"Na, Mäuschen, du bist ja wach", sagt der 69-jährige Rentner Frank Büttner zu seiner Lily und streichelt ihr dabei liebevoll das Gesicht. Die Angesprochene liegt reglos im Bett daheim im Karlstadter Ortsteil Karlburg (Lkr. Main-Spessart), den starren Blick der geöffneten Augen scheinbar ohne Ziel an die Zimmerdecke gerichtet. Aber Büttner ist sich sicher, dass seine Frau sehr wohl die Ansprache als auch die Zuwendung empfindet und verwendet deshalb jeden Tag viel Zeit für die Nähe und die Kommunikation.
Seit langen elf Jahren, tagein und tagaus, von halb sieben Uhr am Morgen bis gegen Mitternacht ist Büttner fast ständig mit der Pflege beschäftigt. "Ich mache das meiste alleine, und ich kann nicht sagen, heute ist mir nicht gut oder ich will lieber noch ein wenig liegenbleiben", sagt er und zählt dann seine Tätigkeiten des Tages auf: Er muss seine Frau wickeln, waschen, eincremen und zweimal täglich die Sondenmahlzeit anhängen und damit für die notwendige Flüssigkeitszufuhr sorgen. Lily muss regelmäßig umgelagert werden, damit sie nicht wund wird. Die Atmung ist zu prüfen und bei Bedarf muss Schleim abgesaugt werden. Frank Büttner hat gelernt, die notwendigen Spritzen zu setzen und er ist sich sicher, dass er das inzwischen besser kann als andere Pflegekräfte: "Bei mir bleiben keine Unterblutungen bei falsch gesetzten Injektionen zurück."
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Zwei Mal in der Woche kommt ihm der Pflegedienst für jeweils fünf Stunden zu Hilfe, dann hat er etwas Zeit für seine eigenen Bedürfnisse, für Arztbesuche oder fürs Einkaufen. Auch ein Ergotherapeut bringt gelegentlich Abwechslung für die Kranke und für ihren pflegenden Ehemann. Einmal im Quartal überprüft auch der HNO-Arzt den Zustand der Patientin. Was ist, wenn sie Schmerzen oder andere Bedürfnisse hat, diese aber nicht mitteilen kann? "Ich kenne meine Frau und merke sofort, wenn etwas mit ihr nicht stimmt", ist sich Büttner sicher.

Der 69-jährige Rentner kennt seine vier Jahre jüngere Lily seit diese 14 ist. Sie hatten sich damals in Coburg kennengelernt und dann zunächst wieder aus den Augen verloren. Später kamen sie erneut zusammen, haben geheiratet, ihrer Ehe entstammen fünf Kinder. Dann kam der Schicksalsmonat, es war der Oktober 2009: Ohne irgendwelche Anzeichen platzten bei Lily Büttner gleich fünf Aneurysmen im Kopf mit all den unseligen Folgen wie Hirnblutungen und einem Schlaganfall. Nach mehreren langen Krankenhausaufenthalten wurde die Patientin als austherapiert nach Hause entlassen. "Sie sollte zum Sterben heimgehen, die Ärzte haben ihr höchstens noch drei Monate gegeben", erinnert sich Frank Büttner. "Jetzt sind es fast elf Jahre."
Auf dem Tisch im Wohnzimmer stehen frische Blumen
Bei all der körperlichen und seelischen Belastung macht Frank Büttner einen unglaublich ausgeglichenen Eindruck. Er jammert nicht. Er beklagt nicht sein Schicksal. Er sei schon immer eine Frohnatur gewesen, sagt er, Verzweifeln sei für ihn noch nie eine Option gewesen. Diese Selbsteinschätzung zeigt sich auch in seiner Karlburger Mietswohnung. Hier ist alles tip-top, sauber, aufgeräumt – sogar auf den Tischen im Wohnzimmer stehen Vasen mit frischen Blumen, obwohl Lily niemals hierher kommt. Das ist für sein eigenes Wohlbefinden. Im Krankenzimmer hat Büttner Wände und Decken bunt gestaltet, Mobile und Blumen sind nicht nur Zierde, sondern vielleicht auch Ablenkung.

Nein, klagen tut Frank Büttner wirklich nicht über seine Situation, auch wenn ihn die eigenen Kinder nur beschränkt unterstützen können und auch die übrigen Sozialkontakte weitgehend weggebrochen sind. Ärgerlich aber macht ihn die seiner Meinung nach mangelnde Unterstützung durch die Behörden, insbesondere die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse: "Wenn meine Frau im Heim gepflegt würde, müsste die AOK über 6500 Euro monatlich bezahlen, und ich kämpfe zurzeit um Handschuhe und Desinfektionsmittel", schimpft er. Zwar bekommt er neben anderen Zuwendungen monatlich 40 Euro für "verbrauchsbestimmte Hilfsmittel", die wegen der Corona-Krise vorübergehend erhöht wurden, doch da jetzt die Preise dafür enorm angezogen haben, kommt er nicht weit damit. Mit 100 Paar Handschuhe reichen nicht lange, wenn er täglich zehn verbraucht. Mit anderen Hilfsmitteln sei es ähnlich.
"So lange ich gesund bin, bleibt sie bei mir", sagt Büttner
Wer hilft den Pflegenden? An wen kann man sich wenden? Frank Büttner fühlt sich von der AOK im Stich gelassen, er wisse nicht, wer Ansprechpartner sei. Auf Anfrage dieser Redaktion sagte Hans-Joachim Scheller, Pressesprecher der AOK Würzburg, dass zunächst aus datenschutzrechtlichen Gründen keine konkreten Aussagen zu diesem Fall gemacht werden können. Er fügt aber dennoch an: "Wir nehmen Ihre Anfrage jedoch zum Anlass, Herrn Büttner zu kontaktieren und ihm ein Beratungsgespräch anzubieten. Wir werden die aktuelle Situation mit ihm erläutern und nach Möglichkeiten suchen, ihm beziehungsweise seiner Ehefrau weitere individuelle Hilfe und Entlastung zu ermöglichen."
Und wie sieht der Rentner die Zukunft für sich und seine Frau? "Ich weiß es nicht. Ich schau nur von Tag zu Tag. So lange es klappt und ich gesund bin, bleibt sie bei mir", verspricht er. Einen Herzenswunsch hat er aber dann doch. Er würde gerade jetzt im Frühjahr gerne mit seiner Frau von Zeit zu Zeit in die Natur hinaus fahren. Ein kleiner gebrauchter Kombi mit Hecktür für den Rollstuhl wäre dafür das Richtige. Doch den könne er sich leider nicht leisten.