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Würzburg: "Aus Liebe" erstickt: Bewährung für 92-Jährigen aus Gemünden

Würzburg

"Aus Liebe" erstickt: Bewährung für 92-Jährigen aus Gemünden

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    Das Landgericht Würzburg verhandelte den Fall eines 92-Jährigen, der seine kranke Ehefrau tötete. Der Angeklagte sagte dazu: "Das war so schnell erledigt. Ich konnte es nicht begreifen." Das Bild zeigt ihn mit seinem Verteidiger Norman Jacob.
    Das Landgericht Würzburg verhandelte den Fall eines 92-Jährigen, der seine kranke Ehefrau tötete. Der Angeklagte sagte dazu: "Das war so schnell erledigt. Ich konnte es nicht begreifen." Das Bild zeigt ihn mit seinem Verteidiger Norman Jacob. Foto: Nicolas Armer

    Der Tod war für das Ehepaar aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) nie ein Tabuthema. "Der Tag hat sich abgezeichnet, weil mich die Pflege so überlastet hat", sagt der 92-jährige Angeklagte vor dem Landgericht in Würzburg. Er und seine Frau hätten schon vor zehn Jahren beschlossen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden.

    Seit 2015 war die 91-Jährige dement. Ihr Zustand verschlechterte sich. Zuletzt hatte sie Wahnvorstellungen, erkannte ihren Mann oft nicht."Ich wollte meine Frau erlösen", so der 92-Jährige. Sie erfüllte die Voraussetzungen für die Pflegestufe 3. "Ich wollte sie befreien von der Demenz und alle den Schwierigkeiten." Doch darf man einen schwer kranken Menschen deshalb töten?  Nein, entschieden die Richter: Zwei Jahre Haft wegen Totschlags in einem minder schweren Fall, ausgesetzt zur Bewährung, lautet das Urteil. Außerdem muss das Rentner 10 000 Euro an die Caritas im Landkreis Main-Spessart bezahlen.

    Gemeinsam einen Schoppen getrunken und sich umarmt

    Der Mann hatte zu Prozessbeginn gestanden, am 3. November 2019 seine Frau im Bett mit einer Hasenfelldecke erstickt zu haben. Der Angeklagte schilderte, dass er sich am Tattag mit seiner Frau einen schönen Abend gemacht habe. "Wir haben uns auf das Bett gesetzt, zusammen einen Schoppen getrunken und uns umarmt." Dann sei eingetreten, was geschehen ist, erzählt der Mann gefasst. "Das war so schnell erledigt. Ich konnte es nicht begreifen." Ein medizinischer Gutachter bestätigt, dass die Frau "kaum etwas mitbekommen" haben dürfte. Zumal sich in ihrem Wein ein Schlafmittel befand.

    Damals sei dem Rentner nicht klar gewesen, dass er eine Straftat begangen hatte. Er sei "überrascht" gewesen, dass man ihm Totschlag zur Last lege. Heute bereue er, was er getan habe. Nach eigenen Worten war er mit der nahezu alleinigen Pflege der 91-Jährigen überfordert und handelte "aus Liebe". Nach der Tat versuchte der Rentner vergebens, sich umzubringen.

    Zu dieser Zeit sei der 92-Jährige schwer depressiv und vermindert schuldfähig gewesen, erklärt Psychiaterin Susanne Eberlein dem Gericht. "Er hat kein Licht am Ende des Tunnels gesehen." Die bevorstehende Kurzzeitpflege seiner Frau habe ihn verunsichert, beide wollten nie in ein Heim. Kinder hat das Paar keine. Weil der Mann keine lebenswerte Zukunft mehr für seine Frau und sich erwartet habe, habe er sie getötet.

    "Falsch verstandener Liebesbegriff"

    Der Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach plädierte für eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Der 92-Jährige habe zwar aus "Liebe und Fürsorge gehandelt - aber einen falsch verstandenen Liebesbegriff zugrundegelegt". Der Angeklagte habe nicht darüber zu entscheiden, wann ein Leben zu Ende sei und wann es nicht mehr lebenswert sei. 

    Auch der Verteidiger Norman Jacob hält den Fall "natürlich für einen Totschlag". Er wies darauf hin, dass eine Freiheitsstrafe für seinen Mandanten "lebenslänglich" bedeuten würde. Dieser habe bereits in der Untersuchungshaft "extrem abgebaut". Der Anwalt plädiert daher auf eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann. 

    Öffentliches Interesse an Prozess

    Die Plätze für Journalisten und Zuschauer waren restlos belegt - wohl auch weil coronabedingt nur wenig Öffentlichkeit zugelassen wurde. Um zu lüften, musste der Prozess alle 25 Minuten unterbrochen werden. Trotz der Emotionalität des Themas ging es im Gerichtssaal sachlich und zügig zu. Gleichwohl war allen Beteiligten anzumerken, dass dies kein alltäglicher Prozess ist. 

    "Rechtlich war das Verhalten des Angeklagten als Totschlag zu werten", sagt der Vorsitzende Richter Hans Brückner. Doch zulasten des 92-Jährigen "konnte die Kammer im Hinblick auf das Verhalten des Angeklagten keine Gesichtspunkte erkennen". Das noch nicht rechtskräftige Urteil sollte aber nicht als Freibrief für Nachahmungstäter verstanden werden: "Es ist sicher ein außergewöhnlicher Fall."

    Hinweis der Redaktion: In der Regel berichten wir nicht über Selbsttötungen, außer die Umstände erlangen besondere Bedeutung in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

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