in deren Nähe es Tümpel und Feuchtwiesen gibt. Die Vögel lassen sich meist fernab menschlicher Siedlungen nieder. Zur Nahrung zählen vor allem Fische und Amphibien, seltener kleine Säugetiere.
Ein einmal bezogenes Nest nutzen die überwiegend monogam lebenden Schwarzstörche meist über viele Jahre. Nach dem Winter, den die Zugvögel in Westafrika verbringen, kehrt zunächst das Männchen heim und richtet das Nest her. Das Weibchen folgt einige Tage später und legt die Eier.
Die Jungen schlüpfen nach 34 bis 38 Tagen und sind nach weiteren 60 bis 70 Tagen flügge. Gerade für die Jungvögel stellen Hochspannungsleitungen oder Windkraftanlagen eine Gefahr dar. TEXT: JUN