Es kratzt. Knarzt fast. Stählerne Feder
– Wohlklang für Gosbert Stark. "Manche kriegen Gänsehaut davon, ich höre das Geräusch sehr gerne." Wäre auch ungünstig, würde Stark nicht hinhören können bei seinem Tun. Feder ins Tintenfässchen tunken, dann – schwungvoll mal, langsam mal – über den rauen Bogen ziehen. Und schreiben. Schreiben. Viel. Und schön.Wie gerade eben, mit dem gewissen Kratzen: "Alles" steht da jetzt auf weißem Blatt geschrieben. Dann "Liebe". Und nach ein paar weiteren flotten Federschwüngen mit frisch tintengetränkter Feder: "zum Geburtstag".

Glückwunschkarten, Urkunden, Einladungen, Würdigungen , Einträge in Goldene Bücher, Alben, Gästebücher - alles in schönster Handschrift: Gosbert Stark, 75-jähriger Grafiker aus Karlstadt, beherrscht und betreibt dies Metier seit vielen, vielen Jahren. Weil man, wie er sagt, "mit einer Schrift Botschaften ausdrücken und vermitteln kann". Und weil: "Eine kalligrafische Schrift atmet."
Buchstaben, die nicht gedruckt sind, sondern geschrieben, die nicht aus dem Computer kommen, sondern aus dem Handgelenk - sie wirken "adäquater, angenehmer", sagt Stark. "Es sind Unterschiede da, das sieht man." Und wenn er heute in seinem kleinen Atelier erzählt, wie er zur Kalligraphie kam, zur Kunst des schönen Schreibens von Hand, scheint sein Weg vorgezeichnet gewesen. Vorgeschrieben quasi.
"Eine kalligrafische Schrift atmet."
Gosbert Stark über den Unterschied zwischen Handgeschriebenem und Gedrucktem
Grafiker werden wollte er, schon früh. Der Vater war Schriftenmaler in Aschfeld, einem kleinen Dörfchen im Landkreis Main-Spessart, und Gosbert Stark half mit beim Anfertigen der Vorlagen für die Werbetafeln, Autos, Hausfassaden. Schriften entwerfen, konstruieren, vergrößern, übertragen – bald ein vertrautes Metier für den Schüler. Nach dem Abitur ging es an die Werkkunstschule nach Würzburg und an die FH, zum Grafik-Studium. "Damals war Schrift-Schreiben noch Lehrfach", sagt Gosbert Stark. Bald aber seien die ersten Satzmaschinen aufgekommen, "das Schreiben wurde an den Rand gedrängt".
Aus Gebrauchsgrafikern wurden Grafik-Designer. Und als die ersten Computer und das "Desktop-Publishing" in Ateliers und Werbeagenturen Einzug hielten, sei es endgültig vorbeigewesen mit Reißbrett und Reißschiene, Schriftsetzen und Retuschieren.

