Als in den 1980er Jahren im oberpfälzischen Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für Brennstäbe aus Atomkraftwerken gebaut werden sollte, eskalierte die Gewalt. Autonome beschossen Polizisten mit Steinen und Stahlkugeln. Die Polizei setzte CS-Gas ein. Es gab hunderte von Verletzten. Der heutige Karlstadter Stadtrat Horst Wittstadt verabscheute das und suchte nach einem friedlichen Weg des Protests. Er meißelte einen Bildstock, der 1987 in der Nähe der WAA-Baustelle im Landkreis Schwandorf aufgestellt wurde.
„In Wackersdorf flogen Steine, ich hatte mir überlegt, dass man mit Steinen etwas anderes machen kann“, blickt Wittstadt zurück. Vier Wochen dauerte die Arbeit an dem Bildstock. Die Wirkung war erheblich nachhaltiger als die eines schnell auf Polizisten geschleuderten Steins. Denn das Mahnmal gegen die WAA machte Schlagzeilen bis zur bundesweiten Verbreitung im „Stern“.
Zankapfel Landkreiswappen
Die CSU empörte sich darüber, dass Wittstadt unter anderem das Wappen des Landkreises Main-Spessart in den Stein gemeißelt hatte. Vor allem die damaligen Karlstadter Stadträte Alfred Biehle und Wolfgang Fröhlich erregten sich stark. Auf ihr Betreiben hin missbilligte der Stadtrat mit 13:9 Stimmen die Verwendung des Landkreiswappens. Damit war der Bildstock endgültig zum Politikum geworden – mit dem entsprechenden Medienecho.
Wittstadt wiederum berief sich darauf, das Einverständnis des damaligen Landrats Armin Grein erhalten zu haben. Zudem würden auch Parteien ungestraft das Kreiswappen für ihre Zwecke verwenden. Nachdem Grein einen Zivilprozess angekündigt hatte, hieß es, der renommierte Würzburger Anwalt Wolfgang Baumann würde ihn vertreten. Schließlich setzte der Kreisausschuss in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss aus und verzichtete auf die Klage.
Bundsandstein aus Rettersbach
Bei seiner Arbeit als Steinmetz hatte Horst Wittstadt schon so manchen alten Bildstock saniert. Erstmals schuf er jetzt einen völlig neuen. Der Kreisverband der Grünen finanzierte den Buntsandstein aus dem Bruch von Rettersbach.
Auf der Vorderseite der Säule arbeitete Wittstadt den gekreuzigten Jesus heraus, dazu die Inschrift: „Auch Jesus wurde nach geltendem Recht verurteilt.“ Dies sollte der Hinweis darauf sein, dass die Aufbereitungsanlage nicht im Sinne Gottes sei, auch wenn sie dem Recht der Bundesrepublik entsprechen mag.
In die rechte Säulenseite schlug er den damals gängigen Wahlspruch der Grünen: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Links steht der Bibelspruch: „Macht euch die Erde untertan.“ Auf der Rückseite heißt es: „Die WAA betrifft uns alle! Zur Mahnung und Erinnerung.“
Der Kopf der Bildstocks hat vorne eine Öffnung für eine Kerze oder Blumen. Links prangt das Wappen von Schwandorf, das von Main-Spessart ziert die rechte Seite. Der Stein wog am Ende acht Zentner bei einer Gesamthöhe von 1,95 Metern.
Einladung an Biehle
Im Herbst 1986 wurde der Bildstock auf dem Wendehammer der Eichendorffstraße der Öffentlichkeit vorgestellt. Der damalige evangelische Karlstadter Pfarrer Detlev Hapke zog in seiner Ansprache einen Vergleich zwischen dem Bildstock und Steinkreuzen auf Kriegsgräbern. Grabkreuze würde aufgestellt, nachdem es Tote gegeben hat. Besser sei es, ein Mahnmal zu errichten, bevor Menschen sterben mussten.
Wittstadt hatte Biehle öffentlich eingeladen, das Main-Spessart-Wappen mit Hammer und Meißel zu entfernen. Der freilich kam gar nicht erst zu der Veranstaltung.
Übergabe bei strömendem Regen
Die Aufstellung selbst erfolgte 1987 am Pfingstsonntag bei Altenschwand in der Nähe von Wackersdorf. Bei strömendem Regen nahmen mehr als 200 Menschen aus den Landkreisen Main-Spessart und Schwandorf teil. Der Schwandorfer Landrat Hans Schuierer erinnerte in seiner Ansprache daran, dass die Auseinandersetzungen um die WAA bis dahin zu fünf Toten und zahlreichen Verletzten geführt hatten. Der katholische Pfarrer Richard Salzl aus Neundorf vorm Wald nahm die Weihe vor. Abermals gehörte Pfarrer Hapke zu den Rednern. Für die Finanzierung des Transports nach Wackersdorf hatte die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in ihren Reihen gesammelt.
Zwei nicht verwirklichte Projekte
Im Nachhinein meißelte der Karlstadter noch etwas in den Sockel des Bildstocks bei Wackersdorf: „11.12.1985 - 6.6.1989 – Damit sind wir noch nicht aus der Verantwortung entlassen. Der Atomstaat besteht weiter.“ Am 31. Mai 1989 wurde der bis dahin ca. 10 Milliarden DM teure Bau eingestellt. Am 6. Juni 1989 unterzeichneten Deutschlands Umweltminister Klaus Töpfer und Frankreichs Industrieminister Roger Faroux die Verträge über eine gemeinsame Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague.
Wittstadt hat noch einen weiteren Protestbildstock geschaffen: gegen den Hafenlohrtalspeicher. Er wurde wie die WAA nicht gebaut.