Allmählich fügt sich im Prozess um den Tod eines 14-Jährigen in Lohr das Puzzle zusammen. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Polizisten haben in der Jugendkammer des Landgerichts Würzburgs hinter verschlossenen Türen ausgesagt. Für viele ist der Prozess ein emotionaler Kraftakt, einige verlassen nach ihrer Zeugenaussage weinend und auf Verwandte gestützt das Gericht.
Doch auch zehn Monate nach der Gewalttat ist noch nicht entschieden: War es ein geplanter Mord des gleichaltrigen Mitschülers oder hat sich ein tödlicher Schuss im Gerangel um die Pistole gelöst? Was inzwischen bekannt ist und wo es weiter Fragezeichen gibt.

Wer ist der wichtigste Zeuge?
Als vermutlich wichtigster Zeuge gilt der Mitschüler, der nach dem tödlichen Schuss am Nachmittag des 8. September 2023 die Polizei in Lohr alarmiert hatte. Die glaubte ihm zunächst nicht. Doch vorsichtshalber schickte die Polizei eine Streife in die Grünanlage neben der Schule. Die entdeckte dann die Leiche.
Während der Ermittlungen hieß es, er sei ebenfalls zu dem Treffen mit dem Angeklagten und dem späteren Opfer in der Grünanlage neben der Lohrer Schule eingeladen gewesen, wo sich die beiden 14-Jährigen verabredet hatten – er sei dem Treffen dann aber ferngeblieben. Er soll auch das 14-jährige Opfer davor gewarnt haben, zu dem Treffen zu gehen.
Was hat der Tatverdächtige nach der Tat gesagt?
Nach dem tödlichen Schuss in den Hinterkopf des Opfers soll sich der Schütze dem Zeugen anvertraut haben, wie dieser später in polizeilichen Vernehmungen angab. Über den Inhalt dieser Aussage kursieren unterschiedliche Versionen: Zum einen hieß es nach der Tat in Polizeikreisen, der Schütze habe eine Kurznachricht versandt: Er habe es "endlich geschafft" – was eher in Richtung einer geplanten Tat weist, wie es in der Anklage von Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach steht.

Andererseits soll der Zeuge bei der Polizei Angaben gemacht haben, die in andere Richtung weisen: Der Tatverdächtige soll ihm nach der Tat erzählt haben, dass sich der Schuss im Ringen um die Pistole löste, als ihm das Opfer das versprochene Geld für die Pistole nicht geben wollte.
Entscheidend wird sein, wie sich der Zeuge nun vor Gericht erinnert – doch darauf müssen die Prozessbeteiligten weiter warten. Seine für Freitag geplante Vernehmung musste aus organisatorischen Gründen um einige Tage verschoben werden.
Was sagen die Verteidiger?
Die Verteidiger Hanjo Schrepfer und Roj Khalaf betonen, dass ihr Mandant "nicht derjenige war, der das Treffen initiiert hatte und keinesfalls die Tötung eines Menschen im Vorfeld geplant war." Der Wunsch, die Pistole für 400 Euro zu kaufen, sei von dem späteren Opfer geäußert worden.

Welche Rolle spielt ein amerikanischer Serienmörder?
Von Interesse könnten noch Textnachrichten des Angeklagten zu seinem Selbst- und Weltbild sein. Sie kamen im Prozess bisher nur am Rande zur Sprache. Darin soll auch von Tötungsfantasien nach dem Vorbild des US-Serienmörders Jeffrey Dahmer die Rede sein.
Mit ihm hatten Mitschüler den Angeklagten wegen des angeblich ähnlichen Aussehens verglichen. Zeugenaussagen lassen den Schluss zu, dass er irgendwann diese Rolle akzeptierte, sich selbst gegenüber Mitschülern als "Killer" bezeichnete und von Mordtaten fantasierte.
Was sagen die Gutachter?
Wie realistisch die Mordfantasien gemeint waren, ist völlig offen. Ein psychiatrischer Sachverständiger könnte dazu Aussagen machen. Er ist jedoch auf reine Beobachtung des Angeklagten im Prozess angewiesen. Eine Befragung hatte der Angeklagte abgelehnt.

Am 12. Juli haben dann die ersten Gutachter von Polizei und Rechtsmedizin das Wort. Sie sollen sich dazu äußern, ob die Version des Angeklagten über ein Gerangel plausibel ist, bei dem er den vor ihm kauernden Mitschüler in den Hinterkopf schoss. Auch von einer 3-D-Simulation des Tatgeschehens durch einen Polizei-Experten versprechen sich die Richter Erkenntnisse.
Welches Strafmaß steht im Raum?
Bei dem zur Tatzeit 14-jährigen Angeklagten handelt es sich um einen Jugendlichen im Sinne des Gesetzes, der besonders schutzwürdig ist. In Jugendverfahren steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Für Jugendliche beträgt bei Mord das Höchstmaß der Jugendstrafe zehn Jahre. Mit einem Urteil wird am 1. August gerechnet.
Warum sorgt der Fall bundesweit für Aufsehen?
Der Lohrer Fall findet auch deshalb überregional Beachtung, weil sich derzeit schwere Verbrechen mit jugendlichen Tätern häufen. Die Zahl der 14- bis 18-jährigen Verdächtigen stieg bundesweit 2022 innerhalb eines Jahres laut Polizeilicher Kriminalstatistik um 22,1 Prozent auf gut 189.000.