Wie er dann als Grafiker doch zu Kalligrafie kam? "Zwei entscheidende Erlebnisse", sagt der 75-Jährige. Bei einer Würzburger Werbeagentur tätig, sollte er - in den späten 90er Jahren - für die Kampagne eines Juweliers Texte von Hand schreiben. Dass die Prospekte mit der schönen Schrift dann bei den Kundinnen und Kunden so gut ankamen, dass der Schmuckhändler die Werbeaktion gleich mal um ein Jahr verlängerte – Erlebnis Nummer eins.
Erlebnis Nummer zwei: Für eine große Veranstaltung mit 320 Gästen hatte der Iphöfer Gipskonzern Knauf bei der Agentur handgeschriebene Namensschildchen bestellt. Dem Firmenpatriarchen gefielen die Tischkärtchen so gut, dass er gleich noch die 320 Menü-Karten personalisieren lassen wollte. Handgeschrieben, im typischen Knauf-Grau. Einen Tag hatte Grafiker Stark dafür Zeit, am nächsten Morgen sollten die Karten wieder abgeholt werden. Er habe gerade die ersten Schriftproben gemacht gehabt, erzählt Stark, da hieß es: Fehler im Menü, die Speisekarten müssen erst neu gedruckt werden.
Abends um Fünf kam der Bote mit den 320 Korrekturen. "Morgens um Vier war ich fertig", sagt Stark, schmunzelnd. Spätestens da seien ihm Wert und Wirkung von Hand-Schrift bewusst gewesen.
"Da hast Du nur eine Möglichkeit, das muss sitzen."
Der Kalligraf über "Fehlversuche"
Er schloss sich der Kalligraphen-Vereinigung Schreibwerkstatt Klingspor Offenbach an, später Ars Scribendi, lernte von renommierten Schriftkünstlern und Schriftdesignern. Inzwischen selbständig, kamen immer mehr Auftraggeber dazu: der Bezirk Unterfranken, Kommunen, Klöster. Für die Fischerzunft Würzburg führt Stark heute das große dicke Zunftbuch aus dem Jahr 1694 weiter. Die Universität Würzburg lässt von Stark die Einträge in ihr Gästebuch beschriften. "Da hast du nur eine Möglichkeit, das muss sitzen", sagt der Kalligraf. "Seite rausreißen im Gästebuch geht ja nicht."

Auf dem Schreibtisch hat der Karlstadter eine Sammlung von Federhaltern und Spitzfedern, Breitfedern, Gänse- und Krähenfedern stehen, die Kiele selbst angespitzt und in 300 Grad heißem Sand gehärtet und gehornt. Auch Tinte setzt er selbst an, aus Safran zum Beispiel für intensive gelbliche Farbe. „Es passt nicht jede Tinte zu jedem Projekt.“ Mal ist ihm die weiche, bräunliche aus Walnuss lieber, mal die klassische Kanzleitinte aus oxidiertem Gallapfel.
Um dann damit schön zu schreiben, brauche es eine bestimmte Haltung, brauche es Ruhe und Konzentration. Wie Meditation sei das, sagt der Schönschreibkünstler. „Wenn ich Stress habe und runterkommen will, setze ich mich hin und schreibe irgendeinen Text." In den Kursen und Workshops, die er seit über 20 Jahren gibt, merke er das auch: Wer schreibt, wird ruhig, wird still.
Das Wort "Krieg" in schönster englischer Schreibschrift aufs Blatt zu setzen? Stark schüttelt den Kopf so vehement wie er einst das unmoralische Angebot ablehnte, die Signatur des Autors in ein Exemplar von "Mein Kampf" zu setzen. "Mit Sicherheit nicht!", sagt Stark. Und erzählt lieber, wie er durch die Kalligrafie an schöne Aufträge gekommen sei, "an die ich als Grafiker nie gekommen wäre".

Die Schrift von Konrad Kujau für ein Filmprojekt nachzumachen zum Beispiel. Oder für Kunstfälscher und Künstler Wolfgang Beltracchi einen altgriechischen Text in byzantinischer Schrift auf Pergament zu setzen. "Kairos. Der richtige Moment" hieß das Projekt des Münchner Unternehmers Christian Zott zu 2000 Jahren Kunstgeschichte mit Werken, "die von den Meistern ihrer Epoche nie gemalt" worden waren. Beltracchi schuf die Bilder und Illustrationen. Und brauchte für die nachgeahmte Handschrift aus dem 14. Jahrhundert à la Byzanz tatsächlich einen Spezialisten. Für den "richtigen Moment" war Stark der richtige Mann.

Apropos. Richtig viel zu tun wird der Karlstadter im Herbst wieder haben. Seit mittlerweile 20 Jahren beschriftet Stark für Käthe Wohlfahrt in Rothenburg ob der Tauber Weihnachtskugeln. Erst wochenlang in seinem Studio daheim. Und an den vier Adventswochenenden sitzt er dann von früh bis spät mitten im Weihnachtsdorf und kalligrafiert, Kugel für Kugel für Kugel. "Da habe ich schon Tränen gesehen", sagt Stark. "In dem Moment, wo der individuelle Name drauf steht, ist es besonders."



